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Präventionsarbeit
Radikalisierung den Nährboden entziehen

Viele Jugendliche sind auf Identitätssuche. Deshalb werben radikale Salafisten gerade um sie. Dem entgegenwirken wollen Initiativen in Berlin und Nordrhein-Westfalen, die Aussteigern helfen und in der Prävention erfolgreich sind. Doch ihre Finanzierung ist nicht gesichert.

Von Kemal Hür |
    Ein Mann hält am 29.10.2014 während einer Pressekonferenz in Bochum (Nordrhein-Westfalen) eine Infobroschüre in der Hand.
    Präventions- und Aussteigerprogramme wie "Wegweiser" wollen Jugendliche durch Aufklärung vom Salafismus fernhalten. (picture alliance / dpa - Marius Becker)
    Eine Schule in Berlin-Kreuzberg. Viele Schüler haben hier Migrationshintergrund, viele sind muslimischen Glaubens. Auch der IS ist hier häufig ein Thema, so mancher hat Bekannte, die sich von der Propaganda angesprochen fühlen. Der 18-jährige Ali erinnert sich an einen jungen Mann, der sich radikalisiert hat, nachdem er die Schule abgebrochen und keinen Ausbildungsplatz bekommen hatte.
    "Der hat jetzt beschlossen, nach Syrien zu reisen. Seine Mutter war dagegen. Ich bin auf Facebook mit ihm befreundet und sehe auch viele Beiträge, die eigentlich gegen den Islam sprechen und dann für den Islam, dann gegen den Islam. Also man merkt schon, er weiß nicht, was er will, aber Hauptsache nach Syrien reisen und dann für so was kämpfen, für so eine sinnlose IS."
    An der Schule selbst gebe es keine radikalisierten Schüler, sagt die Schulleitung. Trotzdem wird das Thema Extremismus intensiv behandelt. Regelmäßig werden in Klassen Workshops angeboten, in denen die Schüler zu den Themen Antisemitismus, Salafismus und Dschihad arbeiten.
    "Für uns das ist eines der zentralen Themen, wo Nährboden für islamistische Radikalisierung anbietet. Eine Auseinandersetzung zu diesem Themenfeld anzubieten - ausgehend zum Beispiel von Moscheekonflikten in Deutschland."
    Das Versprechen der Salafisten: Einfache Antworten auf komplexe Fragen
    Aycan Demirel leitet die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, kurz KIgA, die diese Workshops durchführt. Ihr Ansatz: Gerade im Schulalter sind Jugendliche mit der Suche nach der eigenen Identität beschäftigt. Radikale Muslime, wie die Salafisten, bieten auf viele Fragen eine vermeintlich einfache Antwort, ein einfaches Weltbild und klare Regeln. Und sie sprechen die Jugendlichen gezielt in sozialen Netzwerken an, sagt Aycan Demirel.
    "Daher ist wichtig, an Medienkompetenz zu arbeiten, sie dahin zu schulen, dass sie Werkzeuge, Kompetenzen erwerben, guten Journalismus zu erkennen, kritisch Medienbeiträge aufzufassen."
    Die Projekte laufen gut, aber jetzt hat die Initiative ein Problem: Drei Jahre wurde sie vom Familienministerium finanziert. Ende des Jahres aber läuft die Förderung aus. Eine Weiterfinanzierung ist nicht gesichert. Dabei haben erst gerade die Innenminister bei ihrer in Köln stattfindenden Herbstkonferenz bekräftigt, wie wichtig neben Repression auch die Prävention ist. NRW-Innenminister Ralf Jäger, der die Konferenz leitet, sagt:
    "Wir haben ein Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen entwickelt, Titel: Wegweiser. Wir wollen sehr individuell gemeinsam mit lokalen Netzwerken, die aus Schulamtsvertretern, sozialen Vertretern, Moscheeverein, Imamen mit ihrer religiösen Kompetenz bestehen, auf diese jungen Männer einwirken, damit sie gar nicht erst in diese Szene abrutschen."
    Radikalisierung früh erkennen
    Ähnliche Ziele wie das NRW-Projekt verfolgt auch der Berliner Verein "Violence Prevention Network", kurz VPN, der bundesweit mit seinen Projekten versucht, Radikalisierung möglichst früh zu erkennen und mit geeigneten Maßnahmen zu bekämpfen. Der Geschäftsführer Thomas Mücke erklärt, wie das funktioniert.
    "Es wurde immer sehr viel über diese Jugendlichen gesprochen, aber wenig mit diesen Jugendlichen direkt gearbeitet. Unsere Arbeit ist aufsuchend, nämlich dahin zu gehen, wo diese jungen Menschen sich aufhalten und versuchen, sie direkt anzusprechen. Das ist so ein Alleinstellungsmerkmal von "Violence Prevention Network", dass wir versuchen, mit gefährdeten jungen Menschen direkt in Kontakt zu treten."
    Deswegen besuchen die Mitarbeiter des Vereins auch inhaftierte Jugendliche in Gefängnissen.
    "Die Jugendvollzugsanstalten sind große Rekrutierungsorte für gefährdete junge Menschen. In ihrem Leben ist alles gescheitert. Sie haben keine Orientierung. Und wenn es dann die Leute gibt, die sagen, du bist nur deswegen in der Vollzugsanstalt drin, weil du von dieser Gesellschaft ausgegrenzt worden bist, weil Muslime weltweit unterdrückt werden. Und dann werden ihnen so einfache Erklärungsansätze angeboten. Und dann können sie sehr schnell verfallen, sich diesem Milieu anzuschließen. Und es kann ja nicht sein, dass ein Extremist in die Jugendvollzugsanstalt reinkommt, und fünf kommen wieder raus."
    Dass die pädagogische Arbeit in den Gefängnissen erfolgreich ist, belegt eine unabhängige Studie. Danach werden nur 13 Prozent der Teilnehmer an den Trainingskursen von VPN nach ihrer Entlassung wegen einer Gewalttat wieder inhaftiert. Die generelle Rückfallquote beträgt hingegen 41,5 Prozent. Trotz dieses Erfolgs war das Programm immer ein Modellprojekt, klagt Thomas Mücke.
    "Und das ist immer das Problem, das wir in der Deradikalisierungsarbeit haben in der Bundesrepublik Deutschland. Es sind keine Regelfinanzierungen, es ist projektmodellgefördert."
    Weitere Finanzierung ist noch unsicher
    Ähnlich wie die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus bangt auch Thomas Mücke vom VPN drei Wochen vor Jahresende noch um die Weiterfinanzierung des Projektes. Das Bundesfamilienministerium hat das neue Fünf-Jahres-Programm "Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit" mit einer Fördersumme von 30,5 Millionen Euro aufgelegt. Doch Finanzierungszusagen gibt es noch nicht. Warum stellt die Politik angesichts der zunehmenden Radikalisierung von Jugendlichen Aussteiger- und Präventionsprojekte nicht künftig auf eine solidere finanzielle Basis? Berlins Innensenator wollte sich nicht äußern, NRW-Innenminister Jäger verweist auf die Länderebene:
    "Ich kann nur an meine Kollegen appellieren, dafür zu kämpfen, dass wir solche Präventionsprojekte in ganz Deutschland bekommen. Wir müssen verhindern, dass diese extremistische Strömung weiter wächst. Wir müssen denen das Wasser abgraben."
    Ob diesen Worten auch Taten und vor allem auch Gelder folgen werden? Thomas Mücke ist verhalten optimistisch:
    "Also wir warten mal ab, was in der Innenministerkonferenz geschieht."