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Palliativmedizin
Schmerzlinderung als Teil ärztlicher Heilkunde

Die Bundesregierung will die sogenannte Palliativmedizin stärken. Sie verspricht eine bessere Schmerzbehandlung und erweiterte Hilfen für schwerkranke Menschen. Noch immer gibt es zwei Welten: die klassische Medizin und die Palliativmedizin. Medizinethiker fragen sich: Gehört beides zusammen - oder nicht?

Von Burkhard Schäfers |
    Ein jüngerer Mensch umfasst das Armgelenk einer älteren Person, die im Krankenbett liegt.
    Klassische Medizin und Palliation dürften nicht länger zwei Welten sein, fordern manche Mediziner. (picture alliance / dpa / Jm Niester)
    Herzprobleme, Lungenerkrankungen, Krebs - wenn Menschen schwer krank werden, hoffen sie auf Heilung. Aber nicht immer ist diese möglich. Ärzte sind dann oft sprachlos, versuchen eine Therapie nach der nächsten. Und wenn sie meinen, gar nicht mehr helfen zu können, verweisen sie aufs Hospiz. Ein verkehrter Ansatz, findet Norbert Schmacke, Sozialmediziner an der Universität Bremen:
    "Es ist weithin noch so, dass in zwei Etappen gedacht wird: Es gibt die eine Etappe - das ist die richtige Medizin. Und die kommt dann urplötzlich und unerwartet an ihre Grenzen. Dann treten auf einmal die Palliation und die Hospize ins Leben. Das sind Parallelwelten, die da nebeneinander stehen. Das funktioniert nicht."
    Palliation steht für Linderung von Leiden, die klassische Medizin dafür, jemanden wieder vollständig zu heilen. Zwar sei die heutige Medizin um Klassen besser als noch vor wenigen Jahrzehnten. Und entsprechend würden die Patienten auch mehr erwarten, sagt der Sozialmediziner. Das aber führe allzu oft zu unrealistischen Versprechen:
    "Das koppelt sich nach meiner Überzeugung daran, dass häufig versäumt wird, rechtzeitig mit Kranken und ihren Angehörigen darüber zu reden, wie die Prognose einer Erkrankung ist. Und dass dann so ein Prozess einsetzt: Man fängt an zu behandeln, wenn Schema eins nicht funktioniert, nimmt man Schema zwei, nimmt man Schema drei, und und und. Kranke verlassen sich schlicht darauf, was Ärzte ihnen sagen, und da hapert es oft."
    Eingeengte Sicht aufs eigene Fach
    Ärzte sollten häufiger die Grenzen der Medizin ansprechen und erreichbare Therapie-Ziele vereinbaren, fordert Professor Schmacke. Der Bremer Gesundheitswissenschaftler kritisiert, viele Mediziner hätten eine eingeengte Sicht aufs eigene Fach: Ein Selbstverständnis, das alles andere als die Heilung als Niederlage betrachtet. Mit der Folge, dass viele Ärzte abschätzig auf Palliativmedizin hinabblickten.
    "Es wird häufig verkürzt so verstanden, dass Palliation sich darum kümmert, in den letzten Krankheitsstadien das Leben erträglicher zu machen, vor allem die Schmerzen zu lindern. In einem erweiterten Verständnis geht es aber darum, frühzeitig mit Kranken zu besprechen, welches vernünftige Therapieziele sind. Vernünftig im Sinne von: Von der Medizin auch einzulösen."
    Klassische Medizin und Palliation dürften nicht länger zwei Welten sein - so Schmackes Appell. Vielmehr müssten palliative Ansätze in den medizinischen Alltag integriert werden - sprich im Krankheitsverlauf deutlich früher zum Tragen kommen. Immer noch sei unter Ärzten der Satz verbreitet: "Wir können nichts mehr für Sie tun, suchen Sie sich einen Platz im Hospiz."
    "Dieser Satz darf nicht fallen. Es kann nicht sein, dass die Medizin so tut, als sei sie für Heldenhaftes zuständig. Und wenn es eng wird, wenn die Angst kommt, was wird aus mir, dass dann auf einmal Palliativteams zuständig sind, auf die man dann die Patienten sozusagen abschiebt. Ich finde, das ist unerträglich."
    Kritik von Medizinethikern
    Einige Medizinethiker sehen das anders. Sie sagen, klassische Medizin und palliative Ansätze auseinanderzuhalten, das habe auch Vorteile. Diese Position vertritt Reiner Anselm, evangelischer Theologe und Ethik-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München:
    "Ich denke, es hat schon seinen guten Grund zu sagen, die Medizin ist nicht in ihrer ersten Priorität Palliativmedizin."
