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"Pille danach"
Montgomery: An Rezeptflicht festhalten

Die Bundesärztekammer hält an der Rezeptpflicht der "Pille danach" fest. Es gebe in Deutschland ein gut funktionierendes Beratungssystem, sagte Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery im Deutschlandfunk. Die Beratung in der Apotheke sei hingegen "nicht ausreichend".

Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Eigentlich ist es Routine. Zweimal jährlich kommen 22 Sachverständige zusammen, Hochschulprofessoren und Ärzte. Sie brüten darüber, welche Medikamente sollen noch rezeptpflichtig sein und welche dürfen auch ohne Rezept abgegeben werden. Jetzt haben die Sachverständigen nach intensiver Diskussion mehrheitlich empfohlen, die Verschreibungspflicht für die sogenannte Pille danach aufzuheben. Wäre Daniel Bahr von der FDP jetzt noch Bundesgesundheitsminister, würde das wohl auch so kommen. Aber der neue Mann an der Spitze des Ministeriums ist der ehemalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Er möchte an der Rezeptpflicht festhalten, gerät aber durch das Votum der Sachverständigen unter Druck.
    Bei uns am Telefon begrüße ich jetzt in Hamburg Frank Ulrich Montgomery, gerade erwähnt der Präsident der Bundesärztekammer. Guten Morgen, Herr Montgomery.
    Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Warum halten Sie an der Rezeptpflicht für die Pille danach fest?
    "Vorteil des deutschen Gesundheitssystems wahren"
    Montgomery: Wir halten an der Rezeptpflicht nicht wegen der pharmakologischen, wegen der chemischen Wirkungen der Pille unbedingt fest, sondern weil wir in Deutschland ein gut funktionierendes System von Beratung für Schwangere oder für Menschen haben, bei denen ein, ich nenne es mal, tödlicher Unfall bei der Sexualität passiert ist. Wir finden das sehr gut, dass gerade sehr junge Menschen, gerade junge Mädchen durch den Zugang zum Arzt Beratung bekommen, wie man so was auch für die Zukunft verhindert, und nicht einfach nur eine Pille in der Apotheke kaufen.
    Meurer: Sie wollen Sexualaufklärung, Sexualberatung leisten?
    Montgomery: Ja. Wir haben in sehr vielen Fällen nämlich den Fall, dass es sich ja auch oft um den ersten Sex handelt, bei dem so etwas dann geschieht. Das macht manchmal große, große Probleme für die jungen Menschen. Das geht nicht einfach, indem man eine Pille über den Tresen einer Apotheke schiebt, sondern wir möchten gerne den Vorteil unseres deutschen Gesundheitssystems weiter wahren, dass man in einem Gespräch mit einem Arzt eine kompetente Beratung bekommt, wie so etwas auch für die Zukunft verhindert werden kann.
    Meurer: Da der Bundesgesundheitsminister ja mit den Nebenwirkungen argumentiert, sagen Sie, Herr Montgomery, das mit den Nebenwirkungen, so habe ich Sie eben verstanden, das ist kein Grund, an der Rezeptpflicht für die Pille danach festzuhalten?
    "Diese Pille hat Nebenwirkungen"
    Montgomery: Diese Pille hat Nebenwirkungen. Man darf nicht vergessen: Wenn man sie nur ein einziges Mal nimmt und dann in einer solchen extremen Ausnahmesituation, ist man auch bereit, mehr Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen, und die werden auch alle nicht in dem Maße gemeldet. Sie hat Nebenwirkungen, das ist aber wirklich nicht das Problem. Nicht die Pharmakologie, nicht die Chemie ist das Problem, sondern die Tatsache, dass wir in Deutschland die Möglichkeit zur Beratung der Menschen haben, die würden wir gerne vorne anstellen, wie wir überhaupt wünschen, dass diese Debatte ein bisschen entemotionalisiert wird und wir uns einfach mal fragen, was sind die großen Vorteile des deutschen Systems mit dem Zugang zum Arzt, mit der Beratung, mit den auf die Zukunft gerichteten Möglichkeiten für junge Menschen.
