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Parteienwechsel Elke Twesten
"Dass die CDU dieses Spiel mit macht, finde ich skandalös"

Der Parteienwechsel der niedersächsischen Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU sei der Versuch, den Wählerwillen in Niedersachsen zu verfälschen, sagte der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil im Dlf. Es sei richtig, zu vorgezogenen Neuwahlen in Niedersachsen zu kommen - davor habe die SPD keine Angst.

Hubertus Heil im Gespräch mit Rainer Brandes |
    SPD-Generalsekretär Hubertus Heil in Berlin im Willy-Brandt-Haus.
    SPD-Generalsekretär Hubertus Heil (picture alliance / Kay Nietfeld/dpa)
    Rainer Brandes: Da hat man schon kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu! In sieben Wochen ist Bundestagswahl und für die SPD sieht es wirklich nicht gut aus. Und jetzt droht ihr auch noch völlig unerwartet der Machtverlust in Niedersachsen, weil eine grüne Abgeordnete die Seiten wechselt zur CDU – jedenfalls will Elke Twesten das aus Frust darüber, dass ihre Partei sie nicht wieder aufgestellt hat für die Landtagswahl im kommenden Januar. Damit ist die Ein-Stimmen-Mehrheit für Rot-Grün weg, Ministerpräsident Stephan Weil strebt Neuwahlen an. Am Telefon ist jetzt live Hubertus Heil, Generalsekretär der Bundes-SPD, und er ist selbst Niedersachse. Guten Morgen, Herr Heil!
    Hubertus Heil: Schönen guten Morgen, Herr Brandes!
    Brandes: Nach den Erfahrungen der letzten Landtagswahlen – mit der Ankündigung von Neuwahlen konnte Stephan Weil der CDU eigentlich kein größeres Geschenk machen, oder?
    Heil: Nein. Ich finde, dass Stephan Weil gestern stark und souverän reagiert hat auf die Lage. Denn worum geht es denn eigentlich? Da hat eine ehemalige Grünen-Abgeordnete jetzt angekündigt, zur CDU zu wechseln. Und das ist der Versuch, den Wählerwillen in Niedersachsen zu verfälschen, denn die Mehrheit hat bei der Landtagswahl Rot-Grün gewählt. Die CDU macht dieses unwürdige Spiel mit und ich finde, das war eine klare Reaktion darauf. Es wird sich ja in den nächsten Tagen auch zeigen, wie lange diese Abgeordnete mit der CDU schon darüber gesprochen hat. Also, ich finde es richtig, was Stephan Weil gesagt hat: Jetzt ist nicht die Stunde der Intriganten, sondern das Volk in Niedersachsen muss jetzt entscheiden, wie es weitergeht.
    Brandes: Jetzt haben Sie auch gerade "Intriganten" gesagt, auch Stephan Weil hat gestern von Intrige gesprochen. Ist das nicht ein bisschen hoch gesprochen für den Übertritt einer einzelnen Abgeordneten aus eigenen, persönlichen Gründen?
    Heil: Ja, die eigenen, persönlichen Gründe haben ja mit eigenen, persönlichen Interessen zu tun. Die Abgeordnete ist ja offensichtlich nicht mehr aufgestellt worden und hat aus Frust oder aus Eitelkeit dann tatsächlich die Partei gewechselt, ohne sozusagen wirklich politische Begründung, ohne Anlass. Ist über die Landesliste gewählt worden, …
    Brandes: Na ja, politische Begründung … Sie hat gesagt, sie hat sich schon länger von den Grünen entfremdet, sie hat eine bürgerliche Grundstruktur, wie sie das formuliert hat, da kann sie als freie Abgeordnete doch sagen: Ich gehe jetzt zur CDU!
    "Die spannende Frage: Ist es legitim?"
