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Ostukraine-Konflikt
Wenn Krieg alltäglich wird

Fast wöchentlich sterben in der Ostukraine Menschen. Trotz vereinbarter Waffenruhe kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen Regierungssoldaten und prorussischen Rebellen. Die Situation ist verfahren. Das Minsker Abkommen funktioniert nicht und die Bevölkerung ist ratlos.

Von Florian Kellermann |
    Ein Mann und eine Frau am 19.06.2015 vor einem bombardierten Haus.
    Die Bevölkerung weiß nicht, wie es in der Ostukraine weitergehen soll. (dpa / picture-alliance / Irina Gerashchenko)
    Das Dorf Newelske liegt am der Ende der Welt. Kein Zug und kein Linienbus macht dort Halt. Wer sich hierher verirrt, kann nur umkehren. Die einstige Millionenstadt Donezk liegt zwar keine fünf Kilometer entfernt. Aber die Straßen sind gesperrt, denn zwischen Newelske und Donezk verläuft die Front. Diese Seite kontrolliert das ukrainische Militär. Drüben haben die prorussischen Separatisten das Sagen. Mit kräftiger Hilfe aus Russland haben sie die sogenannte "Volksrepublik Donezk" ausgerufen.
    Auch fließendes Wasser gibt es nicht in Newelske. Deshalb schaufeln die Bewohner am Straßenrand Schnee auf einen Haufen - um ihn später in Eimer zu füllen und auf dem Ofen zu schmelzen.
    "Ab und zu kommt mal Wasser aus dem Hahn, einen Tag lang oder zwei, dann ist wieder Schluss. So geht das seit Kriegsbeginn. Die Regierung lässt uns pro Woche 50 Liter pro Person bringen. Da kannst Du Dir dann überlegen: Soll ich mich waschen oder essen kochen oder trinken? Denn für alles gleichzeitig reicht das nicht. Gut, dass der Dima den Männern den Schnee sammelt. So passen wir uns an."
    Nur noch 40 Einwohner übrig
    Fortziehen könne sie ja auch nicht, sagt die Frau mit dem Kopftuch. Mit ihren 60 Jahren werde sie doch nirgends mehr gebraucht. Die meisten Jüngeren haben längst das Weite gesucht. 320 Einwohner hatte Newelske früher, heute sind es noch 40.
    Einige von ihnen vermissen viel mehr als nur Wasser. Natalia Parchomenko, auch sie eine Rentnerin, führt auf ihr Grundstück. Ein einfaches, einstöckiges Haus, die unverputzte Mauer ist an vielen Stellen mit groben Backsteinen ausgebessert worden.
    "Hier direkt im Hof ist eine Granate explodiert, diese Wand ist uns davongeflogen. Wir haben sie zweimal neu aufgebaut. Wir hatten drei Einschläge rings herum und einen direkt im Haus."
    Ein Mädchen am 6.9.2015 vor einem zerstörten Haus in der Donezk-Region.
    Kinder leiden besondes im Ukraine-Konflikt. (dpa / picture-alliance / Irina Gerashchenko)
    Natalia Parchomenko führt in ihr Haus. Einige Zimmer hat sie wieder notdürftig hergerichtet. Die Küche ist jetzt gleichzeitig das Wohnzimmer, Stapel von Wäsche liegen auf einem Sofa, weil der Schrank verbrannt ist. Nebenan ist ein stockdunkles Zimmer, die Fenster sind mit Holz verbarrikadiert: Es ist das Zimmer, das beim Volltreffer am schlimmsten verwüstet wurde:
    "In dem Zimmer haben meine Enkelkinder geschlafen, weil das Haus meiner Tochter durch eine Bombe zerstört worden war. Sie hatten sich gerade ins Bett gelegt und begonnen, einen Film zu schauen. Dann der Einschlag. Sie wurden im Krankenhaus in Dnipropetrowsk operiert. Der Dreijährige hat ein Schädel-Hirntrauma erlitten. Er wirkte wie tot, als wir ihn aus dem Zimmer getragen haben. Er hat nicht geatmet. Beim Sechsjährigen ist Blut aus dem Hals gelaufen. Das Zimmer war ein einziger Trümmerhaufen."
