Hörspiel des Monats November 2024
Die Könige spielen die anderen
Von Gesche Piening
Mit: Godehard Giese, Silke Bodenbender, Gisa Flake, Lotte Ohm, Florian Lukas, Stephan Bissmeier, Holger Bülow, Malene Becker, Ole Fischer
Besetzung: Kathi Bonjour und Jutta Kommnick
Regieassistenz: Swantje Reuter
Ton und Technik: Thomas Monnerjahn und Eugenie Kleesattel
Komposition und Klavier: Michael Emanuel Bauer
Musik: Nikolas Neuser (Trompete und Flügelhorn) und Hannes Strobl (E-Bass und Elektronik)
Regie: die Autorin
Dramaturgie: Christine Grimm
Deutschlandfunk Kultur 2024
Begründung der Jury der Akademie der Darstellenden Künste:
„Macht ist eine Tatsache und keine Macht auch." Gesche Pienings Hörspiel über hierarchische Muster in der Chefetage eröffnet mit höfischen Fanfarenklängen und gesprochenem Chor. In diesem wehrt sich das vielstimmige Ich gegen Vorschläge von außen zum eigenen Verhalten, ohne jedoch den Mut aufzubringen, aus dem Gleichklang auszubrechen. Mit solchen Mitteln erschafft das Hörspiel eine Arbeitswelt der Widersprüche und Brüche, in der wir als Individuum wahrgenommen und für Ideen geschätzt werden wollen und gleichzeitig die anderen verwechseln oder - noch schlimmer - selbst verwechselt werden, jedoch nicht mit Doppelgängern, die uns ähnlich sind, sondern mit irgendwelchen anderen Mitarbeitenden, die ihrer täglichen Lohnarbeit nachgehen. Es ist eine Welt, in der Angestellte dafür da sind, Chef und Chefin glücklich zu machen und wenn sie in Rente gehen, als Racheakt für die lebenslange Aufopferung die gemachten Erfahrungen für sich behalten und in die Versenkung, genannt Ruhestand, mitnehmen. Eine Welt, in der man, ob Chefin oder Angestellter, es gewohnt ist, beurteilt zu werden. Tränen sind entlarvend und Freundlichkeit bringt niemanden weiter. „Außer, man hat ein ganz besonderes Team - doch wer hat das schon?"
Das Hörspiel überzeugt mit klugen Momentaufnahmen und überraschenden Sätzen, die Gedankenräume öffnen und kompositorisch relativiert werden, worin der Humor und Feinsinn des originären Textes liegen. Zentrales Thema dabei ist die ständige Abhängigkeit voneinander: Könige brauchen Untertanen, Mitarbeiterinnen haben Vor- und Feindbilder, meine Ideen werden annektiert und „die Freizeit des einen kann sehr viel Arbeit für einen anderen bedeuten". Alles muss immer weitergehen, dies wird auch musikalisch vorantreibend unterstrichen (Komposition: Michael Emanuel Bauer), mal wird eine Stimme fast zum Ertrinken gebracht, mal mit fließbandähnlichen Wiederholungen in fleißigem Trott gehalten, immer mehr stehen die Stimmen unter Strom, von Rauschen gestört. Doch trotz hörbarer Erschöpfung überleben sie, der nächste Urlaub kommt bestimmt.
Gesche Piening thematisiert Machtstrukturen und Wachstumskreisläufe, die schon viel zu lange danach verlangen, durchbrochen und aufgelöst zu werden, und sie bietet eine Lösung an: Der Reflex, immer wieder in festgelegte und konditionierte Rollenbilder zu verfallen, muss gelöscht werden. Um dies zu erreichen, sendet das Hörspiel wiederholt inhaltliche Reize aus („Kennen wir uns?"), in der Hoffnung, dass die Hörenden eigene festgefahrene Muster auflösen können. Dieser Versuch ist bemerkenswert und darum Hörspiel des Monats November 2024.