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Papsttum
Die Petrus-Tradition unter der Historiker-Lupe

Seit mehr als 1800 Jahren wird in Rom eine genau bezeichnete Stelle auf dem vatikanischen Hügel als Grab Petri verehrt, heute steht dort der Petersdom. Doch ob der von Jesus in seine Nachfolge berufene Apostel auch wirklich jemals in Italiens Hauptstadt war, ist umstritten - bis heute.

Von Monika Konigorski |
    Petersdom im Rom
    Der Petersdom im Rom - unter dem Petrus begraben liegen soll. (dpa / picture alliance / ANSA / Mario_De_Renzis)
    "Ein Diskussionspunkt ist es, dass wir natürlich nur eine bestimmte Zahl an Quellenbelegen, an schriftlicher Überlieferung haben, und dass diese schriftliche Überlieferung nicht im Sinne eines modernen Historikers etwa protokollartig zusammenstellt: Petrus ist am so und so vielen des Jahres soundso in Rom eingetroffen – er hat der Gemeinde vorgestanden – er ist dann unter Kaiser Nero verhaftet worden und hat das Martyrium im Jahre soundso erlitten – er ist begraben worden im Rom. Und keine einzige Quelle fügt diese einzelnen Details, einzelnen Zeugnisse zusammen, wie eine moderne protokollarische Quelle es machen würde. Sondern wir haben jeweils nur einzelne Fakten, die überliefert werden, die zwar, wenn man sie zusammennimmt ein Gesamtbild ergeben, aber nicht in den einzelnen Schriften."
    Sagt der christliche Archäologe Hugo Brandenburg. Er ist korrespondierendes Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts sowie Mitglied der römischen päpstlichen Akademie der Archäologie. Gerade dass es kein eindeutiges Gesamtbild der Situation des Apostels Petrus in Rom gibt, ist von kritischen Stimmen immer wieder herausgestellt worden.
    Zeugnis der Schrift oder kirchliche Tradition
    Die Apostelgeschichte wie auch andere Schriften des Neuen Testaments sprechen nicht deutlich davon, dass Petrus sich tatsächlich in Rom aufgehalten hat. So zweifelten schon die Waldenser, eine Laienbewegung um Petrus Valdes aus dem 12. Jahrhundert, an der Anwesenheit Petri in Rom. Für sie war nur das Zeugnis der Schrift maßgeblich und nicht die kirchliche Tradition.
    Historiker nehmen die Petrus-Tradition seit Ende des 19. Jahrhunderts kritisch unter die Lupe. Der protestantische Kirchenhistoriker Karl Heussi bestreitet im Jahr 1955, dass sich Petrus überhaupt in Rom aufgehalten habe. Der katholische Bibelwissenschaftler Joachim Gnilka hält es immerhin für möglich, dass Petrus eine Leitungsfunktion in der Christengemeinde in Rom innegehabt hat und dort unter Kaiser Nero gestorben ist. Dass Petrus aber Bischof von Rom gewesen sein soll, hält Gnilka für unbestätigt. Der Altphilologe Otto Zwierlein bestreitet sämtliche literarische Anhaltspunkte dafür, dass Petrus in Rom gewesen ist und betrachtet die entsprechende altkirchliche Überlieferung als fiktional. Anders die momentane Forschung:
    "Die aktuelle Forschungsmeinung ist eigentlich der Überzeugung, dass Petrus in Rom gewesen ist, dass er in Rom gelehrt hat, die Lehre Christi gelehrt hat, und dass er dafür auch das Martyrium erlitten hat und in Rom begraben worden ist."
    Brandenburg weist auch darauf hin, dass in der Debatte um die die Rom-These bestätigenden Aussagen in den frühen Zeugnissen ein Aspekt viel zu wenig beachtet werde:
    Protokolle von Märtyrerverurteilungen
    "Wenn wir bedenken, dass diese einzelnen Aussagen unter einem bestimmten Aspekt eben auch gesagt worden sind, nämlich die, den rechten Glauben, den Petrus gelehrt hat, am Ort deutlich zu machen, dass er dafür das Martyrium erlitten hat, dass allein diese Aussage genügte, um gegenüber den Andersgläubigen, den Häretikern, nun darzulegen und zu beweisen, dass man etwa in Rom aber auch in anderen Städten wie in Korinth – etwa auch das Korinth, das von dem Apostel Paulus eben gegründet worden ist -, dass man da an der richtigen Lehre im Gegensatz zu den Häretikern, festgehalten hat."
