"21. Juli 1816. Deutschland. Wie wir vernehmen, wird aus Frankfurt unter dem 9. Julius berichtet, daß der Bundestag mit dem nächsten Monathe beginnen (...) soll. (...) So viel ist gewiß, daß der Preussische Gesandte Hr. v. Hänlein, sich kürzlich eine große Wohnung gemiethet hat."
So lasen sich Zeitungsmeldungen an dem Tag, an dem Paul Julius Reuter - unter dem Namen Israel Beer Josaphat - als Sohn eines Rabbiners in Kassel geboren wurde: Gerüchte, gestützt auf Beobachtungen von Unbekannten, zwölf Tage alt. Selbst als am 9. November 1859, 43 Jahre später, in Deutschland Reuters erste Nachricht gedruckt wurde, klangen viele Berichte noch ähnlich. Seine Meldung bildete da einen scharfen Kontrast:
"London, 8. November. ‚Reuter’s Office‘ veröffentlicht, Kaiser Alexander und der Prinz-Regent seien zu Breslau übereingekommen, weder die Revolution der Verträge von 1815 auf einem Congresse zuzulassen, noch an einem solchen ohne England theilzunehmen."
Moderner Stil
Per Telegramm, nüchtern, kurz, nur die Fakten, geschrieben von Korrespondenten vor Ort, schnell und vor allem mit einer Quellenangabe, die für Qualität und Richtigkeit bürgt: dafür stand "Reuter’s Office". Dieser moderne Stil setzte einen neuen Maßstab, krempelte in nur wenigen Jahren das Nachrichtenwesen um und prägt es bis heute. Aber wer war dieser Reuter, unter dessen Namen die Zeitungen so viele Meldungen druckten und immer noch drucken?
Aus seiner Hand ist bis heute kein Tagebuch veröffentlicht, auch keine Notiz oder ein privater Brief. Aber in den Berichten der Zeitgenossen haben sich Spuren erhalten. Spuren, die zeigen, wie sein intellektuelles Elternhaus – sein Vater hatte in Torah-Schulen in Frankreich studiert, seine Brüder wurden angesehene Professoren – sich verband mit Geschäftssinn und -verstand, mit Mut, Geschick und Ausdauer. Er war, schrieb ein Freund aus Venedig:
"klein, lebhaft, energiegeladen, mit vogelartig durchdringenden Augen, in Gesprächen immer prägnant und auf den Punkt."
Gründung des Taubenkuriers
Fast wie sein Nachrichtenstil. Bis zu seinem 35. Lebensjahr zog er mit seiner Frau kreuz und quer durch Europa, um Neues zu wagen. So gründete er zum Beispiel in Aachen einen Taubenkurier.
Mit den Vögeln überbrückte er die große Lücke in der Telegraphenlinie Paris-Berlin zwischen Brüssel und Aachen. Die Tauben brauchten für die Strecke nur zwei Stunden, der Zug dagegen gut sechs. Bis heute erinnert die Nachrichtenagentur Reuters gern daran. Doch binnen Jahresfrist lies die Preußische Regierung die Lücke per Kabel schließen. Das bedeutete das Ende für Reuters Luftpost, erinnerte sich Werner von Siemens.
"Als Frau Reuter, die ihren Gatten auf der Reise begleitete, sich bei mir über diese Zerstörung ihres Geschäftes beklagte, gab ich dem Ehepaare den Rat, nach London zu gehen und dort ein ebensolches Depeschen-Vermittlungsbuerau anzulegen, wie es gerade in Berlin begründet war. Reuters befolgten meinen Rat mit ausgezeichnetem Erfolge."
1851 zogen die Reuters nach London, gerade rechtzeitig zur Eröffnung der ersten Telegraphenleitung nach Paris. Es gelang ihnen schnell, Börsenmakler für europäische Wirtschaftsnachrichten zu interessieren. Doch es dauerte sieben Jahre, bis Reuter die britischen Zeitungen überzeugte, politische Meldungen anzunehmen. Fast hätte er aufgegeben, wie sich sein erster Kunde, James Grant, Herausgeber des Morning Advertiser, erinnerte.
"Bevor Herr Reuter ging, drückte er seine besondere Dankbarkeit über das Ergebnis unserer Unterhaltung aus und sagte, wenn ich seinem Vorschlag eine Absage erteilt hätte hätte er seiner Idee, telegraphische Nachrichten aus dem Ausland zu organisieren, aufgegeben."
Telegrafie, moderne Organisation und Korrespondentennetz
Stattdessen gelang ihm nun der Durchbruch, und sein "Office" wurde dank Telegrafie, moderner Organisation und einem großen Korrespondentennetz, dank Tempo und Unparteilichkeit zur führenden Nachrichtenagentur im Britischen Empire. Gern hätte Reuter diese Rolle auch in Deutschland gespielt. Doch er scheiterte am Widerstand Bismarcks. Mit den beiden führenden anderen Nachrichtenagenturen Europas teilte er sich danach den Weltmarkt auf.
Paul Julius Reuter selbst galt nun als Modernisierer schlechthin. 1872 gab ihm der Schah von Persien den Auftrag, sein Land zu entwickeln. Es gelang allerdings nur die Gründung einer Nationalbank, was Reuter viel Energie und seine Gesundheit kostete. 1878 gab er den Firmenvorstand an seinen Sohn ab, und lebte fortan im Winter im warmen Nizza, wo er 1899 starb.