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"Pleasure" von Feist
Der stille Star ist zurück

Fast sechs Jahre nach ihrem letzten Album kommt Feist zurück mit "Pleasure". Darauf verarbeitet sie nicht nur die Trennung von ihrem Lebensgefährten, sondern auch ihre Post-Trump-Depression - kein ganz ungetrübtes Vergnügen.

Von Carsten Beyer |
    Leslie Feist
    Die kanadische Sängerin Leslie Feist im August 2012 in Hamburg (imago/Future Image)
    Leslie Feist wirkt – wenn man ihr gegenübersteht - genau wie ihre Musik: zurückhaltend und leise, unprätentiös und fast ein wenig schüchtern. Auf dem Tisch in ihrem Berliner Hotelzimmer steht nur ein Tellerchen mit Obst und ein stilles Wasser. Am Abend zuvor war sie mit ihrem alten Freund und Weggefährten Gonzales unterwegs, der gerade in der Stadt ist. Deshalb ist sie noch ein bisschen müde. Aber sie hat sich Zeit genommen für das Gespräch:
    "Ich glaube einfach, dass man viel interessantere Gespräche führen kann, wenn man nicht so unter Druck ist: in 15 Minuten, da kommen immer nur die gleichen 6 oder 7 Fragen, das wäre doch für uns beide langweilig. Also - in meinem eigenen Interesse und in der Hoffnung auf spannendere Interviews – mehr Zeit!"
    Zurück zu sich selbst finden
    Zeit gelassen hat sich Feist auch für ihr "Pleasure", ihr neues Album. Doch anders als der Titel suggeriert, hat sie diese Zeit nicht mit Vergnügungen verbracht hat. Im Gegenteil, sagt die Kanadierin, die letzten Jahre seien die schlimmsten ihres Lebens gewesen. Eine private Trennung hat sie vorübergehend aus der Bahn geworfen. Zurück zu sich zu selbst zu finden und ihre Gedanken zu ordnen, hat sie eine Menge Kraft gekostet.
    "Auf jeden Fall ist Songschreiben für mich das beste Mittel das ich habe, um über Dinge nachzudenken, die sich ansonsten nur sehr schwer greifen lassen. Ich weiß nicht, was ich sonst tun würde. Klar, du kannst philosophische Bücher lesen oder du kannst dich mit anderen Menschen unterhalten, das hilft auch. Aber als Songwriter habe ich nun mal den Weg gewählt, das mit mir selbst auszumachen: Einen Song zu schreiben heißt, mir selbst die Welt zu erklären. Das ist, wie wenn man einen dieser Zauberwürfel dreht, bis er auf allen Seite die gleiche Farbe anzeigt."
    Feists innere Zerrissenheit
    "I wish I didn’t miss you" heißt dieses Stück: Ein Lied wie ein Hilfeschrei, das Feists innere Zerrissenheit während der Aufnahmen widerspiegelt. "Ich war mir sicher, dass Du tot bist, so groß war mein Schmerz", heißt es darin. "Wie könnte ich existieren, wenn Du weiter lebst?"
    Doch "Pleasure" hat mehr zu bieten, als Trauer und Katharsis: In Songs wie "Young Up" oder "Century" zieht sie das Tempo an, der Tonfall schwenkt vom Düsteren ins Aggressive. Feist hat in den letzten Jahren viel Zeit in den USA verbracht, hat die Präsidentschaftswahlen und das veränderte gesellschaftliche Klima unter Donald Trump miterlebt - und das hat sie wütend gemacht.
    Wegrennen will sie nicht
    "Ich habe das Gefühl, dass es für die Menschen heute wichtiger ist als je zuvor, Widerstand zu leisten. Allerdings sollte man sich überlegen, wie man das tut. Man sollte sich nicht einfach irgendeiner Strömung anschließen, so wie einem Lynchmob. Damit verliert man seine Unabhängigkeit, man verliert die Fähigkeit, selbst etwas zu verändern."
    Wegrennen wolle sie nicht, beteuert Feist in einem der stärksten Songs des neuen Albums. Doch in ihren Texten zum Widerstand aufzurufen, sich an die Spitze einer neuen Bewegung zu stellen - wie einst die Folksänger in den 60er Jahren, das ist auch nicht ihr Ding. Das sei ihr zu plakativ, sagt sie. Wer sich zu sehr festlege, der könne leicht instrumentalisiert werden. Da ist was dran – und doch ist es genau diese Unentschiedenheit – die "Pleasure" am Ende zu einem ambivalenten Hörerlebnis macht. Ein Vergnügen: ja, aber kein ganz ungetrübtes.