    Der Medizinethiker führt einen Vergleich aus dem Fußball an:
    "Ein Trainer, der schon vor dem Spiel an seine Mannschaft palliativmedizinisch rangeht und sagt, wir werden die Niederlage schon verkraften - das ist sicherlich nicht die richtige Strategie. Trotz alledem gilt für besagten Trainer auch: Wenn man trotzdem nicht gewonnen hat, muss man in der Lage sein, das auffangen zu können."
    Reiner Anselm ist dafür, die Durchlässigkeit zwischen traditioneller und Palliativ-Medizin zu erhöhen. Wobei die Schulmedizin auch eine entscheidende Stärke habe: Sie betrachte den menschlichen Körper gleichsam als Maschine, die es zu reparieren gilt. Diese Sicht trennt konsequent Person und Krankheit. Dem gegenüber berücksichtigt die Palliativmedizin neben körperlichen Defiziten auch psychologische, soziale und spirituelle Dimensionen.
    "Die Ganzheitlichkeit klingt immer gut, heißt aber auch, dass die Vorstellung davon, wie das Leben zu führen ist, was ein gutes Leben oder gutes Sterben ist, gibt man in die Hand von anderen. Während die traditionelle Medizin eher in der Sprache der Ethik sich auf das Richtige statt auf das Gute verlegt hat. Was das für Konsequenzen für die individuelle Lebensführung hat, behandeln wir nicht."
    Klassische Medizin schützt die Freiheit des Einzelnen
    Wenn also jemand mit Lungenkrebs weiter raucht oder ein Herzinfarkt-Patient auch künftig 60 Stunden in der Woche arbeitet, ist das seine Entscheidung. Insofern schütze die klassische Medizin die Freiheit des Einzelnen. Sollten Palliativ-Methoden fest integriert werden, habe das Folgen.
    "Gerade da, wo es um Arbeitsbelastungen oder Stressfaktoren geht, gibt es leicht so eine Art Grenzüberschreitung. Wohlgemeint kommt man dann dazu, dem Einzelnen eine bestimmte Form des guten Lebens vorzuschreiben. Ob das der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Und deswegen diesen Aspekt des Freiheitsdienlichen der traditionellen Medizin, den muss man mit berücksichtigen. "
    Es geht um die Frage: Was ist gutes Sterben? Da könne man durchaus zu anderen Antworten kommen als die Palliativmedizin, meint der Münchner Theologe, der die Freiheit des Einzelnen betont, auch die Freiheit des Sterbenden:
    "Wir haben eine ganze Reihe von Menschen - wie wir aus Umfragen wissen - die das Ideal haben: Ich will Vollgas bis zum Schluss, und dann will ich umfallen. Man kann daraus, glaube ich, nicht ableiten, dass das gute Sterben das bewusste Sterben ist. Also man muss sich dessen noch mal bewusst werden, Grenzen respektieren, auch das Leid annehmen. Das ist immer gut, wem das gelingt, aber man kann das nicht zum Standard machen. Und diese Gefahr muss man schon auch thematisieren. "
    Bundestag entscheidet im Frühsommer
    Eine andere Angst hingegen gilt nach Auffassung vieler Experten inzwischen als widerlegt, sagt der Bremer Sozialmediziner Norbert Schmacke: Nämlich, dass in der Palliativbehandlung starke Schmerzmittel wie Opiate das Leben Schwerstkranker verkürzen könnten.
    "Da mehren sich jetzt die Untersuchungen, die genau das Gegenteil sagen. Also dass der Verzicht auf hyperaggressive Therapie und die Inanspruchnahme von Lebensqualität verbessernden Ansätzen tatsächlich die Chancen von den Kranken - auch bezogen auf den ja heiß begehrten Punkt, wie lange lebe ich noch - eher günstiger sind, als wenn man in herkömmlicher Weise aggressiv tätig wird."
    Im Frühsommer will der Bundestag über ein Gesetz zur Stärkung der Palliativmedizin diskutieren. Die Ziele: Zusätzliche palliative Einrichtungen gerade im ländlichen Raum, höhere Zuschüsse der Krankenkassen, eine intensivere Hospizkultur in Kliniken und Heimen. Zu Beginn des kommenden Jahres könnte das Gesetz in Kraft treten. Das jedoch sei nur ein erster Schritt, meint Gesundheitswissenschaftler Schmacke:
    "Die Grenzen dieser Bemühungen liegen da, dass sie vermutlich noch nicht dafür sorgen, dass diese Parallelwelten tatsächlich beseitigt werden können. Wo man gucken muss, wie diese Verbindung von Spezialisten in Kardiologie, Neurologie, Onkologie und Leuten mit Erfahrung in Palliation - wie die besser kooperieren können. Da muss man mehr drüber wissen, dafür muss man auch schlicht mehr Geld ausgeben."