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Pegida-Demonstrationen
"Pegida hat den Nerv der Bevölkerung getroffen"

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt hat die Reaktion von Politikern auf die Pegida-Demonstrationen kritisiert. Im Deutschlandfunk sagte er, diese hätten viel zu früh behauptet, zu wissen, worum es geht. Inzwischen würden sie zumindest das Gespräch mit den Demonstranten suchen.

Werner J. Patzelt im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Porträt von Werner J. Patzelt
    Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt. (dpa / Karlheinz Schindler)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Werner Patzelt, er ist Politikwissenschaftler an der Technischen Universität in Dresden, wo er die Pegida-Bewegung intensiv verfolgt. Guten Tag, Herr Patzelt!
    Werner Patzelt: Guten Tag, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Ist Pegida, wie wir gerade hörten, bloß ein lokales Phänomen, bloß Folklore?
    Patzelt: Es ist viel Folklore dabei, aber Pegida scheint mir nicht nur ein lokales Phänomen zu sein. Hinter Pegida versammeln sich viele, die das Gefühl haben, dass die Politik sie mit ihren Sorgen alleine lässt und jede Menge von Forderungen an einfache Leute stellt, die in den Wohnquartieren der besseren Kreise nicht so erfüllt werden.
    Dobovisek: Welche Forderungen sind das?
    Patzelt: Nicht mit allzu vielen Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen, die man vor Ort einquartiert, allein gelassen zu werden, nicht in der eigenen Lebenswelt die Veränderung dahingehend zu haben, dass die Schulen nur noch zu einem geringen Teil von deutschsprachigen oder von der Muttersprache her deutschsprachigen Kindern besucht werden - also kurzum alles das, was in Gegenden wie Ruhrgebiet oder Berlin immer wieder öffentliche Erregung zeitigt.
    Dobovisek: Warum ist Pegida dann gerade in Sachsen so stark geworden, in Dresden?
    Patzelt: Es ist die Sorge um Zuwanderungspolitik in der deutschen öffentlichen Diskussion als ein rechtes Thema kartiert. Ein anständiger Linker macht sich über Zuwanderung keine Sorge, weil er einfach weiß, dass mit gutem Willen dieser humanitäre Grundgedanke unserer Einwanderungspolitik jederzeit durchzusetzen ist. Und das heißt: Wenn man eine Massenbewegung hinbekommen will oder wenn eine bestimmte Chance dafür bestehen soll, dass eine Massenbewegung entsteht, braucht man eine größere Stadt, die überwiegend nicht links oder grün, sondern überwiegend konservativ geprägt ist. Und unter all den ostdeutschen Städten wird man kaum eine finden, die diese Kriterien so gut erfüllt wie Dresden.
    Dobovisek: Früher, als ich noch studiert habe, hieß es immer noch, hinter einer jeden solchen starken Bewegung muss auch ein mindestens ebenso starker Anführer stehen, ein zumindest charismatischer Anführer. Wo steckt der bei Pegida?
    "Pegida ist die Kristallisation von allgemeinem Volksempfinden"
    Patzelt: Das Missverständnis ist, dass Pegida eine Bewegung wäre. Pegida ist aber keine Bewegung, die um einen charismatischen Führer mit effektiven Organisationsstrukturen herum entstanden wäre. Pegida ist eher die Kristallisation von allgemeinem Volksempfinden, von der Freude und Genugtuung, endlich Dinge öffentlich zu hören, von denen man ... ((Telefonqualität schlecht)) nichts sagen und sei auch nicht so. Sie hat sich einfach laisiert um einen ziemlich beliebigen Anführer. Es ist das Ganze ja auch aus einer Facebook-Gruppe entstanden. Und wahrscheinlich ist niemand mehr überrascht vom Erfolg von Pegida als die ursprünglichen Organisatoren. Pegida hat den Nerv der Bevölkerung getroffen und hat viele von denen mobilisiert, die wir ansonsten im Wesentlichen als Nichtwähler zur Kenntnis genommen haben, als Leute, die gemeint haben, die Politiker kümmerten sich nicht um sie. Nur haben wir diese nicht in der Regel so verortet, dass sie einfach benachteiligt werden...
    Dobovisek: Herr Patzelt, ich muss an dieser Stelle kurz einmal abbrechen, wir hören Sie tatsächlich etwas zerhackt und das wollen wir nicht, wir wollen Sie komplett hören. Deshalb spielen wir noch ein paar Takte Musik, legen Sie bitte auf, wir wählen die Nummer erneut.
    Und wir sind weiter im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler aus Dresden Werner Patzelt über Pegida in Dresden, dort wird heute wieder demonstriert, und wir waren dabei stehen geblieben, bei der Hilflosigkeit und Ratlosigkeit der Politik. Welche Fehler hat denn die Politik in den vergangenen Wochen mit Pegida begangen?