    Eine wichtige Quelle dafür ist Tertullian. Der Kirchenlehrer des zweiten Jahrhunderts gibt in seinen Schriften den Hinweis: Wer Zweifel habe an der Glaubwürdigkeit des Todes Petri und der Apostel, der brauche nur in das römische Staatsarchiv zu gehen, um dort die Protokolle der Prozesse einzusehen, die von allen Gerichtsverhandlungen der römischen Gerichtsbarkeit angelegt wurden.
    "Und das entsprach eben dem römischen Rechtssystem, und so haben wir auch von Märtyrerverurteilungen einige Protokolle in den Leidensgeschichten, in den Passionen, der Märtyrer, die sind uns überliefert – leider nicht von den zweifellos ursprünglich vorhandenen Protokollen, von Petrus und Paulus."
    Auch heidnische Quellen erwähnen diese Protokolle, so der Archäologe.
    "So haben wir darin also eigentlich ein unwiderrufliches Zeugnis für das Martyrium, und in diesem Falle für das Martyrium Petri in Rom."
    Der niederländische Kunsthistoriker Sible de Blaauw ist gleichwohl zurückhaltender. De Blaauw arbeitet als Professor für frühchristliche Kunst und Architektur an der Universität Nijmegen. Er setzt sich mit den Thesen des Altphilologe Otto Zwierlein auseinander:
    Lücke von 100 Jahren bleibt
    "Die Forschungen von Herrn Zwierlein sind sehr wichtig, weil das geht wirklich um die literarischen Quellen. Aber er hat die Neigung, den wichtigen Bestand aus den literarischen Quellen über die Anwesenheit Petri in Rom erst im späteren zweiten Jahrhundert anzusetzen. Während wir archäologisch wissen, dass es damals schon eine Stätte gab, an den vatikanischen Hügeln, wo eben Petrus verehrt wurde. Das ist eine klare Sache, archäologisch gesehen. Und ich hab alle Gründe anzunehmen, dass das nicht eine Erfindung der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts ist, aber schon eine längere Tradition am Ort gewesen ist."
    Dennoch bleibe auch so eine Lücke von etwa 100 Jahren, zwischen dem angenommenen Tod Petri in den Sechzigerjahren und den archäologischen Zeugnissen der Verehrung des Ortes seines Martyriums im römischen Circus, wo unter Nero Christen den wilden Tieren vorgeworfen oder gekreuzigt wurden.
    "Wir wissen ja überhaupt nichts von den Umständen. Petrus war ein Verbrecher vor dem römischen Gesetz. Hat er überhaupt ein Grab gehabt. Haben Christen in Rom – wie viele waren das in dem Moment – überhaupt gewusst, darüber eine Erinnerung bilden können? Das sind alles Fragen, die wir nicht beantworten können. Wir können nur auf der anderen Seite im Laufe des zweiten Jahrhunderts sehen, dass man eine bestimmte Assoziation mit Petrus Tod hatte – an der Stätte an den vatikanischen Hügeln. Und das kann natürlich sehr gut mit dem Circus zusammenhängen. Deswegen gehe ich davon aus, dass hier tatsächlich eine sehr alte Tradition ist. Aber ich kann einfach nicht mit Sicherheit sagen, dass die auf einem Sterben von Petrus in Rom gegründet ist – oder auf irgendwelche andere Assoziationen, die mit Petrus in Rom zu tun haben."
    Grab Petri wird seit 1800 Jahren verehrt
    Aus historischer Sicht ist die Anwesenheit des Apostels Paulus in Rom dagegen ungleich sicherer. Sie, so erklärt de Blau, könnte auch für die Erinnerungsbildung in Rom von großer Bedeutung gewesen sein. Das Gedenken an Paulus und dessen Sterben für den Glauben hätte dann möglicherweise das Vorbild geliefert für eine ähnlich praktizierte Petrus-Erinnerung.
    "Pauli Anwesenheit in Rom war wohl sehr bedeutend. Und dass irgendwo damit auch eine Anwesenheit Petri verknüpft wurde, entweder fiktiv oder real – ich finde das eigentlich auch nicht sehr wichtig – das kann man sich vorstellen. Die Kirche Roms konnte nicht nur eine Kirche Pauli sein, sondern musste irgendwie auch eine Kirche Petri sein."
    Fest steht, dass seit mehr als 1800 Jahren eine genau bezeichnete Stelle auf dem vatikanischen Hügel in Rom als Grab Petri verehrt wird. Kaiser Konstantin ließ hier in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts eine Basilika bauen. Sie wurde Anfang des 16. Jahrhunderts abgerissen. Heute steht hier der Petersdom. Dort ließen sich vom 6. Jahrhundert an auch jene beerdigen, die sich bis heute als Nachfolger Petri verstehen: die Päpste.