    Meurer: Gibt es für Sie irgendwelche ethischen Gründe, an der Rezeptpflicht festzuhalten?
    Montgomery: Nein. Die Intervention, die aus einigen Teilen der Kirche gekommen ist, hat für uns in der Ärzteschaft überhaupt keine Rolle gespielt. Es sind eigentlich zwei Gründe, die uns ganz entscheidend bewegt haben. Das erste ist: Es gibt heute ein besseres Mittel als das Levonor-Gestrel. Das heißt – ich muss es leider jetzt mal mit dem pharmakologischen Namen sagen – Ulipristalacetat, ein Mittel, was allerdings nur nach Kontakt eines Arztes verschrieben werden darf, und wir halten das für deutlich besser, weil es auch bei höherem Körpergewicht und etwas später noch sicherer wirkt.
    Meurer: Aber das wird nur selten eingesetzt im Moment?
    Montgomery: Das wird nur seltener eingesetzt, genau, weil es hat auch mehr Nebenwirkungen. Man muss vorher eine Schwangerschaft, eine bestehende Schwangerschaft sicher ausschließen dafür. Wenn die nicht vorhanden ist, dann wird auch mit Sicherheit ein Eisprung verhindert. Das ist also ein wesentlich besseres Medikament. Das ist das eine und das zweite ist: Wenn ein Medikament aus der Verschreibungspflicht herauskommt, darf es in Deutschland auch beworben werden, und dann würden wir in Zukunft in den Hochglanzbroschüren wahrscheinlich Werbung für Levonor-Gestrel sehen. Das sind alles Dinge, die wir nicht für vernünftig halten.
    Meurer: Ein anderer Punkt, Herr Montgomery: Auch Ärzte wollen Geld verdienen, das gehört nun mal dazu. 400.000 Pillen danach bedeuten, wenn ich das richtig sehe, 400.000 Arztbesuche pro Jahr in Deutschland. Wollen sich die Ärzte das Geschäft nicht aus der Hand nehmen lassen?
    Montgomery: Nein, das hat damit wirklich überhaupt gar nichts zu tun, weil das ist eine verschwindende Anzahl von Besuchen, die auch zum großen Teil in Notfall-Ambulanzen von Krankenhäusern geschehen und Ähnliches. Das ist wirklich überhaupt nicht unser Argument, sondern unser Argument ist auch mit den Erfahrungen aus dem Ausland, wo man ja gesehen hat, dass in den Ländern, in denen man die Pille freigegeben hat, deswegen die Schwangerschaften junger Menschen sehr viel höher immer noch sind als bei uns. Wir haben ja interessanterweise trotz Verschreibungspflicht für Levonor-Gestrel mit die geringsten Jugendlichen-Schwangerschaften und Teenager-Schwangerschaften aller Industrieländer der Welt. Insofern gibt es keinen Grund, an unserem bewährten System hier etwas zu ändern.
    Meurer: Könnten das die Apotheker nicht auch mit der Sexualberatung?
    "Beratung in der Apotheke nicht für ausreichend"
    Montgomery: Ich möchte nun meinen akademischen Freunden von der Pharmazie nicht weh tun, aber ich glaube, da überschreiten sie doch eine Grenze. Die Beratung in der Apotheke, die halte ich nicht für ausreichend, die halte ich überhaupt nicht für suffizient. Und wenn es dann auch noch mit Diskretion und Ähnlichem geschehen soll? Stellen Sie sich mal vor, Sie lassen sich da am Counter eines Apothekers in Fragen der Sexualität beraten. Ich halte das für einen nicht klugen Vorschlag.
    Meurer: Ist vielleicht so wie Kondome kaufen, da hat man auch Hemmungen an der Apothekentheke.
