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Qualifizierungsmaßnahmen
"Diese ganzen Programme sind sehr unübersichtlich"

Viele Jugendliche versuchen, durch eine Übergangsmaßnahme im Berufsleben Fuß zu fassen. Das sei in der bisherigen Form aber nicht sinnvoll, meint die Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer von den Grünen. "Es bleiben einfach zu viele Jugendliche, die keinen Abschluss haben, zu lang in diesem System hängen", sagte sie im Deutschlandfunk.

Beate Walter-Rosenheimer im Gespräch mit Michael Böddeker |
    Ausbildungsmeister Karl Schomaker (r) erklärt dem Spanier Daniel Marín Carmona am Donnerstag (19.04.2012) in einer Werkshalle der Firma Hermann Paus Maschinenfabrik GmbH in Emsbüren (Landkreis Emsland) die Funktionen eines Bergfahrzeugs. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel startet das Wirtschaftsbündnis Ems-Achse eine internationale Ausbildungsinitiative.
    Ausbildung an der Maschine: Im Emsland werden Fachkräfte gesucht. (picture alliance / dpa)
    Michael Böddeker: Wer keinen Schulabschluss geschafft hat oder nur einen mit schlechten Noten, der hat oft ein Problem, denn dann kann es schnell schwierig werden bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Viele junge Menschen schreiben ja Bewerbung um Bewerbung, nur eben ohne Erfolg. Das Problem ist altbekannt, und der meistgewählte Lösungsansatz, der ist auch nicht gerade neu. In solchen Fällen durchlaufen die jungen Menschen nämlich oft das sogenannte Übergangssystem, also Qualifizierungsmaßnahmen zur Vorbereitung auf eine Ausbildung, aber das ist in der bisherigen Form nicht sinnvoll, sagt die Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer von den Grünen. Darüber habe ich mit ihr gesprochen und sie gefragt, warum wollen sie das bisherige Übergangssystem abschaffen?
    Beate Walter-Rosenheimer: Na ja, ich weiß gar nicht, ob wir es ganz abschaffen wollen. Wir sagen halt, es funktioniert nicht so, wie wir uns das vorstellen. Es bleiben zu viele Jugendliche – Sie haben es ja gerade schon angesprochen –, es bleiben einfach zu viele Jugendliche, die keinen Abschluss haben, zu lang in diesem System hängen und haben dann irgendwie keine gute Zukunft. Wir denken so ein bisschen, wenn man so ein totes Pferd reitet, wo man sieht, das führt eigentlich nicht zu dem, was man will, das kann nicht mehr, dann sollte man besser absteigen.
    "Ein Maßnahmendschungel"
    Böddeker: Auch wenn es nicht allen hilft, zumindest einige Jugendliche gelangen ja dadurch in eine Ausbildung und später auch in Arbeit. Um diese Erfolge wäre es ja dann schade andererseits.
    Walter-Rosenheimer: Genau, das ist ganz genau richtig. Deswegen sage ich auch von Abschaffen in diesem Sinne sprechen wir nicht. Wir sagen halt, dass dieses System sehr … Wir nennen es immer ein Maßnahmendschungel. Es gibt sehr viele gute Maßnahmen. Es gibt natürlich auch Maßnahmen, die zu Erfolgen führen. Das ist ganz klar, das sagen wir auch immer. Es ist aber etwas unsortiert das Ganze. Diese ganzen Maßnahmen und Programme sind sehr unübersichtlich und zwar nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für ganz viele Stellen, die damit arbeiten, die den Jugendlichen eigentlich auch oft gar nicht das Richtige empfehlen können. Das ist das, was wir hören. Dieser, ich nenne es jetzt mal dieser Maßnahmendschungel kostet die öffentliche Hand jedes Jahr über vier Milliarden Euro, bringt aber eben dafür, finden wir, zu wenig Jugendlichen den Berufsabschluss näher.
    Böddeker: Was würden Sie denn vorschlagen? Was wäre denn die Alternative zum bisherigen System?
    Walter-Rosenheimer: Wir haben uns eine Ausbildungsgarantie überlegt, die eben mehr darauf setzt, die Jugendlichen früher auch an die Praxis anzubinden, also Praktika machen zu lassen, während der Schulzeit auch schon mehr Kontakte zu den Betrieben herzustellen und eben auch zu schauen, dass kleine und Kleinstbetriebe, die, wie wir jetzt von aktuellen Zahlen hören, immer weniger ausbilden, aber gerne ausbilden würden, mehr entlasten, indem wir da eine neue Situation schaffen, wo wir diese Anbindung für die Jugendlichen früher gestalten, wo wir die mehr mit reinnehmen und wo wir die betriebsnäher haben. Das wäre unsere Vorstellung, jetzt mal ganz grob gesagt.
    Frühe und individuelle Berufsorientierung
    Böddeker: Und was macht Sie so sicher, dass das besser funktionieren würde?
