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Politischer Journalismus in Deutschland
Zweifelhafte Macht

60 Prozent der Deutschen, so eine Studie im Auftrag der Wochenzeitung "Die Zeit", haben wenig oder gar kein Vertrauen in die politische Berichterstattung im Land. Nun hat Thomas Meyer, Chefredakteur der SPD-nahen Zeitschrift "Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" eine Medienkritik vorgelegt, die vor allem die Elite der Meinungsführer angreift.

Von Brigitte Baetz |
    Der Schlagabtausch zwischen ZDF-Moderatorin Marietta Slomka und Sigmar Gabriel über die SPD-Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag spaltete Ende 2013 die Öffentlichkeit: Hatte hier eine couragierte Journalistin hartnäckig nachgefragt oder eine arrogante Moderatorin versucht, einen Politiker mit zweifelhaften Argumenten vorzuführen?
    Letzteres, schreibt Thomas Meyer, emeritierter Politologieprofessor und Chefredakteur der Zeitschrift "Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte":
    "Man hatte den Eindruck, als solle hier ein Exempel an einem Politiker statuiert werden, der sich, wie häufig üblich, aus einer unangenehmen Situation mit leeren Behauptungen herauswinden wolle. Die über das Mikrofon und die Regie gebietende Journalistin schien signalisieren zu wollen: Seht her, Leute, ich habe keine Furcht vor Macht und Amt und lasse mir nichts vormachen. In ihrem inquisitorischen Eifer entging ihr dann freilich, dass Gabriels Antworten ( ... ) durchaus Sinn machten."
    Und das, sagt Meyer, sei kein einmaliger Ausrutscher gewesen, sondern habe System: Eine zentrale Gruppe von "Alphajournalisten" agiere mehr und mehr so, als hätte sie ein politisches Amt inne. Das habe beispielhaft auch die Berichterstattung über Peer Steinbrück im Wahlkampf 2013 gezeigt. Statt sich mit den Argumenten des SPD-Kanzlerkandidaten auseinanderzusetzen, habe man ihn als Menschen diskreditiert.
    "Also am meisten hat mich geärgert ein Artikel, der im "Spiegel" fünf Tage vor der Wahl war, wo ein sehr profilierter Journalist, der es besser weiß, ich kenn ihn ja auch, versucht hat, sozusagen, dem Steinbrück den "Gnadentod" zu geben und in Form einer Reportage, er sei da ein paar Tage lang neben dem Steinbrück hergelaufen, im Sinne der "schmutzigen Psychologie", wie das in der Medienwissenschaft auch genannt wird, am Ende zu dem Fazit kam: Dieser Mann ist charakterlich ungeeignet. Deutschland kann nicht mehr ruhig schlafen, wenn der drankäme, der ist aber auch gar nicht politisch interessiert, der macht das nur so für sich, narzisstisch, der hat gar kein politisches Anliegen. Also ein paar Tage vor der Wahl in Form eines klassischen journalistischen Modells einer guten Reportage seine ganzen politischen Absichten und Vorurteile da rein gepackt hat."
    Viele heutige Journalisten seien von Hause aus besitzbürgerlich geprägt
    Meyer steht mit dieser Analyse nicht allein da. Auch der Journalist Nils Minkmar, der Steinbrück im Wahlkampf begleitet hatte, beschreibt in seinem Buch "Der Zirkus" die große Kluft, die er zwischen der Realität und der darüber veröffentlichten Meinung ausgemacht hat. Thomas Meyer, seit vielen Jahren Stellvertretender Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD und Sozialdemokrat durch und durch, geht noch einen Schritt weiter. Er glaubt, dass linke Politik heute bei den meisten Journalisten grundsätzlich auf große Widerstände stößt, was sich dann in der Berichterstattung niederschlage.
    "Wir haben in der Sozialforschung interessante Studien, gute Studien, die sagen: Diese Akademiker, die zum Teil aus Mitte/linken Elternhäusern der 68er kommen und jetzt plötzlich in Wohlstandsberufe des wissenschaftlichen , des kulturellen Sektors hineinwachsen, wie zum Beispiel die Journalisten, die haben doch eine sehr starke besitzbürgerliche, Besitzstands wahrende, aufstiegsorientierte Mentalität, eine große Verachtung für alles, was links oder mittelinks ist. Das langweilt die, das ödet die an. Deswegen kann man sagen, dass systematisch eigentlich die linken, die mittelinken Themen – Ungleichheit, Wirtschaftsmacht, Ausgegrenztsein – aus den Medien raus ist, aus deren Weltbild. Nur ab und zu kommt mal so ein Hype, da gibt's plötzlich im Feuilleton eine Kapitalismusdebatte, die bleibt aber kulturell oder es gibt mal Piketty - Piketty hin Piketty her. Aber im normalen Weltbild kommen eben Sozialleistungen, worauf die Bürger einen Rechtsanspruch haben, als soziale Wohltaten so in dieser Sprache rüber. Da wird eine bestimmte Sicht der Welt verbreitet, die eigentlich sehr besitzbürgerlich geprägt ist."
    Nun müsste eine gewisse Uniformität bei Journalisten noch nicht problematisch sein, wenn sich nicht die Politik gleichzeitig den Regeln der Medienwelt unterworfen hätte. Ihre eigenen Bedürfnisse, sagt Meyer, kämen dabei aber zu kurz. Politik brauche den langen Atem, die Auseinandersetzung, den Kompromiss. Die Medien aber hätten diesen langen Atem nicht mehr, forderten Entscheidungen, spitzten unzulässig zu – und entzögen damit wichtigen Entwicklungen von vornherein den Boden, so Thomas Meyer.
    "Wenn jetzt zum Beispiel in so einer Partei – ob das die Grünen oder die SPD sind – darüber geredet wird, ob man nicht Reichensteuer einführen sollte oder Erbschaftssteuer verändern sollte, findet dort sofort die Diskussion statt: das kriegen wir bei den Massenmedien, die wir haben, nicht durch. Diese Medienlogik, diese Medieninteressen wirken da schon als Schere im Kopf. Wenn wir das bringen, sind wir abgemeldet."
    Meyers durchweg lesenswerte Analyse fasst sehr gut den Stand der bisherigen Kritik an der Mediendemokratie in Deutschland zusammen. Er berücksichtigt jedoch zu wenig den Strukturwandel, der sich durch die Digitalisierung vollzieht. Das "Veröffentlichungsmonopol der Schlüsseljournalisten", wie Meyer es nennt, ist längst obsolet geworden – obwohl die großen Medien natürlich die öffentliche Debatte immer noch prägen. Meinungsumfragen belegen, dass Journalisten immer weniger Vertrauen genießen. Der Titel von Meyers Buch "Die Unbelangbaren" ist allein deshalb schon falsch. Journalisten werden sehr wohl für ihre Berichterstattung zur Rechenschaft gezogen durch sinkende Auflagen beispielsweise.
    Die Medienverdrossenheit hat mit der Politikverdrossenheit längst gleichgezogen. Der Spielraum der Politik, ihre Themen notfalls auch gegen die Gesetze der veröffentlichten Meinung durchzusetzen, wäre heute möglicherweise größer denn je – wenn die Politik das überhaupt wollte. Denn die Geringschätzung sozialer Themen durch Journalisten, die Meyer zu Recht beklagt, hat ihre Parallele in der Agendapolitik des SPD-Kanzlers Schröder und ihrer Nachwehen. Wie sozial sind eigentlich die Sozialdemokraten noch?, könnte man fragen. Auch in einer Mediendemokratie lässt sich nicht Alles den Medien in die Schuhe schieben.