    Montgomery: Ja. Kondome können Sie aber auch heute schon an der Kasse des Supermarktes erwerben. Und es ist etwas völlig anderes, ob Sie sich mit Freude auf etwas hin orientieren und ein Kondom kaufen, oder ob Sie in einer doch ausgeprägten auch psychologischen Krise sind, weil vielleicht etwas passiert ist, was Sie gar nicht wollten.
    Meurer: Der Verein Pro Familia, Herr Montgomery, wirft den Ärzten vor, oder einigen Ärzten vor, herablassend mit Frauen umzugehen. Was passiert da bei den Gesprächen?
    Montgomery: Ja, das ist nun etwas, das muss Pro Familia vielleicht ein bisschen begründen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Frauenärzte sind auf den Kontakt mit Frauen ausgerichtet. Individuelle Fehlreaktionen gibt es immer, bei Patienten wie bei Ärzten, aber da würde ich gerne mal wissen, was Pro Familia genau meint. Derartige Pauschalkritik hilft doch nicht weiter, Herr Meurer.
    "Frauenärzte sind auf den Kontakt mit Frauen ausgerichtet"
    Meurer: Aber vermutlich, dass die jungen Frauen da schon mal von oben herab behandelt werden, oder schief angeschaut werden, belehrt werden.
    Montgomery: Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, weil es ist die Aufgabe der Ärzte, vor allem der Frauenärzte, in dieser Situation helfend zu sein. Dass es da immer auch solche und solche gibt und dass der eine oder andere vielleicht auch mal ein Problem hat, sich dem Patienten ausreichend zuzuwenden, das wissen wir. Wer damit Probleme hat, mit seinem Arzt, der kann das sehr gerne übrigens uns bei den Ärztekammern melden. Wir reden dann mit dem Arzt. Aber als generelle Pauschalkritik halte ich das einfach für falsch.
    Meurer: Herr Montgomery, warum kommt eigentlich der Sachverständigenausschuss zu einem ganz anderen Ergebnis, nämlich die Rezeptpflicht aufzuheben?
    Montgomery: Das hat weniger etwas mit den medizinischen Wirkungen als mit der psychologischen Umgebung und mit der Tatsache zu tun, dass man den Zugang zu diesem Medikament so niedrigschwellig wie nur irgend möglich machen möchte, weil man aus anderen Ländern, in denen der Zugang zum Arzt insgesamt sehr schwer zu finden ist, wo Sie erst in Monaten einen Facharzt-Termin bekommen, weil das hier übertragen wird auf Deutschland. Das ist aber irrtümlich. In Deutschland haben wir die Möglichkeit, innerhalb von wenigen Stunden einen Facharzt oder eine Notfall-Ambulanz eines Krankenhauses aufzusuchen, und wir sollten uns wirklich dieses Vorteils einer Arztberatung nicht freiwillig begeben.
    "Vorteil der Arztberatung"
    Meurer: Stichwort niederschwellig. Es wird manche Frau, junge Frau – Sie sagen, es sind ja vor allen Dingen junge Frauen – doch den Besuch beim Arzt oder im Krankenhaus nicht machen, und dann läuft es auf einen Schwangerschaftsabbruch zu?
    Montgomery: Nein. Wissen Sie, das ist ein viel, viel höherer Eingriff, der Schwangerschaftsabbruch. Das wissen wir. Den wollen wir ja auch gemeinsam verhindern. Aber wer zur Apotheke geht, um sich vom Apotheker beraten zu lassen und das Medikament zu kaufen, für den ist doch diese Schwelle bereits dann überschritten. Der kann genauso gut zu einem Arzt gehen und sich dort beraten lassen, um dieses Medikament zu bekommen. Dann ist er viel kompetenter und vor allem auf die Zukunft orientiert und auf die Verhinderung weiterer derartiger Unfälle orientiert beraten. Deswegen kann ich dieses Schwellenargument eigentlich nicht akzeptieren.
    Meurer: Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, hält an der Rezeptpflicht für die Pille danach fest. Herr Montgomery, danke nach Hamburg und auf Wiederhören.
    Montgomery: Vielen Dank, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.