    Kinder leiden physisch und psychisch
    Schon ein Jahr zuvor hatten die Brüder ihren Vater verloren, auch bei einem Bombeneinschlag. Der Große hat noch immer Probleme mit dem Sprechen, er ist stets unruhig und deshalb in psychologischer Behandlung. Natalia Parchomenko wischt sich kurz über ihre leuchtenden blauen Augen, sie hat sich schnell wieder im Griff.
    In der Küche begrüßt die Rentnerin Nachbarn, die nur einmal vorbeischauen. Sie schalten den Fernseher ein. Am besten ist hier ein Sender der Separatisten zu empfangen, auch das staatliche russische Fernsehen kommt in brauchbarer Qualität. Der ukrainische Kanal dagegen ist verrauscht.
    "Eigentlich sagen doch alle das gleiche, die einen auf Russisch, die anderen auf Ukrainisch. Nur umgekehrt natürlich: Beide Seiten behaupten, die anderen hätten mal wieder angefangen zu schießen. Wer Recht hat? Ich weiß es nicht. Die Präsidenten müssen sich verständigen, wir haben doch eh nichts zu sagen."
    In Newelske, direkt an der Frontlinie, fallen heute nicht mehr so viele Bomben wie noch im vergangenen oder vor allem im vorvergangenen Jahr. Dem Schrecken der Nächte in den Kellern ist die Ratlosigkeit gefolgt. Keiner weiß, wie es in dieser Region weitergehen soll – im ganzen, gänzlich zerrissenen Donezbecken.
    Minsker Abkommen wir nicht eingehalten
    Schon lange gibt es zwar einen Friedensplan, das sogenannte Minsker Abkommen. Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde es sogar im Beisein hochrangiger Politiker noch einmal verhandelt und bestätigt – Bundeskanzlerin Angela Merkel vermittelte dabei gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Hollande. Doch die Kriegsparteien halten sich nicht einmal an den ersten Punkt, die Waffenruhe. Der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission Alexander Hug sagte in seinem jüngsten Bericht:
    "Die Sicherheitslage in der Ostukraine bleibt ernst und instabil, mit einigen Besorgnis erregenden Entwicklungen. Die Verwendung von Waffen, die im Minsker Abkommen verboten werden, hat zugenommen, insbesondere sind es Mörser, Panzer und Artillerie, darunter Mehrfach-Raketenwerfer. Die Zahl der Explosionen, die von Artilleriebeschuss stammen, ist um 250 Prozent gestiegen. Die Einschläge von Mörser-Granaten haben sich verzwölffacht."
    Ein Mitarbeiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine interagiert mit einem Jungen in einem Dorf in der Region Donezk.
    600 Beobachter der OSZE sind in der Ostukraine. (Imago)
    Die OSZE hat heute 600 Beobachter in der Ostukraine. Täglich notieren sie, wie das Minsker Abkommen verletzt wird, wo Granaten einschlagen und wo Kriegsgerät steht, das längst abgezogen sein sollte. Die Brennpunkte an der über 400 Kilometer langen Frontlinie bleiben dieselben: Da sind die Region um den Donezker Flughafen, die Stadt Horliwka, die Stadt Debalzewe, das Gebiet nordöstlich von Luhansk und im Süden, am Asowschen Meer, das Gebiet östlich von Mariupol.
    Die Berichte der Beobachter listen nur Fakten auf, trotzdem spricht aus ihnen die blanke Hilflosigkeit. Alexander Hug in seiner jüngsten Stellungnahme:
    "Einige unserer Beobachter wurden von bewaffneten Kämpfern der sogenannten Donezker Volksrepublik angegriffen, in Jasinuwata war das. Sie haben eine unserer Beobachtungsdrohnen gestohlen und eine Maschinengewehr-Salve abgefeuert, die Projektile schlugen gerade einmal fünf Meter von unseren Beobachtern entfernt ein."
    Aus dem Konflikt ist ein Stellungskrieg geworden
    Aus dem Konflikt in der Ostukraine ist ein Stellungskrieg geworden, aus dem sich immer wieder auch heftige Kämpfe ergeben. So vor einem Monat in Awdijiwka, nördlich des Donezker Flughafens. Binnen einer Woche starben mehrere Soldaten und Zivilisten. Wer Schuld hat an der jeweiligen Eskalation, lässt sich nicht feststellen. Ernstzunehmende Geländegewinne erzielt keine der beiden Seiten mehr.
