Daniel Heinrich: Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Professor Eberhard Schneider. Er ist Russland-Experte und lehrt an der Uni Siegen Politikwissenschaften. Herr Schneider, ein Auftragsmord durch russische Agenten mitten in einer europäischen Hauptstadt, abgesegnet von der russischen Staatsspitze, ist das James Bond Material oder realistisch?
Eberhard Schneider: Nun, wenn wir das Urteil des Richters Owen zugrunde legen, Ergebnis einer gerichtsähnlichen Untersuchung in London seit 2014, gibt es die hohe Vermutung, dass der Mord von Moskau ausging und dass Putin wie auch der Chef des FSB, des Inlandsgeheimdienstes, Patruschew, diesen Mord gebilligt hat.
Mord an Litwinenko: "Eine Warnung an die Gegner Putins"
Heinrich: Warum dementieren die Russen dann so stark?
Schneider: Natürlich müssen die dementieren. Die können natürlich das nicht auf sich sitzen lassen, dass ihr Präsident einen Mordauftrag gibt. Bei dieser ganzen Angelegenheit übrigens fällt mir auf: Wenn es nur darum gegangen wäre von Moskauer Seite, einen Gegner zu vernichten, hätte man ihn ja einfach irgendwie erschießen können durch Scharfschützen, oder einen Verkehrsunfall inszenieren können. Aber nein: Man wollte offensichtlich, dass er einen qualvollen Tod stirbt, und man nimmt ein Mittel dazu, dieses radioaktive Polonium. Man konnte die Spuren dieses Poloniums mühelos verfolgen. Sie führten im Grunde bis nach Moskau.
Im Grunde ist das eine Warnung an die Gegner Putins, was ihnen passieren könnte, wenn sie nicht bereit sind, ihre Gegnerschaft zu Putin abzubauen. Litwinenko behauptete, dass er Beweise dafür hat, dass Putin verstrickt ist in die Tambow-Mafia. Die Tambow-Mafia stammte aus St. Petersburg und er sollte in Spanien bei einem Prozess gegen diese Tambow-Mafia aussagen. Aber dazu kam es nicht mehr durch diese Vergiftung.
Heinrich: Sie sagen, der Kreml wollte da ein klares Zeichen setzen?
Schneider: So würde ich das mal interpretieren, ja.
"Sanktionen der Briten werden sich wahrscheinlich in Grenzen halten"
Heinrich: Gehen wir mal ein Stück zurück, angesichts der Krise in Syrien und dem Kampf gegen den IS. Der Westen, der braucht Wladimir Putin, der braucht den Kreml. Wie sehr belastet denn jetzt diese Veröffentlichung diese Kooperation?
Schneider: Das ist ja das Problem. Der Mord fand 2006 statt. Das Ergebnis dieser gerichtsähnlichen Untersuchung kommt politisch im Grunde zur Unzeit und es ist natürlich jetzt tatsächlich so, dass der Westen langsam etwas auf Putin zugeht. Putin fühlt sich allmählich wieder in seinen Gesprächen auf Augenhöhe mit den USA und dem Westen. Insofern ist natürlich jetzt eine schwierige Situation. Auf der einen Seite kann man das, was jetzt bekannt geworden ist, nicht einfach so hinnehmen. Auf der anderen Seite macht es natürlich auch politisch keinen Sinn, jetzt im Grunde Russland völlig vor den Kopf zu stoßen, weil das im Grunde auch den aktuellen Interessen des Westens schadet.
Heinrich: Wie kommen wir da wieder raus?
Schneider: Ich vermute mal, Großbritannien spielt ja in diesem Fall die große Rolle und der Litwinenko war ja britischer Staatsbürger. Ich nehme mal an, dass die Briten so ein paar Sanktionen verhängen werden. Es kann nicht sein, dass es keine Reaktion gibt aus London. Aber diese Sanktionen werden sich wahrscheinlich in Grenzen halten.
"Im russischen Parlament gibt es keine funktionierende Opposition"
Heinrich: Alexander Litwinenko war bekannt als scharfer Kritiker des Kremls. Inwieweit ist es denn in Russland möglich, als Oppositioneller, sei es in Politik oder sei es in Medien, seine Meinung frei zu äußern?
Schneider: Bei Litwinenko kam natürlich erschwerend hinzu: Er war ja FSB-Offizier und er hat bereits, als er noch im Dienst war, in Moskau mit Putin gesprochen und ihn damals schon kritisiert und darauf hingewiesen, dass es im FSB Korruption gibt. Insofern hatte er natürlich eine besondere Position und das wiegt natürlich ganz anders, wenn er so eine Kritik geäußert hat, als wenn ein andere Oppositioneller in Russland diese Kritik geäußert hätte.
Heinrich: Gibt es in Russland noch eine funktionierende Opposition?
Schneider: Im Parlament gibt es keine funktionierende Opposition. Die einzigen, die die Rolle spielen könnten, wären die Kommunisten, aber sie halten sich damit ziemlich in Grenzen. Es gibt außerparlamentarische Opposition, das heißt kleinere politische Gruppierungen und Parteien, die es nicht geschafft haben, die Sieben-Prozent-Hürde zu überspringen und in die Duma gewählt zu werden, aber sie haben keinen großen Einfluss in der russischen Öffentlichkeit. Sie haben kaum Zugang zu den Massenmedien. Sie können sich natürlich äußern, sie können Versammlungen abhalten, Konferenzen und so weiter, aber im Grunde stellen sie für Putin keine ernste politische Gefahr dar.
Putin sollte eine Morduntersuchung beauftragen
Heinrich: Herr Schneider, kurz zum Schluss. Wären Sie einer der Berater von Wladimir Putin, was würden Sie ihm in der jetzigen Situation raten?
Schneider: Das ist natürlich eine gute Frage. Die Dementis, die jetzt von Moskau ausgehen, die sind natürlich so übertrieben. Wenn ich Putin wäre, aber natürlich wird er das nicht machen, dann würde ich ihm raten, er sollte erklären, er gibt einen Auftrag, diesen Mord zu untersuchen. Der FSB erhält den Auftrag, diesen Mord in London zu untersuchen, um Klarheit zu schaffen, etwas Transparenz zu schaffen, um dann die Vorwürfe des Westens zu entkräften. Wenn er natürlich sich sagen muss, jawohl, ich habe diesen Auftrag gegeben dazu, dann ist er natürlich in einer sehr schwierigen Position und dann kann er natürlich einen solchen Auftrag auch nicht erteilen.
Heinrich: Der Russland-Experte Professor Eberhard Schneider. Herr Schneider, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Schneider: Danke auch. Auf Wiederhören.
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