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Prozess gegen Bülent Ciftlik

Bülent Ciftlik, Sohn türkischer Einwanderer, machte einst eine steile Karriere bei der SPD. Am 15. Februar soll ihm wieder der Prozess gemacht werden, gegen ihn wird wegen Anstiftung zur Scheinehe und zur Falschaussage, Wahlfälschung und Körperverletzung ermittelt. Seine Familie bittet im Internet um Fairness.

Von Verena Herb |
    Draußen, über dem Schaufenster, klebt ein Schild mit seinem Name: Bülent Ciftlik. Schon als Hamburger Bürgerschaftsabgeordneter nutzte er den schmalen, langen Raum im Stadtteil Altona als "Bürgerbüro". Immer ein offenes Ohr für die Nöte der Nachbarn. Im November 2010 wurde er aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschland ausgeschlossen – vom SPD-Logo am Eingang sind nur noch Reste zu erkennen. Ciftlik war Ziehsohn von Olaf Scholz, Pressesprecher der Landes-SPD, Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft – jetzt gehört das "vielversprechendes Polittalent mit türkischen Wurzeln" nicht mehr dazu. Doch sein Büro will der 39-Jährige nicht aufgeben. Er will sich nicht verstecken, erzählt Bülent Ciftlik, während er einen der roten Sessel für seinen Gesprächspartner zurechtrückt. Bülent Ciftlik hat eingewilligt, sich mit dem Deutschlandfunk zu unterhalten. Doch seine Stimme möchte er nicht im Radio hören. Man einigt sich darauf, ihn von einem Sprecher zitieren zu lassen.
    Er habe immer wieder mit dem Vorwurf zu kämpfen:

    "Dieser eitle Mann, dem ist das alles egal. Der will einfach nur in den Vordergrund, in die Öffentlichkeit. Dieser Vorwurf schmerzt. Verletzt mich. Und zeigt mir einmal mehr – meine Güte: Was mache ich eigentlich falsch? Das meine ich ganz selbstkritisch: Dass so ein Eindruck entsteht?"

    Deshalb: kein O-Ton im Radio. Der ehemalige Genosse wirkt müde. Er schläft schlecht, hat abgenommen. Sein gepflegtes Erscheinungsbild mit hellgrauem Pullover über dem blauem Hemd und der dunklen Anzughose, der tägliche Gang in sein Büro geben ihm Halt. Sein Versuch, einen geregelten Tagesablauf zu leben. Ciftlik ist arbeitslos.

    Kommenden Mittwoch wird Bülent Ciftlik zum zweiten Mal vor Gericht stehen. Ihm wird vorgeworfen, eine Scheinehe zwischen der Deutschen Nicole D. und dem Türken Kenan T. vermittelt und als Belohnung ein Darlehen für seinen Wahlkampf erhalten zu haben. Deswegen wurde Bülent Ciftlik im Juni 2010 zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt. Er legte Berufung ein, ebenso die Staatsanwaltschaft. Der Berufungsprozess beginnt in der kommenden Woche. Verhandelt wird dort auch über weitere Vorwürfe, wie Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers erläutert:

    "Zusätzlich hat sich der Angeklagte wegen neun weiteren Straftaten zu verantworten. Ihm wird unter anderem Urkundenfälschung, Anstiftung zur Falschaussage und Körperverletzung vorgeworfen."

    Bülent Ciftlik soll vor der Hamburger Bürgerschaftswahl im vergangenen Februar in 56 Fällen Briefwahlanträge von Deutschtürken gefälscht haben. Ihm wird vorgeworfen, dass er ohne deren Wissen Briefwahlunterlagen beantragen ließ – seine Helfer sollen dazu Unterschriften gefälscht haben.
    Die 40-seitige Anklageschrift ähnelt einem Kriminalroman: So soll der ehemalige Politiker mehrere Zeuginnen und Zeugen zu Falschaussagen genötigt und dafür bezahlt haben. Noch ominöser: Zwei Bekannte sollen von Ciftlik beauftragt worden sein, die Spionagesoftware "Spector Pro" auf den Rechner der Scheinehe-Braut Nicole D. zu spielen, um ihre Passwörter auszuspähen und ihr zwei gefälschte Emails auf den Rechner zu spielen.

    Ein weiterer Vorwurf: Bülent Ciftlik wird verdächtigt, einen 23-Jährigen, der bei der Polizei als Zeuge gegen ihn ausgesagt hat, unter Druck gesetzt und sogar geschlagen zu haben. Der junge Mann zeigte Ciftlik an. Und die Staatsanwaltschaft erließ Haftbefehl. Der Ex-Politiker musste am 15. März letzten Jahres in Untersuchungshaft. Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers:

    "Gegen ihn bestand damals der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr. Verdunkelungsgefahr lag deswegen nah und drängte sich für Gericht und Staatsanwaltschaft auf, weil es ausreichende Anhaltspunkte dafür gab, dass der Angeklagte auf Beweismittel, insbesondere auf einen Zeugen, massiv eingewirkt hat, um sozusagen dadurch die Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung zu erschweren."

    Drei Monate sitzt Bülent Ciftlik 2011 hinter Gittern. Eine schwere Zeit – nicht nur für ihn, auch für seine Familie, erzählt Cinar Ciftlik, der ältere Bruder:

    "Die letzten drei, vier Jahre sind für uns wie ein Albtraum. Und immer wenn man denkt, es kommt nicht mehr schlimmer – wird´s schlimmer. Es tut mir leid, das geht mir sehr, sehr nahe. Wir müssen natürlich auch immer an unsere Eltern denken. Unsere Eltern sind die klassischen anatolischen Bauern gewesen, die nach Deutschland kamen, die sich hier was aufgebaut haben. Und die im Gegensatz zu vielen anderen Eltern etwas richtig gemacht haben. Denn jedes einzelne ihrer Kinder hat eine akademische Ausbildung. Und wir alle waren besonders stolz auf Bülent."

    Den Politologen, der in den USA studierte, Karriere in der Politik machte - als junger Akademiker mit türkischen Wurzeln war Bülent ein Vorbild für viele. Und dann muss der Bruder ins Gefängnis.

    Cinar, die Familie und einzelne Freunde starten die Facebook-Seite "Fairness für Bülent", um auf die - Zitat - "Ungereimtheiten im Ermittlungsverfahren" hinzuweisen.

    Cinar Ciftlik: "Wir müssen zumindest etwas initiieren. Etwas initiieren und sagen: So, wie´s läuft, ist es nicht gerecht."

    Der letzte Eintrag auf der Facebook-Seite ist vom Juni 2011. Wenn nächste Woche der Fall in Berufung geht, wird die kleine Unterstützerriege wieder mobilisiert. Ciftlik selbst verspricht, er werde im Prozess nicht sprachlos bleiben, denn:

    "Mein Leben ist mir entglitten. Nichts mehr von dem ist da. Gar nichts mehr. Ich bin seit drei Jahren fremdbestimmt. Nur Prozess. Es geht nur um meine Verteidigung, es geht nur darum, dass ich ein bisschen meinen Ruf zurückerlangen kann. Und meine Würde."

    Die sei ihm besonders wichtig. Doch Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers kündigt bereits an:

    "Dass es eine umfangreiche und lang andauernde Hauptverhandlung geben wird."