Die Geschichte der Leipziger Professur für Religionswissenschaft und Religionskritik beginnt in Wien. Mit Adolf Holl, einem katholischen Priester und Autor, Jahrgang 1930.
"Wichtig ist mir diese Professur, weil ich seit langer Zeit ein Problem mit der römisch-katholischen Kirche habe. Nämlich mit Rom. Das ist mein Problem."
Sein Problem: In den 70er Jahren legt sich Adolf Holl mit der katholischen Kirche an, stellt unter anderem den Zölibat in Frage. Holl wird als Priester suspendiert und darf auch nicht mehr Theologie lehren. Seitdem schreibt er Bücher, oft religions- und kirchenkritisch. Sein Ziel sei es dabei aber nicht, die Kirche oder die Religion als solches abzuschaffen, sagt Adolf Holl am Telefon in Wien.
"Ich kann ja nicht etwas zerstören wollen, also Religion zerstören wollen. So wie auch Kunstkritik nicht zerstören will, sondern etwas Genaueres wissen will."
Stiftung als "Kreuzweg"
Kritik ist hier also auch als Wertschätzung zu verstehen. Mit über 80 Jahren entschließt sich Adolf Holl, eine Professur für Religionskritik zu stiften. Das stellt sich allerdings als gar nicht so einfach heraus. Und so vergeht noch einiges an Zeit, bis es so weit ist.
"Ich habe bei mir im kleinen Kreis von meinen Versuchen – etwa fünf oder sechs Jahre lang – diese Professur zu stiften, von einem Kreuzweg gesprochen."
An fünf Universitäten hat Adolf Holl es versucht. Immer wieder sei er abgewiesen worden. Obwohl es schon beim ersten Hochschulrektor, bei dem er angefragt hatte, gut zu laufen schien: "Der war sehr entgegenkommend, aber nur zum Schein."
Religionskritik und Religionsfeindschaft
Auch mit anderen Universitäten konnte der potenzielle Stifter sich nicht einigen: "Da hat mein Name allein schon genügt, um mich aus dem Weg zu räumen."
Bis es dann schließlich doch mit der Stiftung geklappt hat – eben in Leipzig. Dass eine solche religionskritische Professur es in der akademischen Landschaft nicht leicht hat, bestätigt auch derjenige, der die Professur in Leipzig nun innehat: der Religionswissenschaftler Horst Junginger.
"Das hat einfach damit zu tun, dass die Religionskritik – ich will nicht sagen tabuisiert ist, aber dass die Religionskritik von vielen Menschen mit Religionsfeindschaft in Verbindung gebracht wird. Religion gilt automatisch als Normalfall. Und alles, was nicht Religion ist, ist eine Abweichung von diesem Normalfall. Insbesondere in der Kombination von Kritik und Religion, wenn damit assoziiert wird, dass es darum ginge, Religionen abzuschaffen."
Einzigartige Professur
Das sei zwar keineswegs sein Ziel, trotzdem glaubt Horst Junginger, dass eine solche Professur in Deutschland derzeit nur in Form einer Stiftungsprofessur durchsetzbar ist:
"Es wäre nicht möglich, eine Professur für Religionswissenschaft und Religionskritik auf normalem Wege zu etatisieren."
Die Religionskritik im Namen macht die Leipziger Professur im deutschsprachigen Raum einzigartig – und sicher auch darüber hinaus. Wobei eine religionskritische Arbeitsweise unter Religionswissenschaftlern durchaus üblich sei, betont Horst Junginger.
"Im Allgemeinen kann man sagen, dass das religionskritische Element von den meisten als Bestandteil der Religionswissenschaft erachtet wird. Und auch meiner Auffassung nach gehört die Religionskritik zur Religionswissenschaft dazu. Und mein Ansatz geht in die Richtung von einer religionswissenschaftlichen Grundlagenforschung, die von der Religionskritik abgedeckt wird."
