"Ein Philosoph darf heute nicht einfach nur ein Philosoph sein, sondern er muss einen Beruf ausüben, an allererster Stelle den Beruf des Menschen."
Mitten in der Diktatur erhob Benedetto Croce unerschrocken die Stimme. 1925 initiierte der Philosoph die Veröffentlichung eines Manifests italienischer Intellektueller gegen den Faschismus, außerdem verweigerte er den Treueeid auf Mussolini. Er galt als europäische Institution. Der Schriftsteller Stefan Zweig besuchte ihn 1928 in Neapel:
"Jahrzehntelang war er der geistige Führer der Jugend gewesen, er hatte als Senator und Minister alle äußeren Ehren in seinem Lande gehabt, bis sein Widerstand gegen den Faschismus ihn mit Mussolini in Konflikt brachte. Er legte seine Ämter nieder und zog sich zurück; dies aber genügte den Intransigenten nicht, sie wollten seinen Widerstand brechen und ihn notfalls sogar züchtigen. Die Studenten, im Gegensatz zu einst, heute überall Stoßtruppe der Reaktion, stürmten sein Haus und schlugen ihm die Scheiben ein. Aber der kleine untersetzte Mann, der mit seinen klugen Augen und seinem Spitzbärtchen eher wie ein behaglicher Bürgersmann aussieht, ließ sich nicht einschüchtern."
Begründer der Zeitschrift "La Critica"
Croce, am 25. Februar 1866 als Sohn wohlhabender Gutsbesitzer in den Abruzzen geboren, hatte mit siebzehn Jahren knapp ein Erdbeben überlebt, bei dem seine gesamte Familie umkam. Seither schien er gegen Anfechtungen gewappnet. Er studierte Jura in Rom und Neapel und ließ sich 1886 in Neapel nieder, wo er als Privatgelehrter wirkte. Stark beeinflusst von Hegel und dem neapolitanischen Philosophen Giambattista Vico, entwarf er ab 1902 in seinem Hauptwerk Die Philosophie des Geistes ein vierstufiges System. Die erste Tätigkeitsform des Geistes ist für ihn die der intuitiven Erkenntnis.
"Die Intuition ist eben die Intuition, weil sie ein Gefühl darstellt, und nur durch und aus dem Gefühl kann sie entstehen. Nicht die Idee, sondern das Gefühl gibt der Kunst die schwebende Leichtigkeit des Symbols: eine Gefühlsspannung, eingeschlossen in den Kreis einer Darstellung, das ist Kunst."
Seine Ästhetik entfaltete eine ungeheure Wirkung. 1903 begründete Croce mit Giovanni Gentile die Zeitschrift La Critica, die zur einflussreichsten Publikation des Landes werden sollte. Hatte er auf politischer Ebene zunächst noch mit der faschistischen Bewegung taktiert, ergriff er nach dem Marsch auf Rom 1922 eindeutig dagegen Partei. Mit seinen historiographischen Studien begründete Croce die erzählende Geschichtsschreibung. Er vertrat einen emphatischen Freiheitsbegriff, für ihn die Grundvoraussetzung einer europäischen Einigung.
"Aber Politiker können ihrer Aufgabe nur dann gerecht werden, wenn die Freiheit das intellektuelle und moralische Milieu vorbereitet. Das ist die Grundvoraussetzung zu einem solchen Werk."
Leitfigur der Opposition unter den Faschisten
Massenbewegungen betrachtete er mit starkem Misstrauen. Unter den Faschisten wurde Croce zur Leitfigur der Opposition und war selbst für Mussolini unantastbar. Stefan Zweig:
"Diese hermetische Isolierung eines einzelnen in einer Millionenstadt, einem Millionenland hatte für mich etwas Gespenstisches und etwas Großartiges. Ich konnte nicht umhin zu bewundern, welche Frische und geistige Spannkraft dieser immerhin schon alte Mann sich in dem täglichen Kampfe bewahrte. Aber er lachte. Gerade der Widerstand ist es, der einen verjüngt."
Und Croce blieb noch eine Weile lang jung: Er übernahm nach 1944 für kurze Zeit Ministergeschäfte und wurde erneut Senator. Die neue Verfassung lege zu wenig Wert auf die innere Einigung Italiens, mahnte er drei Jahre später an.
Seine umfangreiche Bibliothek, die er bereits zu Lebzeiten für Wissenschaftler zugänglich machte, wurde zu einem Bezugspunkt des intellektuellen Lebens. Am 20. November 1952 starb Benedetto Croce. Die italienische Geistesgeschichte ist ohne ihn nicht denkbar.