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Politologe Karl-Rudolf Korte
"Die AfD möchte immer Märtyrer sein"

Statt Lösungen zu bieten, markiere die AfD sehr klar Feindbilder, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im DLF. Erwische man die Partei bei einer rechtsextremen Variante, werde die sofort verharmlost. Diesem Populismus müsse man Argumente entgegensetzen.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. (dpa/picture alliance/Karlheinz Schindler)
    Dirk-Oliver Heckmann: Bei den Kommunalwahlen in Hessen wurde sie drittstärkste Kraft und bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sieht alles danach aus, dass sich die AfD auch hier als kommender Machtfaktor profilieren kann. Wie ist dieser Erfolg der AfD zu erklären, welche Strategie verfolgt sie, und wird sie die Parteienlandschaft in Deutschland nachhaltig verändern? Darüber kann ich jetzt sprechen mit Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Er hat sich in den letzten Wochen und Monaten intensiv auch mit der AfD beschäftigt. Schönen guten Morgen, Herr Korte.
    Karl-Rudolf Korte: Ja, guten Morgen.
    Heckmann: Herr Korte, noch mal die Frage: Was macht die AfD so erfolgreich?
    Korte: Sie ist eine Anti-Mainstream-Partei, eine Bewegung, die antielitär daherkommt und insofern versucht, eine Angebotslücke gegen die etablierten Parteien - sie nennt das ja Altparteien -, das alte System aufzubauen.
    Heckmann: Insoweit war es richtig und ist es richtig von CSU-Chef Horst Seehofer, die Stimmung, die in der Bevölkerung herrscht, was die Flüchtlingspolitik angeht, aufzunehmen und lautstark auf eine Begrenzung der Fluchtbewegung zu drängen?
    "Aus Sicht der AfD ist auch die CSU eine Partei, die zum Mainstream gehört"
    Korte: Die CSU und CDU sind ja beide ein Abbild der Gesellschaft. Den Wechsel muss man sehen zwischen den beiden, das Liberale und das Restriktive, das Abschottende und das Öffnende. Beides charakterisiert die Gesellschaft. Aber aus Sicht der AfD ist auch die CSU noch eine Partei, die zum Mainstream dazugehört. Die einzigen, die sich dezidiert von Anfang an zu einer eher Anti-Asyl-Politik bekannt haben, waren ja die AfD. Sie distanziert sich von Anfang an gegen das System und vor allen Dingen auch ja chamäleonhaft seit der Gründung gegen den großen Mainstream, damals in der europäischen Schuldenpolitik. Immer was sie meinen, dass die Mehrheit es vorhat im etablierten Parteiensystem, versuchen sie zu widersprechen.
    Heckmann: Die AfD hat versucht, relativ erfolgreich, im Moment jedenfalls, eine Marktlücke sozusagen zu besetzen, auch wenn die CSU beispielsweise vieles dafür getan hat, dass genau das nicht passiert. Aber wenig erfolgreich, muss man offenbar sagen, denn auch in Bayern liegt die AfD laut Umfragen bei rund neun Prozent.
    Korte: Ja, weil die Wähler das Original in der Regel wählen. Wer sich populistisch äußert und dazu auch noch rechtspopulistisch äußert, dann werden die Wähler abwägen, ob sie nicht das Original wählen. Da gibt es viel Erfahrung, wenn man Wahlforschung, Wahlergebnisse der letzten Jahrzehnte sieht, dass das fast immer das gleiche Muster ist. Warum soll man dann nicht das Original wählen. Populisten mit Populismus schlagen, funktioniert weltweit nicht.
    Heckmann: Weshalb finden die etablierten Parteien bisher noch kein Rezept dagegen?
    Korte: Ja. Grundsätzlich ist es nicht einfach, mit solchen Tabubrüchen umzugehen. Man kann eine Partei, die in Teilen rechtsextremistisch ist, im Rechtsextremismus charakterisieren. Aber so wie sie bisher agiert, die AfD, versucht sie sich, dem ja immer wieder durch Teildistanzierungen zu entziehen, es auf Einzelfälle zu beziehen, aus dem Kontext gerissen darzustellen, verharmlosend auf einen Landesverband zu verweisen. Sie zu packen an diesem Punkt, ist nicht so einfach, weil es auch eine Partei im Werden ist mit vielen Häutungen, mit vielen Veränderungen. Man kennt die Protagonisten, die vier, fünf großen Bekannten, aber die anderen nicht. Das macht es schwer in der Auseinandersetzung. Und die Angebotslücke in Zeiten vor allen Dingen von Großen Koalitionen, dass es so einen großen Konsens gibt in den zentralen Fragen der Asyl- und Migrationspolitik, diese Angebotslücke, die kann man nicht füllen. Man will sie nicht füllen, weil man auf einem demokratischen Bekenntnis zum Konsens und dem Grundgesetz hier steht in der Bundesrepublik, was man nicht aufgeben will.
    Die Schwierigkeiten, damit umzugehen, könnte man umdrehen. Wie geht man mit Ressentiments um? Eigentlich nur mit Zuversicht, mit Mut, mit Zukunftsperspektiven. Daran hapert es bei den anderen Parteien. Das macht Frau Merkel, aber andere ihr eigentlich nicht nach.
    "Man sieht immer Freund-Feind-Konstellationen"
    Heckmann: Die AfD - Sie haben es gerade auch schon angedeutet - fällt mit extremen Wortmeldungen auf. Da sind zu nennen Björn Höcke beispielsweise aus Thüringen oder auch Beatrix von Storch, die wir vor einer Stunde im Interview hier im Deutschlandfunk hatten. Dann werden diese Äußerungen teilweise wieder zurückgenommen. Das heißt, dahinter steckt eine Strategie?
