Sie glaube nicht, dass die rechtskonservative PiS aus Polen einen autoritären Staat machen könne. Die Partei habe ein rückwärtsgewandtes Bild von der Gesellschaft des Landes. Die sei heute aber "sehr, sehr pluralistisch, ist sehr aufgeschlossen für demokratische Fragen." Sie sei sich sicher, dass die Demonstrationen fortgesetzt würden.
Die ehemalige Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit betonte, dass viele Menschen die Partei vor allem gewählt hätten, weil diese materielle Verbesserungen versprochen habe. Aktuellen Umfragen zufolge seien nur noch zehn Prozent der Bevölkerung für PiS. Schwan sieht nach eigenen Angaben für Deutschland und die EU keine großen Handlungsmöglichkeiten, um das "unrechtmäßige Verhalten" zu stoppen. "Die Kritik von Außen ist auch nicht entscheidend, entscheidend ist die Kritik von innen."
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Die neue nationalkonservative Regierung Polens hat nicht lange gewartet, als sie ins Amt kam, sondern direkt mit einem autoritären Kurs begonnen. Sie versucht, Medien unter ihre Kontrolle zu bringen, ebenso das Verfassungsgericht. Zahlreiche Wechsel an den Spitzen von Polizei, Behörden und Staatsunternehmen alarmieren die Opposition. Die Regierung will sich Zugriff verschaffen auf Führungspositionen staatlicher Institutionen. Im Parlament hat die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, die im Polnischen kurz PiS heißt, die absolute Mehrheit der Sitze. Am vergangenen Wochenende haben wieder einmal Zehntausende besorgte Bürger gegen die jüngsten Entwicklungen demonstriert. Sie sorgen sich um die Demokratie in ihrem Land. Darüber sprechen möchte ich jetzt mit der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan. Sie ist Mitglied der SPD und ehemals Koordinatorin für die deutsch-polnische Zusammenarbeit der Bundesregierung. Guten Morgen, Frau Schwan.
Gesine Schwan: Schönen guten Morgen!
Kaess: Frau Schwan, was können die Demonstranten ausrichten? Wie stark ist die Demokratie in Polen?
Schwan: Das ist eben die Frage, wie man Demokratie definiert. Ich glaube, dass die Demokratie in der Gesellschaft viel besser verankert ist, als viele befürchtet haben. Das konnte man aber auch schon vorhersagen. Polen sind sehr wachsam, wenn es daran geht, ihre Freiheitsrechte zu beschneiden. Die PiS hatte zunächst geglaubt, dass sie sich für die abstrakte Frage der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts nicht so interessieren würden, und da haben sie sich gründlich geirrt. Ich bin sehr sicher, dass diese Demonstrationen fortgesetzt werden, und sie sind auch ganz funktional, weil die PiS vorläufig versucht, weiterhin vor allen Dingen die Unabhängigkeit der Gerichte unter ihre Kontrolle zu bringen und abzuschaffen, oder jedenfalls sehr zu beeinträchtigen, die Medien auch unter ihre Kontrolle zu bringen, und in dem Kampf des Verfassungsgerichtes wird sich dieses sehr gestärkt fühlen durch die Demonstrationen.
"Die polnische Gesellschaft ist heute sehr, sehr pluralistisch"
Kaess: Es hat ja immerhin ein großer Teil der Bevölkerung die PiS gewählt. Wie würden Sie denn den Charakter der PiS beschreiben, autoritär?
Schwan: Ja, mindestens autoritär. Die PiS ist einerseits ideell, nationalklerikal ausgerichtet, bis zum Teil chauvinistisch, und sie ist auf der anderen Seite durchaus für staatliche Sicherheit. Das ist eine Kombination, die man öfter hat zwischen ideell rechts und staatssozialistisch, wenn man so will, aber nicht wirklich im Sinne einer aufgeklärten Sozialdemokratie, und deswegen, glaube ich auch, wird sie nicht durchkommen. Sie hat ein durchaus rückwärtsgewandtes Bild von der polnischen Nation. Die polnische Nation ist nicht homogen, sondern die polnische Gesellschaft ist heute sehr, sehr pluralistisch und ist sehr aufgeschlossen für demokratische Fragen.
Kaess: Dennoch war die PiS mit ihrer Ansicht und dem Kurs, den sie vertritt, attraktiv für eine ganze Menge von Wählern.
Schwan: Ja. Wenn man das jetzt quantitativ zusammenzählt, sind es ungefähr 25 Prozent der Wahlberechtigten, die sie gewählt haben, weil die Wahlbeteiligung war kurz über 50 Prozent und davon hat die knappe Hälfte PiS gewählt. Und sie hat sie gewählt, sehr unter dem Aspekt, dass die PiS vor allen Dingen materielle Verbesserungen vorgeschlagen hat in Bezug auf Renten, Kindergeld und so weiter. Aber um alles das kümmert sich die PiS ja jetzt gar nicht, sondern sie versucht, den Staat - und das hat Jaroslaw Kaczynski auch immer eigentlich propagiert, aber soweit haben dann die Wähler nicht gedacht -, den Staat immer wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Das hat er immer gewollt. Er hat so eine Vorstellung eines nicht demokratischen autoritären Staates. Umfragen zeigen, dass gegenwärtig nur noch zehn Prozent der Bevölkerung für die PiS sind.