    Trotzdem halten Politiker in Ost und West am Minsker Abkommen fest. Zuletzt bekräftigten das die Staaten des sogenannten Normandie-Formats bei einem Treffen in Berlin. Bundeskanzlerin Merkel hatte den französischen Präsidenten Hollande, sowie die Staatschefs Russlands und der Ukraine geladen – Wladimir Putin und Petro Poroschenko. Putin erklärte im Anschluss:
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (li.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz in Berlin.
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (li.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel halten am Minsker Abkommen fest. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Alle Teilnehmer des heutigen Treffens haben bestätigt, dass das Minsker Abkommen die Grundlage dafür ist, den Konflikt im Südosten der Ukraine in den Griff zu bekommen. Alle haben sich zu diesen Absprachen bekannt. Vor allem haben wir über die Sicherheit gesprochen und darüber, was wir in nächster Zukunft tun müssen, um die Konfliktparteien zu trennen."
    Das war vor fast einem halben Jahr, heute klingen diese Worte grotesk. Russland liefert den Separatisten weiterhin Waffen und unterstützt sie finanziell. Aber auch die Ukraine hat seitdem keinen Schritt nach vorne getan. Ist das Minsker Abkommen überhaupt noch das Papier wert ist, auf dem es geschrieben steht? Experten in Kiew stöhnen, wenn sie diese Frage hören, so auch der Politologe Wolodymyr Fesenko:
    "Ja, alle sehen: Minsk funktioniert nicht. Aber dabei geben doch alle zu, auch Bundeskanzlerin Merkel: Es gibt im Moment keine Alternative. Die Beteiligten haben Angst: Wenn eine neue Formel ins Spiel gebracht wird, dann wird dieses sehr fragile Gleichgewicht der Kräfte, das eben doch besteht, zerstört."
    "Nur" ein paar Tote pro Tag
    Das fragile Gleichgewicht – das ist eben jener Stellungskrieg, in dem es, so zynisch das klingt, in den meisten Wochen "nur" ein paar Tote gibt. Trotzdem: Wenn Russland und die Ukraine am Minsker Abkommen festhalten, warum setzen sie es dann nicht einfach um? Darauf antwortet Wolodymyr Fesenko mit einem Gleichnis:
    "Bei uns hat man sich schon in der Sowjetzeit ein Märchen erzählt, da kam folgende Wortfolge vor: 'Hinrichten - nicht – begnadigen'. Drei Wörter, aber die Frage ist: Wo setzt man hier das Satzzeichen? 'Hinrichten, Komma, nicht begnadigen!' bedeutet Hinrichtung. Dagegen bedeutet "Hinrichten nicht, Komma, begnadigen!" Begnadigung. So ist es auch mit Minsk: Russland und die Ukraine lesen das Abkommen grundsätzlich unterschiedlich."
    Das gilt vor allem für die Reihenfolge, in der die Punkte des Abkommens umgesetzt werden sollen. Die Ukraine besteht darauf, dass sie zunächst wieder die Kontrolle über die Separatistengebiete bekommt. Russland dagegen verlangt, dass zunächst die Ukraine dem Donezbecken einen Autonomie-Status verleiht und dort Wahlen abhält. So würden die heutigen Separatisten zu legal gewählten Politikern. Russland könnte über sie die ukrainische Politik dauerhaft beeinflussen. Dass es genau darum geht, räumen auch dezidiert Russland-freundliche Beobachter in der Ukraine ein, so der Politologe Michail Pogrebinskij:
    "Russland will erreichen, dass Nachbarländer nicht zum Aufmarschgebiet für Angriffe auf Russland werden. Viele glauben, das liege an Putin, aber das liegt in der russischen Geschichte begründet. Die Ukrainer gelten als verwandte Nation, es gibt eine gemeinsame Geschichte. Da einfach einpacken und verschwinden – das geht nicht, deshalb wird Russland dem Donezbecken seine Hilfe nicht verweigern."
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat in seiner Rede bei der UNO-Generaldebatte das militärische Vorgehen Russlands im Osten seines Landes angeprangert.