    Korte: Ja. Das ist ein Muster, nicht nur eine Radikalisierung in der politischen Kommunikation, sondern man möchte immer Märtyrer sein. Man sieht immer Freund-Feind-Konstellationen und alles, was man hört, was über einen selbst gesagt wird, versucht man zwar einzuordnen, aber dann wieder zu verharmlosen oder aus dem Kontext dargestellt zu verändern. Insofern ist es auch unter diesem Gesichtspunkt dieses Stilmusters, mit Angriffen umzugehen, sehr schwer, zumal sie sich im Blick auf die Medien ja auch sehr kritisch äußern und sie Medien generell als Lügenpresse darstellen. Wir gegen oben, dieses populistische Muster enthält genau diesen Ressentiment-Ansatz, der statt Lösungen - daherkommt und der sehr klar Feindbilder markiert, und wenn man sie erwischt praktisch in einer rechtsextremen Variante, dann dies verharmlosend darzustellen.
    Heckmann: War dieses Muster vor einer Stunde jetzt zu erkennen? Sie haben sich das Interview mit Frau von Storch angehört. War das erkennbar?
    Korte: Ja. Sie distanziert sich zwar im Sinne des Vorstandes von einzelnen Äußerungen, aber nicht persönlich. Sie markiert auch das nicht in der Begrifflichkeit von rassistischen Äußerungen. Sie stellt es auch den Beschluss der letzten Tage zur Fraktionsteilnahme in einen anderen Kontext. Diese Versuche, es besonders einzuordnen in einen eher verharmlosenden Kontext und auf zurückliegende Beschlüsse zu verweisen, das war ein klares, erkennbar stereotypes Muster.
    "Die AfD wird sich neue Themen suchen in dieser antielitären Wut"
    Heckmann: Herr Korte, wir gehen jetzt mal davon aus, das ist zumindest absehbar, dass die AfD stark abschneiden wird bei den kommenden Landtagswahlen jetzt am Sonntag. Wird das aus Ihrer Sicht ein nachhaltiger Erfolg werden? Wird sich die AfD etablieren im Parteiensystem?
    Korte: Es wird nachhaltig sein, wenn die anderen Parteien dieser autoritären Versuchung anheimfallen und die Gesellschaft insgesamt weiter nach rechts rückt. Dann ja. Direkt sehe ich keine Konsequenzen, aber indirekt könnte so was entstehen. Die AfD wird sich, wenn sie chamäleonhaft daherkommt, neue Themen suchen in dieser antielitären Wut. Wenn sie eine Konfliktlinie besetzt, die auf globalisierungsverängstigte Bürgerinnen und Bürger setzt und damit nicht auf klassische gesellschaftliche Konflikte zwischen Markt und Staat zum Beispiel, dann wird sie längerfristig im Parteiensystem sich etablieren können.
    Heckmann: Welche Folgen hätte das für Koalitionsbildungen?
    Korte: Wenn wir noch davon ausgehen, dass die SPD eine Größenordnung hat in einigen Bundesländern, die zu einer Großen Koalition reicht, dann wird es auf Dauer Große Koalitionen geben, oder neue Formeln der Macht, dass man Viel-Parteien-Koalitionen hat, bei denen vielleicht auch mal der kleinere Partner den Ministerpräsidenten stellt. Postmoderne Formen der Regierungsbildung werden ein Ausweg sein, wenn die AfD in die Parlamente einzieht.
    "Auch die Demokratie braucht Gefühle"
    Heckmann: Wenn Sie jetzt die etablierten Parteien beraten würden, was würden Sie hier konkret raten?
    Korte: Argumentative Auseinandersetzung mit Populismus ist einfach, denn die vereinfachen und man muss denen eine komplexe Erklärung entgegensetzen. Also entlarven mit Argumenten, aber auch Gefühlsmanagement. Wir lassen die Gefühle nur für Rechtspopulisten zu. Auch die Demokratie braucht Gefühle. Max Weber hat von Leidenschaft und Augenmaß gesprochen. Beides! Und ein dritter Punkt: Werben für die Fanmeilen der Demokratie. Die Demokratie, die auf Vielfalt, auf Pluralismus setzt und uns Wohlfahrt und Wohlstand über viele Jahrzehnte gesichert hat.
    Heckmann: Haben nicht schon viel zu viele Menschen eine zu große Distanz zur Demokratie, damit das verfängt?
    Korte: Ja! Insofern muss man erklären mit Einzelbeispielen, wie es hilft, aus unterschiedlichen Interessen ein Meinungsbild herauszubilden, dass das nicht einfach ist, dass wir unterschiedliche Interessen haben, aber am Ende es zu legitimieren ist mit einer Mehrheitsentscheidung. Wenn die Minderheit eine Chance hat, auch mal Mehrheit zu werden, ist das hilfreich. Man muss solche einfachen Erklärungsmuster nehmen, um zu werben für das Gesellschaftsmodell, das im Moment unter Druck steht, von innen und von außen. Denn die Wahlen finden ja nicht nur im Schatten der Angst statt, sondern auch im Schatten von Helferstolz, von tausendfachem Helferstolz, dass wir das bewältigen, Millionen Menschen, die in Not zu uns gekommen sind, zu helfen.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte live hier im Deutschlandfunk. Herr Korte, danke Ihnen für das Interview.
    Korte: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.