Die etablierten Parteien bemühen sich kaum um religionskritische Wähler, sagt der Politikwissenschaftler Jöran Klatt vom Göttinger Institut für Demokratieforschung:
"Sie tun das nicht, weil das Religionsthema nach wie vor für sie ein Dilemma darstellt. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Kirchen natürlich einen viel größeren Organisationsgrad haben. Das ist einfach historisch so. Nichtsdestotrotz werden die Konfessionslosen und Atheisten ja immer mehr. Und das wird natürlich auch immer attraktiver für die Parteien, was sie allerdings nicht aus dieser Dilemma-Situation befreit."
Kirchen als Partner der Parteien
Das Dilemma sieht wie folgt aus: Wer um Atheisten wirbt, könnte religiöse Wähler verprellen. Deshalb macht keine Partei Klientelpolitik für Religionskritiker. Selbst bei der Linkspartei, die aus der SED hervorgegangen ist und sich in einer Tradition aggressiver Kirchenkritik sehen könnte, selbst hier gibt es Schnittmengen mit den Kirchen, etwa in der Friedens- und der Flüchtlingspolitik, erklärt Jöran Klatt.
"Wenn eine Partei anfängt, die Kirchen zu kritisieren, hat sie auf der anderen Seite auch sofort immer wieder ein Argument, warum man eigentlich die Kirchen braucht und warum man doch eigentlich die Kirchen auch wieder als einen Bündnispartner haben sollte."
Auch sonst haben Religionskritiker und Atheisten in Deutschland keine schlagkräftige gesellschaftliche Vertretung. Es gibt den "Humanistischen Verband", den "Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten" oder die "Giordano-Bruno-Stiftung". Aber sie alle führen mehr oder weniger ein Nischendasein und haben nur begrenzt politischen Einfluss.
Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften
Das geht auch der Partei der Humanisten so, die sich vor drei Jahren gegründet hat. Sie will den Religionsfreien eine hörbare Stimme in der Politik geben, erklärt Generalsekretär David Helmus:
"Wir haben uns eigentlich getroffen über - ganz klassisch - Internetforen und sind einfach zu Diskussionen gekommen und oft war einfach das Thema die Trennung zwischen Staat und Kirche und die aktuelle Situation in Deutschland: Politiker stellen sich gerne neben Religionsführer. Da sehen wir eine relativ große Problematik - und dadurch haben wir uns dann halt zusammengefunden."
David Helmus macht eine Ausbildung zum Fachinformatiker. Die Trennung von Staat und Kirche reicht ihm und seinen Mitstreitern in ihrer jetzigen Form nicht aus. Sie fordern: Zahlungen des Staates an die Kirchen einstellen, Religionsunterricht durch Ethikunterricht ersetzen, den Gottesbezug aus dem Grundgesetz streichen.
Aber die Humanisten wollen keine Ein-Themen-Partei sein. Sie fordern etwa, Sterbehilfe oder den Gebrauch von Cannabis zu erleichtern - und sie wollen ein Grundeinkommen für alle. Solche Ansichten finden sich auch bei anderen Parteien, doch von denen fühlen sich die Humanisten nicht mehr vertreten, sagt David Helmus. Wegen deren Haltung zu den Kirchen.
"Von dem Wandel halt auch der Grünen und der SPD weg von einer klerikal-kritischen Position hin zu einer eher so sehr, sehr freundlichen Position sind wir enttäuscht. Das kann man so sagen."
Die Partei der Humanisten hat derzeit fünf Landesverbände: in Berlin, Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Niedersachsen soll bald dazukommen. Bundesweit zählt die Partei rund 260 Mitglieder. "Freiheit. Fairness. Fortschritt" ist ihr Motto. Was also bedeutet für die Partei der Begriff Humanismus? David Helmus sagt: den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
"Wenn es darum geht, was ist gut, was ist ein gutes Leben, was ist wahr, dann fragen wir nicht höhere Wesen, sondern wir schauen uns tatsächlich an: Was hat der Mensch für Bedürfnisse? Wie kann man Leiden verringern und im Gegensatz Freude erhöhen? Und wenn es um Wahrheit geht, dann ist das natürlich auch ein starker Drang aus der Aufklärung heraus, dass man sich eben die Natur anschaut, die Empirie und über die wissenschaftlichen Methoden versucht zu erklären, was tatsächlich ist."
Wissenschaftliche Erkenntnisse würden in Deutschland oft nicht genug berücksichtigt. Politiker würden stattdessen ihre Entscheidungen an christlichen Positionen orientieren, kritisieren David Helmus und seine Partei:
"Wir haben eine starke Tendenz in Deutschland dazu, bei Fragen wie der Präimplantationsdiagnostik oder der Sterbehilfe eher dem religiösen Bild zu folgen, und da ist es unser Bestreben, den Fakten ein bisschen mehr Kraft zu geben."
"Viele wissen Bescheid, was Humanismus ist"
Wie kommen solche politischen Positionen in der Bevölkerung an? Viele Menschen hätten offene Ohren dafür, sagt Sandra Pacholke. Die Ingenieurin ist Landesvorsitzende der Partei der Humanisten in Berlin.
"Also sehr viele wissen schon Bescheid, was Humanismus ist hier in Berlin. Manche sagen dann auch definitiv: 'Nee, das ist nichts für mich. Ich möchte schon eher ein christliches Weltbild vertreten.' Das ist ja dann auch in Ordnung, aber es ist tatsächlich so: Die Berliner wissen damit was anzufangen und verwechseln uns nicht mit christlichen Humanisten zum Beispiel, die gibt es ja auch. Also das ist relativ einfach."
Mit dem Kernanliegen der Partei, der stärkeren Trennung von Staat und Kirche, kann man in Berlin allerdings kaum punkten, sagt Sandra Pacholke:
"Die Trennung von Staat und Kirche ist gar nicht mehr wirklich auf dem Schirm. Denn für die meisten Berliner findet Kirche ja nicht wirklich statt. Man sieht hier von Religion gar nichts mehr."
"Parteien dazu zwingen, das Thema endlich ernst zu nehmen"
Trotzdem - oder auch deswegen - hat es die Partei der Humanisten im vergangenen Jahr nicht geschafft, bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus anzutreten. Sie hat nicht genügend Unterschriften von Wahlberechtigten sammeln können, um auf die Stimmzettel zu dürfen. Bei der Bundestagswahl im September soll das besser klappen. Das wäre das erste Mal: Die Partei hat noch nie an einer Wahl teilgenommen.
"Momentan ist erst einmal das nächste Ziel, der nächste Etappensieg die Teilnahme an der Bundestagswahl. Dafür tun wir momentan alles und würden das natürlich auch sehr gerne erreichen. Und was danach kommt, werden wir sehen."
Erklärt Torben Pöllmann, stellvertretender Vorsitzender im Landesverband Hessen und angehender Lehrer. Und David Helmus ergänzt:
"Wir rechnen nicht damit, eine Volkspartei zu werden und nicht mal unbedingt in den Bundestag zu kommen. Das ist einfach ein Riesenweg. Es reicht vollkommen, wenn wir es schaffen, das Thema zu besetzen und die anderen Parteien dazu zwingen, das Thema endlich ernst zu nehmen und auch zu reagieren."