Kaess: Der frühere Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, muss man dazu sagen noch als Information. - Kann denn die PiS bis zur kommenden Wahl Polen in einen autoritären Staat wirklich verwandeln?
Das ist einfach ein unrechtmäßiges Verhalten
Schwan: Ich glaube nicht, dass das möglich sein wird, weil die Gesellschaft nicht mitmachen wird, und das zeigt auch - das finde ich einen sehr interessanten Punkt -, dass Demokratie eben nicht auf dem Reißbrett entweder zu errichten oder auch zu zerstören ist, sondern Demokratie ist im Wesentlichen dann verankert in der Gesellschaft. Und ich denke mir, dass an den verschiedenen Stellen, wo die PiS versuchen will, den Befehl über die Gesellschaft zu bekommen, das nicht klappen wird. Das ist ja viel schwerer als man denkt, wenn eine Gesellschaft auch die Mittel hat heutzutage, die technologischen, sich schnell zusammenzubringen. So ist das ja jetzt auch geschehen, als sie die ersten Demonstrationen gemacht haben. Ich glaube nicht, dass das der PiS gelingen wird.
Kaess: Das Gegenargument der Regierung bei Kritik ist ja, dass sie sagt, die alten Eliten, die müssten Privilegien abgeben. Sie stellt es als einen Elitenwechsel dar. Was ist da dran?
Schwan: Na ja. Sagen wir mal, das Prinzip des Elitenwechsels, das haben ja viele Demokratien. Das ist zum Beispiel in den Vereinigten Staaten auch oft so, dass ganze Verwaltungen ausgetauscht werden, wenn eine neue Regierung, eine neue Administration, sagt man dann ja auch, gewählt ist. Trotzdem ist das hier einfach unrechtmäßiges Verhalten. Auch bei uns werden bestimmte Eliten ausgetauscht, politische Beamte werden ausgetauscht. Das ist so, aber nicht so, dass man gegen die Rechte verstößt. Man muss sagen, dass die Platforma Obywatelska erstens auch bei der Neubesetzung der Stellen beim Bundesverfassungsgericht ein bisschen tricksen wollte und schon vorbeugend drei weitere Richter bestellen wollte, was nicht rechtmäßig war. Insofern ist das von vornherein ein bisschen schiefgelaufen. Und man muss vor allen Dingen sagen, dass die Platforma Obywatelska eine sehr, sehr wirtschaftsliberale Partei ist, die sich um soziale Sicherheit und um die Diskrepanzen, die in Polen sehr stark in der Gesellschaft entstanden sind, wenig gekümmert hat. Es heißt zwar, in den letzten eineinhalb Jahren seien diese Diskrepanzen eher zurückgegangen, aber das ist schwierig.
"Die EU hat keine so richtigen rechtlichen Möglichkeiten"
Kaess: Jetzt tut man sich auf EU-Ebene und auch in Berlin tut sich die Regierung schwer, mit der neuen Regierung in Polen umzugehen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der hat im Deutschlandfunk gesagt, was in Polen passiert, das habe den Charakter eines Staatsstreichs, und dann war die Reaktion des polnischen Außenministers, dass er gesagt hat, er erwarte mit Herrn Schulz keinerlei Zusammenarbeit. Er hat Martin Schulz als "schwach ausgebildeten Menschen und extrem Linken bezeichnet, für den alles eine Bedrohung für Europa sei, was von der linksextremen Norm abweicht." Was bringt Kritik an der polnischen Regierung, wenn das dann die Reaktion ist?
Schwan: Na ja, ich glaube erstens nicht, dass es sich um einen Staatsstreich handelt. Es ist der Versuch, unrechtmäßig zu handeln. Das ist noch kein Staatsstreich. Dazu gehört schon auch noch einiges mehr, Militär und so weiter. Aber den Ehrentitel, dass ich linksextrem sei, habe ich auch schon bekommen und auch eine linksextreme Sozialdemokratin. Das ist offenbar die Standarderklärung, als ich die PiS öffentlich kritisiert habe. Ich glaube, dass die Kritik von außen auch nicht entscheidend ist, sondern entscheidend ist die Kritik von innen. Aber die EU kann durchaus das Koordinatensystem deutlich machen, hat allerdings in Bezug auf Orbán da auch große Schwierigkeiten und hat auch keine so richtigen rechtlichen Möglichkeiten, könnte aber durchaus für zukünftige finanzielle Unterstützung deutlich machen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Rechtmäßigkeit des Verhaltens und Zugehörigkeit zur Europäischen Union.
Kaess: Was würden Sie der Regierung in Berlin zum Umgang mit dem Nachbarn raten?
Schwan: Ausgesprochene Zurückhaltung. Es liegt ja auf der Hand, was da passiert, und ich würde nicht mit großen Worten wie Staatsstreich kommen, auch nicht in Berlin, sondern ich würde schon deutlich machen, dass wir ein bestimmtes Verständnis der Unabhängigkeit der Justiz haben. Aber gerade Berlin sollte sich da zurückhalten, zumal es im Rahmen der EU bei vielen Nachbarländern, anders als wir das hier intern merken, den Eindruck erweckt hat, dass es eine deutsche Dominanz gibt, zum Beispiel auch bei den Italienern. Renzi hat das neulich sehr deutlich markiert.
Kaess: Die Meinung der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan. Sie ist Mitglied der SPD und war Koordinatorin für die deutsch-polnische Zusammenarbeit der Bundesregierung. Danke für das Gespräch heute Morgen.
Schwan: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.