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko steht unter großem Druck. ( EPA/ANDREW GOMBERT)
    Moskaukritiker in der Ukraine beschreiben diese – in Anführungszeichen – "Hilfe" so: Russland wolle die Ukrainer zwingen, den großen Nachbarn zu lieben. Aber nicht nur die Reihenfolge der Umsetzung einzelner Schritte des Minsker Abkommens ist umstritten, sondern auch der Inhalt. So beim "Sonderstatus für das Donezbecken", den das Abkommen festhält: Die Ukraine versteht darunter lediglich eine weit ausgelegte kommunale Selbstverwaltung. Ganz anders Russland, sagt der Politologe Michail Pogrebinskij:
    "Das Minsker Abkommen sieht eine starke Autonomie für das Donezbecken vor. Was da vorgesehen ist, lässt sich nicht mehr als Bundesstaat bezeichnen, das ist eher eine Art Konföderation. Der Donbas bekommt seine Polizei, sein Gerichtswesen, eigene Außenhandelsbeziehungen und so weiter. So könnte das Donezbecken in der Ukraine verbleiben."
    Großer Druck auf Poroschenko
    Die Ukraine hätte diesem Argument längst den Wind aus den Segeln nehmen müssen: Das Minsker Abkommen sieht eine Verfassungsänderung bis Ende 2015 vor – mit Sonderstatus für das Donezbecken und einer Dezentralisierung. Doch über die erste Lesung im Parlament kam die Reform nicht hinaus. Bei gewaltsamen Protesten vor dem Parlamentsgebäude starben vier Mitglieder der Nationalgarde. Präsident Poroschenko schien der Preis zu hoch, er verzichtete darauf, die Reform durchs Parlament zu boxen.
    Der Druck auf Poroschenko ist groß. Das zeigt nicht nur die Eisenbahnblockade an der Frontlinie. Dort lassen Kriegs-Veteranen keine Kohlelieferungen aus den Separatistengebieten mehr durch. Auch in Kiew demonstrieren immer wieder ehemalige Soldaten und unzufriedene Ukrainer. So ein 58-jährige Arbeitsloser, der sich als Mykola Buntar vorstellt:
    "Unsere Machthaber beuten das Volk aus. Sie haben Milliarden gestohlen - und wir können uns kaum ernähren. Die Preise für Gas, Wasser und Strom sind drastisch gestiegen. Für Medikamente hat niemand mehr Geld. Wir sollten diesen Präsidenten stürzen, gewaltsam. Er ist ein Lügner."
    Keiner traut Poroschenko die Umsetzung des Abkommens zu
    Die Wirtschaftskrise, die dem Krieg folgte, kratzt ebenso an Poroschenkos Image wie die Auflagen des Internationalen Währungsfonds. Schon deshalb traut ihm kaum jemand zu, den umstrittenen politischen Teil des Minsker Abkommens umzusetzen. Einige Radikale fordern, Poroschenko solle es lieber aufkündigen und gewaltsam gegen die Separatisten vorgehen.
    Ein ukrainischer Soldat nahe der Frontlinie zwischen Regierungstruppen und pro-russischen Separatisten.
    Das ukrainische Militär ist in den letzten Jahren verstärkt worden. (AFP / Anatolii Stepanov)
    Tatsächlich hat sich das ukrainische Militär in den vergangenen drei Jahren grundlegend gewandelt. Aus einer demotivierten, miserabel ausgestatteten Truppe ist eine der stärksten konventionellen Armeen in Europa geworden. Sie hat die hochmotivierten Freiwilligenverbände integriert, bis auf den sogenannten "Rechten Sektor". Trotzdem würde ein Angriff die Ukraine nicht nur international diskreditieren, sondern wäre auch ein militärischer Fehler, sagt Mykola Sunhurowskyj, Militär-Experte am Kiewer Rasumkow-Zentrum:
    "Die Ukraine könnte die Separatistengebiete mit Bodentruppen zurückerobern – wenn an der russisch-ukrainischen Grenze nicht russische Artillerie, russische Raketen und russische Kampfflugzeuge stünden. Dagegen kommt die Ukraine nicht an."
    Das Abkommen von Minsk ist eigentlich tot muss aber weiterleben, weil es kein anderes Abkommen gibt. Die Ukraine hat immerhin einen Vorschlag gemacht, es zu ergänzen: Eine bewaffnete Friedensmission der OSZE könnte erst den Waffenstillstand überwachen und dann die Wiedereingliederung des Gebiets begleiten. Der Politologe Wolodymyr Fesenko:
    "Die Idee ist ja eigentlich richtig. Die Kämpfe bei Awdijiwka haben gezeigt: Wenn es eine nicht kontrollierte Grauzone an der Frontlinie gibt, dann versucht früher oder später eine der beiden Seiten, sie für sich einzunehmen. Aber selbst Deutschland ist es nicht gelungen, so eine Mission auf die Beine zu stellen, als es den OSZE-Vorsitz übernommen hatte. Österreich wird es nun erst recht nicht gelingen. Russland ist dagegen, deshalb bleibt das eine Utopie."
