Juliane Reil: Anfang des Jahres sind im Iran in vielen Städten des Landes Menschen auf die Straße gegangen. Der Grund: Die Wut über die Arbeitslosigkeit, Korruption und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Im Laufe der Proteste wurde aber auch immer mehr Kritik an der politischen und geistlichen Führung laut. Diese Kritik, die übt auch der Exil-Iraner Shahin Najafi, und zwar in seiner Musik. Mit dem Song "Shayyad" - "Bösewicht", den wir gerade gehört haben, adressiert er das iranische Regime. Seit mehreren Jahren ist der Künstler auf der Flucht, im Iran wurde er mit einer Todes-Fatwa belegt. Vor der Sendung haben wir mit ihm gesprochen, meine erste Frage war: Wie schätzen Sie die aktuelle politische Lage im Iran ein?
Shahin Najafi: Wie berichtet von meinem Freundeskreis und meinen Fans, mit denen ich Tag und Nacht in Verbindung bin: Durch massive Angriffe von Anti-Demo-Polizei, Revolutionsgarde und paramilitärische Basij sind die Aufmärsche reduziert und unterdrückt worden. Von offizieller Seite sind über ungefähr 2.000 Leute ins Gefängnis gebracht worden. Der erste Todesgefangene ist zu beklagen. Also meine Hoffnung, was ich jetzt verstehen kann, ist, dass alles hilft dem Regime aber nicht, weil das Problem nach wie vor besteht. Das grundsätzliche Problem ist die misswirtschaftliche Situation des Regimes und seiner Anhängerschaften.
Reil: Das heißt, Sie würden aber jetzt im Moment sagen, dass sich die Bedingungen im Iran noch einmal extrem verschlechtert haben.
Najafi: Kann so sein, ja.
"Dem Minenarbeiter bleibt nichts anderes, als zu demonstrieren"
Reil: Sie sagten gerade, Sie stehen noch in Kontakt mit Ihren Freunden, mit Familienmitgliedern. Ist dieser Kontakt unterbrochen oder ist der noch relativ konstant für Sie möglich?
Najafi: Also vor zwei, drei Tagen denke ich, waren alle Agitation, Medien, Möglichkeiten gefiltert, aber jetzt bin ich wieder mit meinen Freunden in Kontakt. Und es ist schwierig mit den Worten von Europäern zu beschreiben. Da würde ich auch ein Beispiel sagen: Ein Minenarbeiter, der sowieso unterbezahlt ist und seit neun Monaten keinen Lohn bekommen hat, wird von seinem Chef verprügelt und entlassen. Ihm bleibt nichts anderes, als zu demonstrieren, der hat nichts zu verlieren.
Reil: Aber wer geht denn überhaupt noch auf die Straße? Wer sind diese Menschen genau, die man vorfindet, und die überhaupt noch demonstrieren können?
Najafi: Von allen Schichten der Gesellschaft. Meistens aber die junge, gebildete Generation, die keine Aussicht auf Zukunft hat.
"Die Lösung ist eine sofortige Änderung und ein Regierungswechsel"
Reil: In der gestrigen Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" behauptet der Schriftsteller Hassan Cheheltan, dass die Proteste die Probleme des Landes nicht lösen würden, so habe ich Sie jetzt gerade auch verstanden. Was würden Sie denn denken? Was wäre notwendig, um die Umstände in diesem Land zu verbessern?
Najafi: Von meiner Seite, meiner Meinung nach ist das Problem nicht seit gestern da. Aber seit 2009, mit der Grünen Bewegung im Iran, sind die Freiheiten noch mehr eingeschränkt worden, Studenten von der Uni entlassen. Das Land hat sich in zwei Gruppierungen aufgespalten: Mit uns oder gegen uns, ich meine aus dem Regime. Die Lösung ist, die jetzige Bewegung ohne jegliche Einmischung politischer oppositioneller Führung, von Grund auf und frei von jeden Vorwürfen mit einfachen Forderungen, Brot, Arbeit, Freiheit, zu versorgen, wobei das Brot nur symbolisch gemeint ist. Und das ist so die letzte Chance vom Regime, was ich jetzt verstehe. Die Lösung ist sofortige Änderung, Regime Change.
Reil: Okay, das beschreiben Sie als die Lösung. Aber die Frage ist ja, wie stark ist dieses Regime, in dem es jetzt eben tatsächlich die Aufstände runterknüppelt, beziehungsweise eben Leute auch ins Gefängnis bringt. Für wie stark halten Sie dieses Regime?
Najafi: Auf jeden Fall ist es schon stark, aber das hat einfach gebebt. Sogar die Konservativen haben sich über das Vorgehen des Regimes beklagt. Wenn wir ständig auf der Straße bleiben, das kann einfach funktionieren.
Reil: Also das heißt, da dürfte sich eventuell auch tatsächlich etwas in den politischen Reihen verändert haben, dass dieses Vorgehen jetzt eben für zu hart empfunden wird, auch in konservativen Kreisen.
Najafi: Ja.
"Gemeinsam können wir es schaffen"
Reil: Sie sind jetzt in der Lage, von Europa aus eventuell Zeichen zu setzen. Aber wie würden Sie sagen, was können Künstler eben tatsächlich im Iran selbst machen? Ich meine, viele sind da - würde ich sagen - zum Schweigen dann doch verdammt eigentlich und haben einfach keinen Handlungsspielraum, oder?
Najafi: Ja, aber das kann ich so allgemein beschreiben. Die Kunst ist meiner Meinung nach - wie Mathematik und Physik - eine galaktische Sprache. Das hat bis jetzt noch keine Religion, keine Regierung und kein Land geschafft. Die Kunst und Musik verbindet, aber alle anderen, die spalten noch. Wenn wir alle Künstler dort also einfach zusammen sind, gemeinsam sind, dann schaffen wir es.
Reil: Das heißt, Sie würden den Weg, den Sie eingeschlagen haben, noch einmal gehen?
Najafi: Natürlich, ja.
Reil: Shahin Najafi im Corsogespräch. Ganz herzlichen Dank.
Najafi: Vielen Dank.
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