    Heil: Das kann sie machen, das ist auch legal, das ist gar keine Frage. Die spannende Frage: Ist es legitim? Denn Tatsache ist, dass die Wählerinnen und Wähler mehrheitlich in Niedersachsen Rot-Grün gewählt haben und dass sie offensichtlich nicht akzeptieren können, dass auch in Parteien demokratische Entscheidungen da sind. Sie ist in ihrem Wahlkreis einfach nicht wieder aufgestellt worden von der Basis. Das ist Demokratie. Und da hat sie gesagt, nutzt sie jetzt diesen Übertritt an dieser Stelle. Ich finde das tatsächlich einen hoch unwürdigen Vorgang. Und dass die CDU dieses Spiel mit macht, finde ich auch skandalös. Deshalb noch mal: Ich finde es richtig, dass Stephan Weil gestern klar reagiert hat. Die Menschen in Niedersachsen – ich bin Niedersachsen –, die werden sich ein eigenes Bild machen über diesen Vorgang, deshalb ist es richtig, zu vorgezogenen Neuwahlen zu kommen.
    Brandes: Aber zu einer Intrige gehören ja eigentlich immer zwei. Und die CDU war ja offenbar genauso überrascht davon, jedenfalls sagt sie das. CDU-Chef Bernd Althusmann sagt, er habe Elke Twesten kein Angebot gemacht, und auch der Fraktionschef Thümler sagt, er halte den Schritt für etwas kurios.
    Heil: Na ja, aber offensichtlich ist man schon seit mehreren Tagen im Gespräch gewesen. Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen, was im Vorfeld da gelaufen ist. Das werden sicherlich Journalistinnen und Journalisten auch bei der CDU erfragen. Tatsache ist, dass die Abgeordnete sich schon darüber verbreitet hat, dass sie sich Hoffnung macht auf Mandate später mal im Bundestag oder im Europäischen Parlament. Das heißt, es geht hier um sehr persönliche Interessen. Es hat jemand nicht begriffen, dass man in der Demokratie auf Zeit gewählt ist und nicht erwählt ist. Aber das ist ihre persönliche Angelegenheit. Dass die CDU das so mitmacht, das finde ich einen erstaunlichen Vorgang. Und das wird jetzt auch Gegenstand der Auseinandersetzungen bei den Landtagswahlen, weil Stephan Weil ein starker Ministerpräsident ist und der Versuch, wie gesagt, auf diesem kalten Weg den Wählerwillen zu verfälschen, sicherlich nicht gut ankommen wird.
    Brandes: Blicken wir mal auf die Bundestagswahl. Wie wollen Sie jetzt noch den Wählern erklären, dass man mit Rot-Grün stabil regieren kann?
    Heil: Also, erstens kann man das, das ist in vielen Bundesländern so, und ich glaube, dass hier halt nicht Rot-Grün sozusagen kippelig geworden ist aus inhaltlichen Gründen, sondern aus dem eben beschriebenen Vorgang in Niedersachsen, aus dieser Intrige. Deshalb noch mal: Die SPD kämpft im Bundestagswahlkampf wie eine starke SPD und dieser Vorgang wird zum Beispiel in meinem Wahlkreis in Niedersachsen meine Partei zusätzlich motivieren, und die Anhänger der SPD auch, zur Wahl zu gehen.
    Brandes: Aber Elke Twesten sagt ja auch, sie sei eine Anhängerin von Schwarz-Grün. Und drückt sie damit nicht eigentlich den allgemeinen Zeitgeist aus? Also, Rot-Grün oder gar Rot-Rot-Grün will keiner mehr, sagen die Umfragen. Winfried Kretschmann regiert in Baden-Württemberg schwarz-grün und ist einer der beliebtesten Politiker Deutschlands. Also, vielleicht denkt ja wirklich nicht nur Elke Twesten so.
    Heil: Ich glaube, dass da einiges durcheinander geht bei dem, was Sie eben gesagt haben, mit Verlaub. Denn was droht, ist Schwarz-Gelb in Niedersachsen. Die Frau ist ja von den Grünen weggegangen, also, insofern hat das jetzt mit …
    Brandes: Ja, aber im Bund ist Schwarz-Grün jetzt nicht unwahrscheinlich.