    Entspannter Blick nach Washington
    Noch vor wenigen Wochen ging in Kiew die Angst um, der neue US-Präsident Donald Trump könne sich mit Russland verständigen – und dabei ukrainische Interessen opfern. Hatte er doch im Wahlkampf erklärt, er werde prüfen, ob die USA die russische Annexion der Krim anerkennen sollten. Inzwischen blicke Kiew etwas ruhiger nach Washington, sagt Wolodymyr Fesenko:
    "Die Ukraine hat einige positive Signale erhalten. Zunächst von der neuen US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, die Russland wegen der Kämpfe um Awdijiwka angeprangert hat. Dann hat der Sprecher des Weißen Hauses klargemacht, dass die USA die Krim als ukrainisches Gebiet betrachten und die Sanktionen in Kraft bleiben. Außerdem hat es schon ein Telefongespräch zwischen Trump und Poroschenko gegeben. Wenn hier ein persönlicher Kontakt bestehen bliebe, wäre das für die Ukraine sehr wichtig."
    Die Chefin des Front National Marine le Pen.
    Marine le Pen steht Russland nahe. (dpa / picture-alliance / Marc Ollivier)
    Trotzdem ist den Verantwortlichen in Kiew klar, dass der Druck auf ihr Land in diesem Jahr noch erheblich wachsen kann. Die Bundestagswahl sehen die ukrainischen Politiker eher gelassen: Angela Merkel gilt ihnen zwar als Fels in der Brandung, wenn es um die Beibehaltung der Russland-Sanktionen der EU geht. Aber auch Martin Schulz sehen sie als zuverlässigen Partner.
    Viel bedrohlicher erscheint die Präsidentschaftswahl in Frankreich. Marine Le Pen mache ja kein Hehl aus ihrer Nähe zu Russland, sagt Mykola Sunhurowskyj vom Rasumkow-Zentrum:
    "Die Ukraine muss sich darauf vorbereiten, dass sie nicht nur von Russland unter Druck gesetzt wird, sondern auch von ihren Partnern im sogenannten Normandie-Format. Statt uns zu unterstützen, wird es heißen: 'Jungs, sucht den schmerzhaften Kompromiss mit Russland'. Zumal wir ja auch für Enttäuschungen sorgen. Der Kampf gegen die Korruption geht viel zu langsam voran, wir sind ja sogar selbst unzufrieden."
    Mögliche "schmerzhafte Kompromisse" hat im Januar schon der ukrainische Stahl- und Medienoligarch Wiktor Pintschuk angesprochen. Seine Vorschläge lauten: Die Ukraine könne darauf verzichten, mittelfristig EU- und Nato-Mitglied zu werden. Sie könnte das Thema Krim-Annexion von der Tagesordnung nehmen. Und auch Pintschuk trat für baldige Kommunalwahlen im Donezbecken ein, während dort de facto noch Russland das Sagen hat. In der Ukraine jedoch stießen diese Vorschläge auf beinahe einhelligen Widerstand.
    Große Ratlosigkeit in der Bevölkerung
    Auch Gedankenspiele, die Ukraine solle einfach auf die Separatistengebiete verzichten, sind nicht populär. 70 Prozent der Ukrainer wollen, dass ihr Land seine Grenzen behält. Wer sich in Kiew auf dem Unabhängigkeitsplatz umhört, trifft wieder auf jenes Gefühl, das auch im Dorf Newelske, an der Frontlinie, vorherrscht: Ratlosigkeit. Der 37-jährige Kameramann Serhij, der gerade eine Pause macht:
    "Auf alle Fragen zur Zukunft würde ich am liebsten nicht mehr antworten sondern schweigen. Ich sehe einfach kein Ende des Krieges, es fehlt ein Momentum, das irgendwie eine Lösung bringen könnte. Wir gewöhnen uns auch einfach an diesen Zustand, er wird Teil unseres Lebens. Wir gewöhnen uns an Todesopfer. Vor vier Jahren wäre mir das schrecklich vorkommen. Aber wenn es so nach und nach geschieht, dann ist das einfach, wie es ist."