Pferde als Götter
Die ersten entsprechenden Lehrveranstaltungen hat Horst Junginger bereits geplant: "Ich werde eine Vorlesung machen - 'Religionskritik seit der Antike' - wo ich einfach das religionskritische Denken darstelle, das schon lange vor dem Christentum in der abendländischen Geistesgeschichte Fuß gefasst hat."
Etwa bei dem antiken griechischen Philosophen Xenophanes. Der stellte fest, dass Menschen sich ihre Götter nach ihrem eigenen Aussehen geschaffen hätten. Daher behauptete Xenophanes, dass die Götter der Pferde – wenn sie denn welche hätten – wie Pferde aussehen würden.
Horst Junginger geht es in seiner Professur allerdings nicht darum, sich solche religionskritischen Positionen zu eigen zu machen – sondern sie zu analysieren. Junginger unterscheidet zwischen wissenschaftlicher Religionskritik und weltanschaulicher Religionskritik.
"Vor dem Richterstuhl der menschlichen Vernunft"
Zur weltanschaulichen Religionskritik zählen nicht nur Xenophanes und seine antiken Kollegen, sondern natürlich auch Marx, Feuerbach, Nietzsche und viele andere. Diese Art von Kritik greift Religionen scharf an, will sie teils sogar abschaffen.
"Die Geschichte der Religionskritik, wie sie sich entwickelt hat – die in Wirklichkeit eine Geschichte der Kirchenkritik oder eine Geschichte der Christentumskritik ist – die ist natürlich Teilbereich einer religionskritischen Forschung im Rahmen der Religionswissenschaft. Wobei die Religionskritik, wie sie bisher vorliegt, nur in ganz seltenen Fällen den Status einer systematischen Wissenschaft angenommen hat oder einer systematischen Auseinandersetzung mit Religion. Da kann man im Prinzip erst seit Immanuel Kant von einer systematischen Religionskritik sprechen."
In der Tradition von Kants Kritiken verortet Horst Junginger auch seinen eigenen wissenschaftlichen Ansatz: "Kritik im Sinne des Kantischen Kritizismus, dass sich alles vor dem Richterstuhl der menschlichen Vernunft zu verantworten hat – und eben auch die Religion, die davon nicht ausgenommen werden darf."
Junginger verweist darauf, dass seiner Ansicht nach "jede Wissenschaft im Prinzip kritisch arbeitet, auf Kritik beruht, und eine Wissenschaft, die nicht kritisch ist, eigentlich nicht das Label wissenschaftlich verdient."
"Für eine evolutionäre Weiterentwicklung der Religion sorgen"
Mit diesem kritischen wissenschaftlichen Blick schaut Horst Junginger auch auf Kritik innerhalb von Religionsgemeinschaften.
"Religionskritik, die sich an Fehlentwicklungen der eigenen Religion orientiert, beziehungsweise Anstand nimmt, und die die eigene Religion durch die Kritik verbessern möchte. Und diese innerreligiöse Religionskritik mündet im Idealfall in religiöse Reformen ein, die dann die religiösen Missstände abschaffen oder beziehungsweise für eine evolutionäre Weiterentwicklung der Religion sorgen."
Martin Luther etwa ist so ein innerreligiöser Religionskritiker gewesen. Auch Religionsstifter kann man als diesen Typus von Religionskritikern beschreiben: etwa Buddha als Kritiker der vedischen Religionen in Indien, Jesus als Kritiker jüdischer Strömungen seiner Zeit oder Muhammad als Kritiker des Stammesglaubens auf der arabischen Halbinsel.
"Als noch die Todesstrafe für Blasphemie vorgesehen war"
Kritiker etablierter religiöser Vorstellungen und Strukturen hatten es in der Religionsgeschichte allerdings zumeist nicht leicht. Auch damit will sich Horst Junginger gemeinsam mit seinen Studierenden befassen.