    Patzelt: Der erste Fehler war, dass man schon wusste, worum es geht, bevor man genau hingesehen hat. Die ersten Interpretationen waren, dass hier die Rechtsradikalen aufmarschieren und man Neonazis und Rassisten bekämpfen muss. Im Lauf der Zeit hat man festgestellt, dass das nicht so ist, sondern dass man viele aus der üblicherweise sogenannten schweigenden Mehrheit dort findet, nicht einmal Wutbürger, sondern empörte Bürger, die sich allein gelassen von der Politik, nicht ernstgenommen und von der Öffentlichkeit als töricht, uninformiert und dumpf dargestellt empfinden. In dem Ausmaß, in dem begriffen wird, was hier tatsächlich vonstatten geht, nämlich, dass eine Art schweigende Mehrheit, eine Art abgehängte Bevölkerungsschicht hier sich artikuliert und allein durch physische Präsenz sagt, uns gibt es auch noch, wir haben auch unsere legitimen Anliegen, in dem Umfang fängt nun die Politik an, richtig zu reagieren, und das heißt, man versucht das Gespräch.
    Patzelt: Die politische Klasse hat zunehmend verstanden
    Man kann nicht sprechen mit den Organisatoren von Pegida, denn diese haben weder die Fähigkeit noch die Lust, mit Politik zu sprechen, noch haben sie überhaupt irgendein Mandat, weil ja Pegida keine Bewegung, sondern eine lose periodische Zusammenkunft ist. Sprechen muss man aber einerseits mit den Betroffenen vor Ort, also man muss rechtzeitig dort, wo Flüchtlinge untergebracht oder angesiedelt werden sollen, mit Zivilgesellschaft, Gewerkschaft und Arbeitgebern und Kirchengemeinden sprechen, und man braucht eine große bundesweite Diskussion über die Grundzüge, über die Leitgedanken und auch über die Grenzen unserer Einwanderungs- und Integrationspolitik. Und es mehren sich die Anzeichen, dass hier die politische Klasse verstanden hat, und dass nun differenzierter mit dem umgegangen wird, was wir auf der Straße tatsächlich sehen.
    Dobovisek: Was stark zu spüren ist, ist ein, man kann es schon ausdrücken, Hass gegen die etablierten Medien, also auch gegen uns, die Großen wie ARD, ZDF oder auch den Deutschlandfunk, da sehen wir Bilder, da werden Kollegen ja fast niedergeprügelt. Sehen Sie da eine Gesprächsbereitschaft, die ausreichen könnte?
    Patzelt: Es gibt keine Gesprächsbereitschaft zwischen den Demonstranten und den Medien, weil viele genug davon haben, in den Fernsehausschnitten oder in den Dokumentationen im Internet einfach als töricht, dumm und sozusagen im Tal der Ahnungslosen, weiterhin von relevanten Informationen abgeschnitten, dargestellt zu werden. Und die letzte Provokation eines RTL-Reporters brachte natürlich sozusagen eine Bestätigung für diesen weit verbreiteten Eindruck. Die Leute, die dort auf die Straße gehen, wissen ja auch, dass sie nicht die Gewohnheit haben, über so etwas Kompliziertes wie Einwanderung und Integration in einer differenzierten Weise unter weitgehender Beherrschung der einschlägigen Fakten zu reden. Sie haben ja eigentlich nur zwei Dinge, die sie vorbringen wollen: Erstens, wir haben ein Problem, und zweitens, warum kümmert sich niemand um unsere Probleme? Folglich kann man nicht mit ihnen reden, man muss aber ihre Themen aufgreifen und das heißt, man muss zunächst einmal sorgfältig auf das hören, was hinter den ganzen Sprechblasen und Vorurteilen und Stereotypen eigentlich zum Ausdruck gebracht wird.
    Patzelt: Flüchtlinge kommen nicht aus Lust und Laune
    Dobovisek: Wir reden also über Diskussion und Diskussionsbereitschaft. Am Ende muss dann aber zwangsläufig auch eine Tat stehen, dann müssen Konsequenzen stehen. Für viele Pegida-Anhänger sind das sicherlich weniger Flüchtlinge in Deutschland. Sind das Konsequenzen, die letztlich auch gezogen werden müssten?
    Patzelt: Das sind auf alle Fälle keine Konsequenzen, die man nach Lust und Laune und kurzfristig ziehen könnte, denn die Flüchtlingspolitik wird im Wesentlichen auf der europäischen Ebene entschieden. Wir haben in Europa Freizügigkeit. Innerhalb Deutschlands wird, gemessen am Königsteiner Schlüssel, verteilt. Da lässt sich kurzfristig nichts ändern, und nach Lust und Laune können wir auch nicht die Bürgerkriege im Nahen Osten verhindern oder die Armutsimmigration aus Afrika. Das heißt, was man machen kann, ist im Grunde nur, den Bürgern klarzumachen, dass der große Teil der Flüchtlinge nicht aus Lust und Laune oder zum Zweck der Ausnutzung unserer Sozialsysteme kommt, und zweitens muss man den Leuten klarmachen, dass man aber auch nicht sehenden Auges hinnimmt, dass von 70 Prozent abgelehnten Asylbewerbern im Grunde doch ein sehr großer Teil im Lande verbleiben kann und eines Tages sich so weit integriert hat, dass er eben tatsächlich Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden ist, ohne dass diese darüber je eine gründliche Diskussion geführt hätte, ob und in welchem Umfang sie wirklich zu einer Einwanderungsgesellschaft werden will.
    Dobovisek: Mit einem Weihnachtssingen wollen die Anhänger der Pegida heute wieder in Dresden demonstrieren, der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt dazu hier im Deutschlandfunk-Interview. Vielen Dank dafür!
    Patzelt: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.