Sven Töniges: Was bedeutet dieser Papstbesuch für Paraguay?
Fernando Lugo: Nun, ich persönlich glaube, dass dieser Papstbesuch tatsächlich etwas Reinigendes, so etwas wie ein Zeichen für Demut und Bescheidenheit sein wird. Denn schon der persönliche Lebensstil dieses Papstes sagt mehr als aus als viele Worte. Außerdem kennt Monseñor Bergoglio, Papst Franziskus, sich in vielen Themen aus, er muss als Papst global denken. Und für uns ist es besonders wichtig, dass er selbst aus Lateinamerika kommt. Er kennt die Armut hier, die durch ein skandalös ungerechtes System produziert entstanden ist. Er hat inmitten des Elends in Buenos Aires gelebt, inmitten des Elends auf den Straßen Lateinamerikas. Daher ist er sehr empfindsam für Leid und für Unrecht. Und das kennzeichnet sein Pontifikat.
Töniges Kann das bedeuten, dass ein Lateinamerikaner an der Spitze der katholischen Kirche auch die Vorstellungen der Befreiungstheologie, die in Lateinamerika entstanden ist, noch einmal neu beleben könnte?
Lugo: Es gab ja nie nur eine einzige Linie der Theologie der Befreiung. Es gab immer mehrere Spielarten der Befreiungstheologie auch in anderen Ländern der Dritten Welt. Die Befreiungstheologie hat den lateinamerikanischen Kontinent irgendwann überschritten. Das hatte ja bereits Johannes Paul II. anerkannt, indem er in einem Brief an das brasilianische Episkopat die Befreiungstheologie als universales Erbe der Kirche bezeichnete. Aber natürlich ist die Theologie der Befreiung ursprünglich eine lateinamerikanische Theologie. Sie stammt von unserem Kontinent, der nun einmal geprägt ist von Verfolgung, Armut und Unrecht. Dieser Kontinent hat eine eigene Denkungsart hervorgebracht, im theologischen Sinne. Diese wird von der Gesamtkirche nun anerkannt – die Anerkennung kam spät, aber sie kam. Und die Theologie der Befreiung ist ja keineswegs tot. Die erste Phase der Entstehung und die ersten Aktivitäten gehören der Vergangenheit an, aber die Theologie der Befreiung wird weiter Bestand haben.
Töniges: Trotz vieler negativer Beispiele auf dem Kontinent "Lateinamerika" gibt es doch auch hier in der Kirche eine 500-jährige Tradition von Geistlichen, die sich ich für die Unterdrückten eingesetzt haben.
Lugo: Dass es seit Bartolomé de las Casas, dem Beschützer der Indios, in der Kirche stets Pfeiler gab, Priester, Missionare, die auf Seiten der Klasse Ausgeschlossenen, der Armen standen, ist für uns besonders wichtig. Daran wird vermutlich auch der Papst noch einmal erinnern. Auf jeden Fall kennt er diesen Teil unserer Geschichte sehr gut. Das hat eine lange, gute Tradition - auch wenn es nicht die offizielle Linie der Kirche war. Das gilt auch hier für Paraguay.
Fernando Lugo war bis 2005 katholischer Bischof der Diözeses San Pedro im verarmten Zentrum des Landes. 2008 wurde unterstütz von einem Linksbündnis Staatspräsident von Paraguay, nachdem er sich von Rom in den Laienstand versetzen lassen hatte. Der Senat des Landes beendete im Juni 2012 Lugos Amtszeit vorzeitig. Begründet wurde seine Amtsenthebung mit blutigen Bauernprotesten. Lugos Nachfolger, Horacio Cartes, gehört der Langzeit-Regierungspartei "Colorado" des Diktators Alfredo Stroessner (1954-1969) an. Der heute 64-jährige Lugo mischt als Senator weiterhin mit in der paraguayischen Politik.