Bei den Mitarbeitern von "Reporter ohne Grenzen" in Berlin ist Can Dündar mittlerweile gut bekannt. Die Nichtregierungsorganisation unterstützt den 56-Jährigen, seit er sich im vergangenen Jahr ins Exil geflüchtet hat. In Deutschland kann sich Dündar relativ frei bewegen, er schreibt Artikel, arbeitet an Büchern. Wie es seinen Freunden und Kollegen im türkischen Gefängnis geht, das weiß der ehemalige Chefredakteur jedoch nicht:
"Ich kann nicht mit ihnen sprechen, nur mit den Anwälten und Familienangehörigen. Es gibt keine Möglichkeit, ihnen zu schreiben oder von ihnen Briefe zu erhalten. Jeglicher Kontakt ist untersagt. Was ich weiß, ist, dass sie zu dritt in einer Zelle eingesperrt sind, sie sind also nicht in Isolationshaft. Einmal in der Woche dürfen sie ihre Anwälte sehen, und alle zwei Wochen ihre Familie."
Can Dündar kennt den Alltag hinter Gittern. Im November 2015 wurde auch er in der Türkei verhaftet, anschließend war er drei Monate lang eingesperrt. In dem heute eröffneten Prozess ist Dündar einer der Hauptangeklagten. Es ist ein Verfahren mit internationaler Strahlkraft, sagt Christian Mihr, der Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen" in Berlin.
"Cumhuriyet ist ein Symbol für unabhängigen Journalismus in der Türkei und es stehen gleichzeitig Journalisten als auch Justiziare vor Gericht, also diejenigen, die die Journalisten eigentlich verteidigen sollen, deswegen ist dieser Prozess ganz ganz wichtig."
Vorwurf: Dündar soll mit einem Staatsanwalt gesprochen haben
Die Anklage gegen Dündar und seine ehemaligen Mitarbeiter lautet: Unterstützung terroristischer Gruppen, etwa der Bewegung des islamischen Predigers Fetullah Gülen oder der kurdischen Untergrundorganisation PKK.
Dündar: "Ja, wir haben einige von ihnen interviewt. Ich zum Beispiel habe einen Staatsanwalt interviewt, der die Untersuchung in einem Korruptionsskandal geleitet hat, in den Präsident Erdogan verwickelt ist."
Dieser Staatsanwalt wurde später als Gülenist bezichtigt. Dündar selbst wird nun vorgeworfen, überhaupt mit ihm gesprochen zu haben:
"Ganz ehrlich: Ich kenne keinen Journalisten, der die Möglichkeit verstreichen ließe, jemanden zu interviewen, der Untersuchungen in einem Korruptionsfall leitet, in die ein Präsident verwickelt ist. Aber so ist die Türkei, das Ganze ist ein politisches Verfahren."
Die Auswirkungen des Putschversuchs vor rund einem Jahr halten die Türkei noch immer in ihrem Bann: Rund 150 000 Staatsdiener, darunter Lehrer, Richter, Polizeibeamte oder Wissenschaftler wurden in den vergangenen Monaten entlassen. Fast 170 Journalisten sitzen mittlerweile in türkischen Gefängnissen, so viele wie in keinem anderen Land weltweit. 130 Medien mussten schließen. Für Can Dündar und seine Cumhuriyet-Kollegen geht es bei dem jetzigen Verfahren deswegen um die Pressefreiheit an sich:
"Wir müssen klarmachen, was Journalismus ist und was der Unterschied zwischen einem Bürokraten und einem Reporter ist. Ich habe Dokumente veröffentlicht, in denen es um illegalen Waffenhandel der Regierung ging. Hätte ich das nicht tun sollen? Hätte ich mich wie ein Bürokrat verhalten und die Geheimnisse für mich behalten sollen? Wir können gar nicht anders, wir müssen unser Recht zu schreiben und unser Recht, die Wahrheit zu sagen, verteidigen."
Dündar leidet unter Exil
Zahlreiche Diplomaten, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft begleiten den Cumhuriyet-Prozess in den kommenden Tagen als Prozessbeobachter. Can Dündar wird ihn aus der Ferne verfolgen. In Deutschland entgeht er zwar der Verfolgung durch die türkischen Behörden: Glücklich macht ihn diese Situation jedoch nicht:
"Im Geiste bin ich immer noch in dieser Gefängniszelle in der Türkei, in der jetzt meine Freunden und Kollegen sitzen. Wenn ich hier durch die Straßen gehe oder ein Café besuche, fühle ich mich nicht gut. Das ist wohl Teil des Kampfes. Gestern war ich im Gefängnis, heute bin ich im Exil. Ich werde wohl erst dann wieder fröhlich sein, wenn alle freigelassen sind."
Ein Urteil wird bereits für diesen Freitag erwartet.