Frühstückszeit im "Gulliver", der größten Tagesstation für Wohnungslose in einem S-Bahn-Bogen am Kölner Hauptbahnhof. Etwa 20 Obdachlose sind an diesem Vormittag da, manche schlafen auf Stühlen, andere frühstücken. Der Slowake Jonas Gabriel ist seit sieben Jahren "auf Platte". Ärger mit Bulgaren und Rumänen hat er oft erlebt.
"Es ist viel Stress, auf der Straße zu leben. Mit Alkohol und Gewalt. Manche der Rumänen und Bulgaren sind auch mit ihrer ganzen Familie hier, wollen ein bisschen Geld machen, wegen Schulden und so…"
Der hagere 34-Jährige hilft im "Gulliver" als Ein-Euro-Jobber aus. Er soll in Streitfällen mit den Bulgaren und Rumänen vermitteln. Denn Jonas Gabriel spricht neben Slowakisch, Ungarisch, Tschechisch, Polnisch, etwas Russisch – und Deutsch.
"Wenn mal jemand ausflippt, dann versuche ich mal, psychologisch auf ihn aufgehen, ein bisschen ruhiger, weil ich lebe auch auf der Straße, da weiß ich, mit ihm umzugehen. Die sehen auch, dass ich bin Ausländer, von ihrem Volk. Dann ist es gut."
Es fehlt an Platz und Sprachkompetenz
Ein Sprachvermittler wie Gabriel ist eine absolute Ausnahme in den Obdachloseneinrichtungen in Köln. Viele Anlaufstellen sind überfordert mit den Bulgaren und Rumänen, manche haben kapituliert. Die zweitgrößte Tageseinrichtung der Stadt vom Sozialdienst Katholischer Männer hat osteuropäische Obdachlose vor wenigen Wochen von ihrem Angebot ausgeschlossen. Ihr Argument: Vielen Zuwanderern fehlten die Sprachkenntnisse, man könne nur auf Deutsch beraten. Sozialarbeiter Thomas Münch und Professor für Verwaltung und Organisation an der Hochschule Düsseldorf beobachtet das mit Sorge:
"Es gibt quantitativ zu wenig Hilfsangebote für die autochthonen Kölner Wohnungslosen und für die Zugewanderten, die die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe nutzen, ist sozusagen der Platz nicht mehr geworden. Die Angebote sind nicht mehr geworden. Es gibt ein qualitatives Problem, es gibt nicht die Sprach- und die Kulturkompetenz."
Viele der niedrig qualifizierten Rumänen und Bulgaren seien mit falschen Erwartungen nach Deutschland gekommen, sagt Münch. Mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zu EU vor zehn Jahren und der anschießenden Arbeitnehmer-Freizügigkeit glaubten viele, gut bezahlte Arbeit finden zu können. Stattdessen konkurrieren sie – meist chancenlos - mit niedrig qualifizierten deutschen Arbeitssuchenden und rutschen oft ins soziale Elend.
"Das ist eines der zentralen Probleme: dass diese Zuwanderer gar keine Ansprüche an die deutsche Sozialstaatlichkeit haben. Kein Hartz IV. Das heißt die Menschen leben hier unter ganz menschenunwürdigen Bedingungen."
Kaum Chancen auf Sozialleistungen
Sozialleistungen erhält nur, wer nachweisen kann, dass er seit fünf Jahren ununterbrochen in Deutschland lebt und wer einen Minijob hat. Die wenigsten haben das. Daher versuchen sie, irgendwie Geld zu verdienen, durch Betteln, Flaschensammeln, auf dem Bau zu Dumpinglöhnen oder auch durch Prostitution.
Wie prekär ihre Situation ist, hat Thomas Münch in einer Studie untersucht, dabei hat er Dutzende osteuropäische Obdachlose in Köln befragt. Ein Ergebnis: Köln ist "arrival city", es gibt soziale Brennpunkte am Rand der Stadt, wo Bulgaren und Rumänen zunächst bei Bekannten unterschlüpfen, bevor sie in die Innenstadt weiter wandern. Gerade an diesen Orten wäre Fachpersonal dringend notwendig.
"75 Prozent der Menschen, die wir befragt haben, haben uns gesagt, wir wollen hier bleiben. Wir haben es eigentlich mit einer klassischen europäischen Binnenwanderung in der Europäischen Union zu tun. Da wollen wir, das ist der rechtliche Rahmen, da können wir gar nichts gegen tun. Das ist auch gut so. Wir müssen nur überlegen, wie wir ihnen helfen. Sprachkurse, Fortbildungen, Arbeitskurse, Führerscheine – die gleichen Methoden, die bei deutschen Erwerbslosen auch angewendet werden."
Ein tief sitzendes Problem
Nach den massiven Beschwerden über die zunehmende Verelendung osteuropäischer Zuwanderer hat die Stadt auf Initiative der Grünen vergangene Woche gehandelt. Erstmals sind im Sozialetat 650.000 Euro für Hilfsangebote im kommenden Jahr vorgesehen. Eine gute Nachricht für den Slowaken Jonas Gabriel im "Gulliver", er könnte dort Anfang nächsten Jahres seinen ersten richtigen Job bekommen. Für seinen Chef Bernd Mombauer sitzt das Problem aber tiefer. Langfristig müsse es eine EU-weite soziale Absicherung geben:
"Man wollte den freien Markt in der EU -, aber es ist total versäumt worden, soziale Mindeststandards in allen EU-Ländern zu formulieren. Das muss dringend nachgeholt werden."