Archiv

Poroschenko unter Druck
Ukraines "Rechter Sektor" wehrt sich gegen "innere Okkupation"

Obwohl der Waffenstillstand eingehalten wird und die Separatisten Zugeständnisse gemacht haben, gerät der ukrainische Präsident Poroschenko im Inland immer stärker unter Druck. Es geht um Mitspracherechte in Donezk und Luhansk. Viele ehemalige Kämpfer, die im Osten ihr Leben riskiert haben, sehen Kompromisse mit Russland grundsätzlich als Verrat an.

Von Florian Kellermann | 05.10.2015
    Zwei Mitglieder des Rechten Sektors in der Nähe der Stadt Khust in der Ukraine.
    Zwei Mitglieder des Rechten Sektors in der Nähe der Stadt Khust in der Ukraine. (AFP / Olexander Zobin)
    Uschhorod in der Westukraine ist ein verschlafenes Städtchen am Rande der Karpaten. Die hübsche Altstadt aus der österreichischen K.-und-K.-Zeit ist erhalten, aber stark renovierungsbedürftig.
    Die Menschen hier seien arm, erzählt Wolodymyr, ein Taxifahrer. Viele lebten vom Zigarettenschmuggel ins benachbarte Rumänien.
    "Ich versuche, pro Tag mindestens 200 Hrywnja einzunehmen. Wenn ich die Kosten fürs Benzin abziehe, bleiben mir dann fünf US-Dollar. Das reicht zum Leben, aber nur, wenn das Auto nicht kaputtgeht."
    Vor Kurzem geriet die Region Transkarpatien dann plötzlich in die Schlagzeilen: Die nationalistische Organisation "Rechter Sektor" lieferte sich hier ihr erstes und bisher größtes Gefecht mit der Polizei, in Mukatschewe, der zweitgrößten Stadt der Region.
    In Uschhorod, hoch oben am Hügel, liegt das regionale Hauptquartier des Rechten Sektors. Die Tür zur Villa öffnet Halina, 23 Jahre alt. Sie führt direkt zu einem Tisch, auf dem zwei Fotos mit Trauerflor stehen.
    "Ihn hier hat ein Schuss in den Rücken getötet. In den Rücken! Wie soll jemand, der dir den Rücken zukehrt, eine Gefahr für dich darstellen. Der Polizist hat also ganz sicher, zu hundert Prozent, seine dienstlichen Vollmachten überschritten. Aber ein Untersuchungsverfahren gibt es nicht. Wir sind auch gar nicht so naiv, auf so ein Verfahren zu hoffen."
    Die Kämpfer hätten nur einen korrupten Politiker zur Rede stellen wollen, der am Schmuggel verdiene, sagt Halina. Die örtliche Polizei stellt es etwas anders dar: Der Rechte Sektor habe vielmehr ein Stück vom Schmuggelgeschäft abhaben wollen, sagt sie.
    Der Kämpfer auf dem einen Foto starb bei dem Schusswechsel mit der Polizei, der andere starb im Osten, beim Kampf gegen die pro-russischen Separatisten. Für Halina symbolisieren die zwei Fotos die beiden Fronten, an denen ihre Organisation kämpfe - die äußere und die innere
    Kämpfer wollen ihre Waffen nicht abgeben
    In der Küche der Villa sitzt Mychajlo. Der 25-Jährige mit dem Spitznamen "Panzer" hat im Osten an vielen Schlachten teilgenommen. Auch er stammt aus einem bürgerlichen Milieu, hat Jura studiert und zuletzt in einem Architekturbüro gearbeitet. Auch er ist bereit zum Kampf gegen den "inneren Feind".
    "Ich weiß nicht, wer das Recht hat, die Macht im Staat an sich zu reißen. Aber wenn eine patriotische Vereinigung versucht, die Regierung zu stürzen, dann unterstütze ich das. Das kann der Rechte Sektor sein, das Bataillon Asow oder das Bataillon Donbas. Die Freiwilligenbataillone verständigen sich untereinander. Wenn eines von ihnen marschiert, werden die anderen folgen."
    Deshalb denken die Kämpfer gar nicht daran, ihre Waffen abzugeben. Doch die Regierung hat sie vor die Alternative gestellt: Entweder verwandelt sich der Rechte Sektor in eine rein zivile Organisation, oder er gliedert sich in staatliche Strukturen ein. Die letzte Konsequenz hat der Staat allerdings noch nicht gezogen. Bisher hat er die angedrohte Entwaffnung jedenfalls nicht erzwungen.
    Zunächst ist es bei Festnahmen geblieben, so kürzlich etwa in Odessa, und bei starken Worten. Stellvertretend dafür - der Gouverneur von Transkarpatien Hennadij Moskal: Der kündigte an, er werde die Region von der Organisation Rechter Sektor "befreien".
    "Sie beschäftigen sich mit allem möglichen Unfug - mit Überfällen, Morden, Entführungen. Unsere Rechtsschutzorgane bezeichnen das ganz richtig als Banditentum."
    Halina öffnet die Tür zum Schlafsaal der Villa. Auf dem Boden liegen Matratzen. An der Wand lehnt ein Schnellfeuergewehr, allerdings kein echtes: Es ist umgebaut und feuert nur Plastikkugeln ab.
    "Nehmen Sie es ruhig in die Hand, es fühlt sich an wie ein echtes. An solchen Geräten haben unsere Kämpfer trainiert, aber auch Kinder, die in den Sommerferien bei uns waren. Nein, wir wollen sie nicht zu einer Armee formieren, wir wollen aus den Kindern nur Patrioten machen."
    Ein echter Patriot: Das ist für Halina und ihre Kampfgenossen ein Ukrainer, der bereit sei, für sein Vaterland zu sterben. Auch sie werde zur Waffe greifen, wenn der Feind ihr Land erobern wolle, sagt sie.