Bei den Demonstranten sei ein tief greifender Vertrauensverlust in staatliche Institutionen festzustellen, sagte Richter. Viele Pegida-Anhänger sagten, dass sie sich nicht gehört und von oben herab behandelt fühlten. Behörden und Politiker würden im Allgemeinem angegriffen. "Man versteht auch die Umsetzung des Asylrechts nicht so recht. Das ist alles ernst zu nehmen."
Richter plädierte dafür, auf die Pegida-Anhänger zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. "Kommunikation kann schief gehen, aber Nichtkommunikation wird schief gehen", sagte er. "Ich kann nur hoffen, dass das, was auf den Straßen geschieht, bald vielerorts in einen konstruktiven Dialog mündet."
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: 18.000 Menschen waren es, die gestern in Dresden an der Demo der Pegida-Bewegung teilgenommen haben. Das war noch einmal eine kleine Steigerung gegenüber der letzten Kundgebung kurz vor Weihnachten. Die mahnenden Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache haben wohl nicht gefruchtet, vielleicht sogar im Gegenteil den einen oder anderen erst recht auf die Straße gelockt, und das, obwohl es auch in Dresden ziemlich kalt gewesen ist gestern Abend.
Frank Richter ist Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, ein ehemaliger Bürgerrechtler, war 1989 in Dresden auf den Straßen dabei, hat damals vermittelt. Und das will er heute Abend auch wieder versuchen. Er hat zum Dialog mit Pegida eingeladen. Guten Morgen, Herr Richter!
Frank Richter ist Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, ein ehemaliger Bürgerrechtler, war 1989 in Dresden auf den Straßen dabei, hat damals vermittelt. Und das will er heute Abend auch wieder versuchen. Er hat zum Dialog mit Pegida eingeladen. Guten Morgen, Herr Richter!
Frank Richter: Guten Morgen.
Meurer: Wer wird da heute Abend zu Ihrer Dialogveranstaltung kommen?
Richter: Nun ja, ich habe eine ganze Reihe von Einladungen an die Veranstalter von Pegida gerichtet. Die sind bisher alle ohne Antwort geblieben. Darüber hinaus veranstaltet die Landeszentrale natürlich Informations- und Diskussionsveranstaltungen für alle, die kommen wollen, und das wird heute Abend der Fall sein. Wir haben ein volles Haus und unter denen, die sich angemeldet haben, sind viele, die sagen, ja, wir sind Sympathisanten von Pegida.
Meurer: Woran erkennen Sie das, dass das Sympathisanten sind?
Richter: Ja, weil sie mir Briefe geschrieben haben und E-Mails. Es sind über 50, 60 Briefe bei mir eingegangen - auch Telefonate. Und viele haben sich da auch zum Teil das Herz ausgeschüttet über das, was sie bei Pegida erleben, oder über das, was sie zu Pegida treibt.
Meurer: Was treibt die Leute zu Pegida? Was geht da vor, wenn die ihr Herz ausschütten?
"Wir haben es mit einem Problemstau zu tun"
Richter: Wir haben es ganz offensichtlich mit einem Problemstau zu tun. Es sind eine ganze Reihe ganz verschiedener Probleme, die angemerkt und angebracht werden. Die zeugen zum Teil von Unverständnis über unser politisches System oder unser gesellschaftliches System. Denken Sie beispielsweise an die permanenten Rufe "Lügenpresse". Hier ist tatsächlich ein tiefgreifender Vertrauensverlust festzustellen. Es ist aber auch ein Vertrauensverlust in Institutionen. Man fühlt sich nicht richtig gehört, man fühlt sich von oben herab behandelt, man versteht auch die Umsetzung des Asylrechts nicht so recht. Das ist alles ernst zu nehmen und ich kann nur hoffen, dass das, was auf den Straßen geschieht, bald und vielerorts in einen konstruktiven Dialog mündet.
Meurer: Wer behandelt die Menschen von oben herab?
Richter: Das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, was die Menschen sagen, dass andere sie von oben herab behandeln würden. Wir müssen schon hier unterscheiden. Ich bin nicht naiv, ich nehme nicht jedes Wort, was da ankommt, für bare Münze. Es werden in der Regel Behörden oder auch Politiker ganz im Allgemeinen angegriffen, die würden ja nicht mit uns reden, die verstehen uns nicht mehr, die behandeln uns von oben herab.
Meurer: Sie haben eben gesagt, Herr Richter, da äußert sich Unverständnis über unser gesellschaftliches System. Da werden hier im Westen jetzt viele sagen, die sind nicht in der Demokratie angekommen. Was meinen Sie?
Richter: Ich spreche lieber von den noch zu zarten und nicht in die Tiefe reichenden Wurzeln des Demokratischen hier in diesem Land. Es ist tatsächlich so, dass es noch viele Fremdheiten dem Demokratischen gegenüber gibt. Das muss uns auch nicht verwundern. 25 Jahre sind dann im Prinzip doch eine zu kurze Zeit, um das Demokratische nicht nur formell zu verstehen, sondern auch zu verinnerlichen, es zu akzeptieren als eine Form des Zusammenlebens. Da ist offenbar noch viel Arbeit zu leisten.
Meurer: Zarte Wurzeln in die Demokratie hinein macht Hoffnung. Was werden Sie selbst denn sagen heute Abend?