"Dann werde ich ein Seminar anbieten zum Blasphemie-Verständnis im Wandel der Zeit. Wenn wir daran denken, dass im Alten Testament noch die Todesstrafe für Blasphemie vorgesehen ist, hat sich doch im Laufe der Zeit im Zusammenhang der Verweltlichung des Rechts auch die Bestrafung der Blasphemie stark gewandelt."
Heute hat die sogenannte Gotteslästerung in vielen Staaten keine rechtlichen Folgen mehr – zumindest nicht vor weltlichen Gerichten. Innerhalb von Religionsgemeinschaften jedoch bekommen Kritiker nach wie vor häufig Probleme. Für sie gelte oft das Sprichwort:
"'Die ärgsten Kritiker der Elche waren meist selber welche.' Viele arbeiten dabei ihre eigene Lebensgeschichte auf. Insbesondere, wenn sie katholisch sozialisiert waren, sind dann aber auch nicht ganz frei in ihrer Beschäftigung mit der Religion."
"Aus Hass gegenüber der katholischen Kirche"
Als prominentes Beispiel nennt Horst Junginger den Autor Karlheinz Deschner, den wohl profiliertesten deutschen Kirchenkritiker der vergangenen 70 Jahre.
"Wenn diese innerreligiöse Religionskritik nicht ernst genommen wird oder wenn die Religionskritiker, Kirchenkritiker bestraft werden, dann werden sie oftmals – wie im Falle Deschner – zu sehr aggressiven Kirchenkritikern, die da auch ihre eigene Lebenserfahrung verarbeiten und – wie Deschner von sich aus sagt: Er schreibt seine Bücher, sagt er explizit, aus Hass gegenüber der katholischen Kirche. Und wenn man seine Biografie ansieht, kann man das in gewisser Weise auch ein bisschen nachvollziehen, warum er auf so eine Idee kommt."
Deschner und seine Ehefrau sind 1951 von der katholischen Kirche exkommuniziert worden, weil sie zusammenlebten, ohne kirchlich geheiratet zu haben. Das gilt als Ausgangspunkt von Deschners Kritik an der Kirche. Es gipfelte in der zehnbändigen "Kriminalgeschichte des Christentums". Als Vorbild für wissenschaftliche Religionskritik sei Deschner jedoch nicht geeignet, meint Horst Junginger:
"Wissenschaft sollte ohne dieses Aggressionspotenzial auskommen und mit einer heiteren Miene sich ihren Gegenständen nähern. Eine heitere Miene, für die Adolf Holl, der Stifter dieser Professur, ein gutes Beispiel abgibt." [*]
Kampfsport statt Kirche
Adolf Holl wirkt seit rund einem halben Jahrhundert als innerkirchlicher Kirchenkritiker – denn ausgetreten ist er nicht.
"Bei Adolf Holl ist das ein einzigartiger Fall, dass er – obwohl er noch Mitglied der Kirche ist – ein sehr entspanntes Verhältnis pflegt und seine Kritik mit einer heiteren Gelassenheit verbindet. Man könnte das auch anderen anraten."
Der suspendierte katholische Priester Adolf Holl verbindet Ernsthaftes mit Augenzwinkern – etwa auch wenn man ihn fragt, was Horst Junginger für die religionskritische Professur qualifiziert:
"Das kann ich Ihnen schon sagen, obwohl ich damit sozusagen – wie soll ich sagen – einen kleinen Verrat begehe. Der Herr Junginger ist nicht heimlich – wie viele andere Religionswissenschaftler – dem Herrn Jesus anhängig, sondern er geht zwei oder drei Mal in der Woche Kampfsport üben. Aber er selbst hängt nicht in der Religion fest. Und das ist für mich ein wichtiger Faktor."
[*] Anmerkung der Redaktion: Leider ist uns in der Ursprungsfassung beim Wort "Miene" ein Rechtschreibfehler unterlaufen, den wir korrigiert haben.