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Politikwissenschaftlerin Kathrin Voss
"Zunahme der Onlinepetitionen ist kein Zeichen von Demokratie"

Bis zu 700 Petitionen werden auf Portalen wie Change.org monatlich hochgeladen. Tendenz steigend. Das heißt aber nicht, dass dadurch die Demokratie zugenommen hat. Meint die Politikwissenschaftlerin Kathrin Voss im DLF. Entscheidend sei nicht der Klick im Internet, sondern sich politisch einzubringen.

Kathrin Voss im Corsogespräch mit Thekla Jahn |
    Eine Hand an einer Computermaus.
    Politikwissenschaftlerin Kathrin Voss im DLF: "Eine Petition, bei der sich 100.000 Leute beteiligen, muss nicht unbedingt die Mehrheit der Bevölkerung widerspiegeln." (Imago / Christian Ode)
    Thekla Jahn: Wählen – das tun immer weniger Menschen in Deutschland. Sich politisch engagieren – Parteien und Organisationen beklagen einen Mitgliederschwund.
    Gibt es Möglichkeiten, Bürger wieder an politischen Prozessen zu beteiligen? "Meine Stimme zählt doch eh nicht, ich klicke lieber! – Partizipation im digitalen Zeitalter", so lautet das Thema einer Diskussion heute auf der Social Media Week in Hamburg.
    Dabei ist Kathrin Voss, Politikwissenschaftlerin und Kommunikationsberaterin, uns aus der Hansestadt zugeschaltet. Frau Voss, wie partizipieren Sie persönlich im digitalen Zeitalter, wie viel klicken Sie mit politischem Willen als Triebkraft dahinter?
    Kathrin Voss: Verhältnismäßig wenig, weil ich mich eher als Beobachter dieser Prozesse sehe denn als aktiver Teilnehmer. Ich bin da wahrscheinlich nicht repräsentativ.
    Jahn: Und dennoch reden Sie über das Thema.
    Voss: Ich rede über das Thema, weil ich es eben auch sehr aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus Beratersicht – ich berate ja NGOs – interessant finde und es natürlich auch ein Phänomen unserer Zeit ist, per Klick sich politisch zu beteiligen.
    "Es ist eine Möglichkeit der Meinungsbekundung"
    Jahn: Sie werden heute zusammen mit Gregor Hackmack diskutieren. Gregor Hackmack ist der für Deutschland Zuständige für die internationale Onlinepetitionsplattform Change.org.
    Change.org hat in Deutschland pro Monat 600 bis 700 Petitionen, die von ganz normalen Bürgern zu ganz unterschiedlichen Themen eingereicht, gestartet werden. Ist das viel, also zeigt uns diese Zahl – 600 bis 700 pro Monat –, dass unsere Demokratie zugenommen hat durch das Internet?
    Voss: Das würde ich so nicht interpretieren. Die Petitionen nehmen insgesamt zu, das ist ja nicht nur auf Change so, das ist auch auf anderen Plattformen so – beim Bundestag, der auch eine offizielle Plattform hat, weniger.
    Ich würde das nicht unbedingt als ein Zeichen der Demokratie sehen. Es ist eine Möglichkeit der Meinungsbekundung, und die Menschen nehmen die wahr, so wie sie auch auf Facebook-Gruppen Sachen posten und ihre Meinung äußern, und die Petition ist ein Weg, das zu tun.
    "Die Leute, die nur klicken, haben wenig Aufwand"
    Jahn: Es ist nur ein einziger Klick, also da steckt gar nicht besonders viel dahinter, es ist nicht besonders schwierig. Wenn man sich für ein politisches Ziel tatsächlich einsetzt und in einer Partei zum Beispiel oder Organisation tätig wird, dann muss man sehr viel Zeit, Kraft, Nervenstärke, Geduld investieren. Frage also: Was bringt das Klicken letztlich?
    Voss: Na ja, man muss ja sehen, dass auch in früheren Zeiten, ich sag jetzt mal in Vor-Internet-Zeiten, nicht alle Menschen, die sich politisch für ein Thema interessiert haben, sich umfassend in einer politischen Partei engagiert haben, mit Zeitaufwand und allem, sondern dass es immer nur eine sehr kleine Gruppe ist, die sehr aktiv ist. Das sehen wir jetzt im Internet auch.