Richter: Ich werde das sagen, was ich schon des Öfteren gesagt habe: Kommunikation kann schiefgehen, aber Nicht-Kommunikation wird schiefgehen. Wir müssen den Dialog suchen, so schwierig das auch sein mag. Die Landeszentrale hat ja nun nicht die Funktion, die politische Attacke zu fahren, sondern die Landeszentrale hat die Funktion, die Demokratie zu fördern. Und wenn ein wichtiges Element der Demokratie, nämlich die offene und faire Auseinandersetzung so schwach ausgebildet ist, ja dann müssen wir es versuchen, zu organisieren, und da gilt es, zunächst respektvoll zuzuhören, tatsächlich verstehen zu wollen, was die Menschen denken, so schwer das auch manchmal sein mag. Das muss uns ja nicht alles gefallen, darum geht es nicht. Den Menschen eine Sprache zu geben, und das leistet die Landeszentrale übrigens nicht nur heute Abend. Das geschieht vielerorts. Wir haben ein Projekt aufgelegt, "Kommunen im Dialog", das läuft über, es besteht ein großer Bedarf nach solchen Veranstaltungen der offenen Aussprache.
Meurer: Da reden Sie über Flüchtlingsheime, oder was geschieht da bei "Kommunen im Dialog"?
Richter: Das Projekt "Kommunen im Dialog" war zunächst ganz anders angedacht. Innerhalb kürzester Zeit richteten sich die Anfragen aber vor allen Dingen auf die Frage der Einrichtung von Asylbewerberheimen, und dort haben wir erlebt, dass sehr viel Unverständnis, auch Ablehnung war. Aber vor allen Dingen wurde beklagt, dass die Kommunalpolitik oder auch die Landespolitik das Problem nicht ausreichend kommuniziert, dass man sich wie gesagt von oben herab behandelt fühlt.
Meurer: Haben Sie auch Hass festgestellt, so wie die Kanzlerin?
"Aufgestaute Wut staatlichen Institutionen gegenüber"
Richter: Ja, tatsächlich. Ich habe eine ganze Reihe von hasserfüllten Anrufen bekommen. In manchen Briefen spiegelt sich das auch wieder. Da gibt es eine große Distanz und eine aufgestaute Wut staatlichen Institutionen gegenüber.
Meurer: Wenn die Pegida-Leute heute "Wir sind das Volk" singen und rufen - Sie haben das vor 25 Jahren auch getan gegen die SED -, was geht da in Ihrem Kopf heute vor?
Richter: Was in meinem Kopf vorgeht, ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir versuchen herauszubekommen, was die Menschen auf die Straße treibt. Ich bin kein Gralshüter dessen, was vor 25 Jahren geschehen ist, sondern ich möchte hier und heute die Demokratie mitgestalten.
Meurer: Viele fragen sich, warum ausgerechnet Dresden. Damals vor 25 Jahren in Dresden hat es angefangen, die Demonstrationen gegen das SED-Regime, und jetzt wieder Dresden. Da ist Pegida erfolgreich, sonst eigentlich nirgends. Warum in Dresden?
Richter: Die Dresdener gehen nicht deswegen auf die Straße, weil sie Dresdener sind, sondern wahrscheinlich haben die Dresdener oder die Menschen aus dem Umland Dresdens besonders viele Probleme. Das muss man ganz praktisch sehen. Die Autonummernschilder, die gestern hier hergekommen sind, die hatten auch nicht nur DD, sondern die hatten auch viele andere Orte, ließen andere Orte erkennbar sein. Es sind also nicht nur die Dresdener unterwegs, aber doch mehrheitlich die Sachsen, meines Eindrucks nach. Hier gehen diejenigen Menschen auf die Straße, die konkrete Probleme haben, und sie bedienen sich derselben Symbolik, ob uns das gefällt oder nicht, wie die Demonstranten vor 25 Jahren. Das sind immerhin 18.000 Menschen gestern Abend gewesen, das kann uns nicht so einfach ruhig schlafen lassen.
Meurer: Hat das etwas zu tun mit dem, was man Opfermythos der Stadt Dresden nennt, von den Alliierten in Schutt und Asche gebombt, von der SED links liegen gelassen? Liegt es auch daran?
Richter: Eine Vermischung mit dem, was wir gelegentlich um den 13. Februar in Dresden erleben, möchte ich nicht vornehmen. Die führt uns nicht so sehr weiter. Gleichwohl: Es gibt in Dresden um den 13. Februar herum eine gewisse Demonstrationskultur, auch eine Demonstrationstradition. Darüber hinaus gibt es natürlich in Sachsen eine gewisse Reserve jeder Form von Zentralismus gegenüber. Das war früher Ostberlin, jetzt ist es vielleicht auch wieder Berlin. Deshalb: Die Sachsen sind ein sich selbst als sehr homogen verstehendes Volk mit einer großen Vorliebe für ihre Kultur und für ihre Tradition, die sich oft auch verteidigen muss gegen das Fremde. Das alles spielt da rein. Aber da will ich nicht zu viel hineingeheimnissen. Ganz konkret sind es die Probleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen.
Meurer: Frank Richter, der Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, hat heute Abend zum Dialog mit Pegida eingeladen. Gestern kamen 18.000 zur Kundgebung. Herr Richter, Dankeschön und auf Wiederhören.
Richter: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.