    Heil: Ja, wie gesagt, man kann alles in einem Topf rühren, einmal umrühren und daraus versuchen, eine Schlagzeile zu machen. Entschuldigung, dass ich Ihnen da widerspreche, aber in Niedersachsen ist es so, dass die Frau zu Schwarz-Gelb gewechselt ist. Und das ist genau das, was in Niedersachsen droht. Das wäre schlecht für Niedersachsen. Übrigens, das wäre schlecht auch im Bund. Sie erinnern sich ja an die vier Jahre Schwarz-Gelb noch ganz gut, das war Klientelpolitik hoch drei mit Steuergeschenken für reiche Leute, das war Sozialabbau und vor allen Dingen war es handwerkliches Unvermögen. Also, die Frage wird sein, ob es gelingt, dass die SPD nachvorne kommt für mehr Gerechtigkeit, für ein modernes Land, oder ob wir schwarz-gelbe Verhältnisse bekommen in diesem Land. Und die will wirklich keiner in der Mehrheit.
    "Viele Menschen halten das Rennen für offen"
    Brandes: Aber müssen Sie nicht befürchten, dass, wenn jetzt Neuwahlen stattfinden in Niedersachsen – es ist ja im Gespräch, das am gleichen Tag wie die Bundestagswahl stattfinden zu lassen –, dass sie dann, so wie die Umfragen im Moment aussehen, gleich doppelt verlieren: einmal die Bundestagswahl und dann auch noch das Land Niedersachsen?
    Heil: Die Frage, wann die Landtagswahl in Niedersachsen stattfindet, ist jetzt eher eine der verfassungsrechtlichen Ordnung in Niedersachsen und der Fristen. Das wird in den nächsten Tagen geklärt sein. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Wir haben vor nichts Angst, sondern wir haben eine klare Überzeugung, dass es für Niedersachsen und für Deutschland besser ist, dass eine starke SPD tatsächlich das Land nach vorne führt, auch weil Frau Merkel im Bund, auch weil der CDU-Spitzenkandidat in Niedersachsen ja wirklich keinen Plan für die Zukunft des Landes hat, weder für Niedersachsen, noch für Deutschland. Und darum geht es. Also noch mal, das …
    Brandes: Aber die meisten Deutschen – Entschuldigung, wenn ich Sie da kurz unterbreche – sehen das ja offenbar anders.
    Heil: Das werden wir …
    Brandes: Im aktuellen ZDF-"Politbarometer" sagen 80 Prozent …
    Heil: Das wissen Sie bei Wahlen.
    Brandes: … der Deutschen, CDU und CSU werden die Bundestagswahl gewinnen, nur fünf Prozent glauben, die SPD.
    Heil: Da gibt es auch andere Umfragen. Viele Menschen halten das Rennen für offen. Aber wir können jetzt gerne über Umfragen sprechen, am Ende entscheiden die Menschen bei Wahlen. Und übrigens, die sind meistens anders ausgegangen in den letzten Jahren als ein paar Wochen vorher prognostiziert. In Rheinland-Pfalz hieß es, Frau Klöckner gewinne die Wahlen, am Ende hat Malu Dreyer gewonnen. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir das auch erlebt, die sind ja zweimal gegen uns. Ich sage Ihnen, am Wahltag entscheiden die Menschen nach ihrer Überzeugung, wem sie ein Land anvertrauen, und nicht vor den Umfragen.
    Brandes: Jetzt wird es ja sehr, sehr knapp in Niedersachsen, da einen Wahlkampf zu organisieren in so kurzer Zeit. Wie wollen Sie das eigentlich in nur sieben Wochen schaffen, gleichzeitig Bundestagswahl und Landtagswahl zu stemmen?
    Heil: Na ja, das gilt ja dann im Zweifelsfall für alle Parteien, dass sie jetzt einen Wahlkampf beschleunigt machen müssen. Die regulären Landtagswahlen in Niedersachsen wären am 14. Januar gewesen, jetzt wird sich zeigen, wann die vorgezogenen Neuwahlen stattfinden, dann mit der Bundestagswahl oder ein paar Wochen später. Ich bin Niedersachse, ich weiß, dass die SPD in Niedersachsen gut aufgestellt und kampagnenfähig ist, ich komme aus einer Region, in der wir in der Regel die Direktmandate gewinnen, aus der Region Brauchschweig, also, ich kenne meine Partei. Und die wird jetzt doppelt kämpfen und das können wir auch.
    Brandes: Sagt Hubertus Heil, der Generalsekretär der SPD, heute Morgen live im Deutschlandfunk. Herr Heil, danke Ihnen für das Gespräch!
    Heil: Ihnen auch, schönen Tag!
    Brandes: Ihnen auch, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.