    Die Leute, die nur klicken, um die Petition zu unterstützen, ja, die haben wenig Aufwand, aber wir sehen bei den Petitionsinitiatoren – ob es jetzt Einzelpersonen sind oder kleinere Bürgerinitiativen – schon, dass die auch einen Aufwand reinstecken und dass die auch Aktionen neben der Petition machen, als dass da auch politisches Engagement mit Zeitaufwand verbunden ist und mit Ressourcenaufwand. Das ist also schon da.
    Was es nachher bringt – ich denke schon, dass es eine Art eben von politischer Meinungsäußerung ist. Ich klicke eine Petition, weil ich dem zustimme und weil ich damit bekunden möchte, dass das meiner Meinung entspricht. Da bietet das Internet eben eine Möglichkeit, die es vorher so einfach nicht gab.
    Jahn: Wird die Klickpartizipation von Politikern eigentlich wahrgenommen und vor allem auch ernst genommen?
    Voss: Ja, ich habe da mal Bundestagsabgeordnete dazu befragt. Die Politiker nehmen das schon wahr – es ist eben ein Phänomen, das ja auch immer mehr wird, die Politiker können sich dem auch nicht verschließen. Sie haben ein bisschen die Befürchtung, dass das manipulierbar ist, dass es von Lobbygruppen beispielsweise manipuliert werden könnte, dass nicht immer alle Menschen, die hinter so einem Klick stehen, wirklich Menschen sind. Also man braucht bei Change ja beispielsweise nur eine gültige E-Mail-Adresse – das ist anders als bei dem Bundestagsportal, wo ich mich komplett anmelden muss.
    Von daher haben Politiker da schon gewisse Bedenken, aber sie nehmen es schon wahr als ein Instrument eben der öffentlichen Meinungsäußerung, also der Frage, was die Öffentlichkeit zu bestimmten Themen denkt.
    "Das Phänomen ist kaum erforscht"
    Jahn: Sie haben gerade die Gefahr angesprochen bei Petitionen, die über einen Klick funktionieren.
    Es gibt ja im Internet nicht nur die Fake-Profile, sondern es gibt durchaus auch andere Möglichkeiten der Manipulation, zum Beispiel durch Meinungsführer in sozialen Netzwerken, die dann zum Beispiel von Unternehmen genutzt werden oder von anderen Lobbygruppen, um dadurch eine große Masse an Klickern zu erreichen.
    Voss: Ja, das ist bisher noch, weil das Phänomen auch so neu ist, kaum erforscht. Man weiß nicht genau, ob das zum Beispiel bei den Petitionen der Fall ist, ob es Petitionen gibt, die in dem Sinne manipuliert sind. Organisationen wie Change.org oder auch Campact versuchen schon, das zu verhindern, indem sie analysieren, wie kommen die Klicks denn her und so. Untersucht worden, dass man da wirklich belastbare Daten zu hat, ist das noch nicht.
    Jahn: Wie ist Ihre Einschätzung, machen soziale Medien und das Internet die Demokratie stärker oder schwächer?
    Voss: Ich glaube, weder das eine noch das andere. Das Internet ist weder ein Wundermittel für die Demokratie, weil sich plötzlich alle Leute beteiligen – das zeigen Studien sehr deutlich, dass es kein Mehr an Partizipation gibt, sondern dass Leute, die politisch interessiert sind, sich beteiligen und beteiligen sich eben zunehmend auch über das Internet und weniger über politische Organisationen.
    Das ist vielleicht der einzige Punkt, wo man sagen könnte, das könnte ein Risiko für die Demokratie sein, dass eben eine Generation heranwächst, die, wenn sie politisch denn interessiert ist, eben nicht mehr in die Parteien reingeht und sich da engagiert, sondern eher über so lockere Netzwerke über das Internet verknüpft und dort versucht, ihr politisches Engagement einzubringen.
    "Eine Petition, bei der sich 100.000 Leute beteiligen, muss nicht unbedingt die Mehrheit der Bevölkerung widerspiegeln"
    Jahn: Werden Entscheidungen durch Onlinepartizipation zum Beispiel besser im Sinne von demokratischer, politisch sinnstiftender?
    Voss: Ich glaube schon, dass es sozusagen den Effekt eben gibt, dass Menschen ihre Meinung über solche Petitionen äußern können und dass das sozusagen zur Frage, was ist denn die politische Öffentlichkeit und welche Meinung hat die politische Öffentlichkeit, dass es da einen positiven Beitrag gibt.
    Auf der anderen Seite muss man natürlich auch klar sagen, dass eine Petition, bei der sich 100.000 Leute beteiligen, muss nicht unbedingt die Mehrheit der Bevölkerung widerspiegeln und 100.000 dann auch eben nicht so eine große Zahl ist. Damit würden Sie nicht mal in den meisten Wahlkreisen einen Sitz im Bundestag kriegen.
    Jahn: Wenn die Effekte der Partizipation, was das Internet angeht, was das Klicken angeht, weitgehend ausbleiben, so hat doch eine Studie beziehungsweise sogar zwei Studien herausgefunden, dass bei unkonventionellen Formen der Beteiligung, also Protest, Revolte, dass dort durchaus Effekte aufgrund von sozialen Medien zu entdecken sind.
    Voss: Also was ein Effekt sicherlich ist, ist, dass die Mobilisierung von Menschen einfacher geworden ist im Sinne von Kommunikation zu den Menschen. Das heißt nicht unbedingt, dass man mehr Menschen auf die Straßen kriegt durch das Internet als vorher, aber es ist natürlich einfacher, zu bestimmten Themen Gleichgesinnte zu finden. Früher musste ich mit meinen Unterschriftslisten auf die Straße gehen, und ich bin im Regelfall auf die Straße gegangen in meinem Heimatort. Heute kann ich natürlich über das Internet einen viel größeren Kreis von Menschen erreichen.
    Ein gutes Beispiel dafür ist eine Kampagne – auch auf Change.org – von einer Frau, die für ein neues Anti-Stalking-Gesetz plädiert, weil sie selber Opfer eines Stalkers geworden ist und die für so ein Nischenthema, wie das dann das Stalking dann doch ist, natürlich bundesweit, ich glaube, fast 100.000 Unterschriften inzwischen gesammelt hat. Das wäre in früheren Zeiten sicherlich sehr viel schwieriger gewesen.
    Jahn: Man hat, als damals das Fernsehen ein neues Medium war, in Anführungszeichen, prognostiziert, dass die Politikverdrossenheit der Masse zunehmen wird, nun, bei den sozialen Medien, versucht man wieder mehr Partizipation aufgrund der Politikverdrossenheit herzustellen.
    Kann man das im Endeffekt erreichen, oder sind Sie da eher ernüchtert, die euphorische Stimmung, die mit den sozialen Medien aufkam, hat die sich im Prinzip wieder verflüchtigt bei Ihnen?
    Voss: Das Internet kann sicherlich oder Partizipation kann sicherlich dazu beitragen, wenn man jetzt mal absieht von solchen Plattformen wie Change.org, sondern Partizipation, die vom Staat organisiert ist, dazu beitragen, Politikprozesse transparenter zu gestalten, öffentlicher zu machen, beispielsweise über Onlinekonsultationen, die nach "Stuttgart 21" beispielsweise in vielen Orten zu größeren Projekten inzwischen stattfinden, weil man festgestellt hat, man muss die Bürger mit reinnehmen, mit beteiligen. Das führt zu mehr Akzeptanz der dann am Ende getroffenen Entscheidungen. Also da sehe ich schon einen Vorteil, dass man eben Prozesse auch anders gestalten kann, als das bisher der Fall war.
    "Man muss sich inhaltlich einbringen"
    Jahn: Also wäre Klicken, die Möglichkeit zu klicken, nur eine, um wieder mehr Politikinteresse hervorzurufen?
    Voss: Entscheidend ist auch, sich mit mehr als nur einem Klick zu beteiligen. Beispielsweise in Konsultationsprozessen, die online stattfinden, muss man ja mehr als nur seine E-Mail irgendwo eingeben, sondern muss sich inhaltlich einbringen. Und das tue ich natürlich nur in den Themenbereichen oder bei den Projekten oder bei den Politikfeldern, wo ich persönlich das Gefühl habe, ich bin betroffen, und gleichzeitig den Eindruck habe, wenn ich mich beteilige, kann ich Einfluss nehmen auf die politische Entscheidung, die am Ende getroffen wird.
    Also die Bereitschaft zu mehr Partizipation ist wiederum nicht vom Medium abhängig, sondern eben von der Frage, bin ich davon betroffen, von der Politik, und kann ich durch meine Beteiligung das Endergebnis beeinflussen.
    Jahn: Vielen Dank, Kathrin Voss, Politikwissenschaftlerin und Kommunikationsberaterin, die heute auf der Social Media Week in Hamburg diskutieren wird zum Thema "Partizipation im digitalen Zeitalter".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.