    Walter-Rosenheimer: Wir denken … Also was wir hören, ist zum Beispiel, dass jeder dritte Jugendliche nach seiner Ausbildung, also egal, ob er die beendet hat oder abgebrochen hat, sagt, dass er sich eigentlich was ganz anderes vorgestellt hatte, dass also der Erfolg, dass man die auch abschließt und in dem Beruf arbeiten möchte, hängt stark natürlich von der Motivation ab, und ist es auch das, was ich wirklich kann und was ich gern machen möchte. Deswegen sagen wir, frühere Berufsorientierung, auch persönlicher, also individueller diese Orientierung gestalten und eben die jungen Leute sehr früh auch ausprobieren zu lassen, sodass sie dann auch wissen, was auf sie zukommt, wenn sie sich für eine Ausbildung entscheiden. Wir versprechen uns noch mehr Praxisnähe und mehr Anbindung an Betriebe. Da stellen sich auch Kontakte her zu den Betrieben, dass man vielleicht übernommen werden kann, oder man hält auch besser durch, weil man wirklich das macht oder auch weiß, auf was man sich einlässt, wenn man einsteigt. Das ist eigentlich der Hintergrund, den wir uns da vorstellen.
    Böddeker: Ein mögliches Modell, von dem auch oft die Rede ist, ist die sogenannte assistierte Ausbildung. Die haben Sie auch schon vorgeschlagen. Wie würde das funktionieren?
    Walter-Rosenheimer: Genau. Das schlägt auch die Bundesregierung vor. Das ist durchaus was, was passiert. Ich war jetzt gerade bei der Bundesarbeitsagentur in Nürnberg, die sehr gute Erfahrungen auch damit machen, dass man möglichst individuell die Jugendlichen begleitet während ihrer Ausbildung. Es gibt einfach Jugendliche, die gehen da gut durch, und es gibt Jugendliche, die haben verschiedene Schwierigkeiten oder Stolperstellen. Wir glauben, je mehr Geld man da in die Hand nimmt und sagt, okay, man begleitet die Betriebe auch bei der Ausbildung, desto weniger Geld wird es uns später kosten, weil die Jugendlichen dann richtig gute Chance haben, ihre Ausbildung zu machen und später auch in dem Beruf zu arbeiten.
    "Wir finden, dass jeder, der arbeiten möchte, das auch tun soll"
    Böddeker: Dann lassen Sie uns zum Schluss noch kurz auf ein verwandtes Thema auf dem Arbeitsmarkt schauen: Das Bundeskabinett hat ja heute den Entwurf für das Integrationsgesetz beschlossen. Da gab es auch einige Punkte zu Ausbildung und Arbeit: Zum Beispiel, wenn ein Flüchtling eine Ausbildung beginnt, dann darf er für die Zeit dieser Ausbildung in Deutschland bleiben und hat auch danach noch etwas Zeit für die Arbeitssuche, und es sollen auch viele neue niedrigschwellige Jobmöglichkeiten geschaffen werden. Was halten Sie davon?
    Walter-Rosenheimer: Also wir begrüßen grundsätzlich jede Möglichkeit, dass junge Menschen oder überhaupt Menschen, die hierher kommen, möglichst schnell in das Arbeitssystem integriert werden dürfen. Wir finden, dass jeder, der arbeiten möchte, das auch tun soll, und es ist auch unser eigener Vorschlag, dass der Anreiz sein soll, dass wenn man eine Ausbildung aufnimmt und die durchzieht, dass man dann bleiben kann – Sie kennen ja auch die IHK-Forderung, die besteht ja schon über ein Jahr, "3 plus 2" –, während der Ausbildung bleiben, und danach noch zwei Jahre Berufserfahrung sammeln dürfen. Das ist schon genau die Stoßrichtung, die wir Grünen auch gehen. Wenn man es dann daran knüpft, dass da eine Sicherheit besteht, auch für die Betriebe natürlich, die ausbilden und die die Menschen bei sich arbeiten lassen, dass die einfach eine Perspektive haben und auch sagen können, okay, so und so lang ist das geregelt. Das ist heute leider oft nicht der Fall. Da läuft vieles schon gut, aber wir hätten es gerne auch geregelt. Insofern ist das für uns schon ein Schritt in die richtige Richtung.
    Keine Niedriglohnjobs ohne richtige Ausbildung
    Böddeker: Aber besteht nicht dann vielleicht auch die Gefahr, dass Flüchtlinge konkurrieren mit den niedrigqualifizierten Jugendlichen, von denen wir am Anfang gesprochen haben, um Jobs und Ausbildungsplätze?
    Walter-Rosenheimer: Wir wollen am liebsten gar niemanden sehen in irgendwelchen Niedriglohnjobs ohne richtige Ausbildung. Wir plädieren ja eben dafür, dass die Jugendlichen alle eine Ausbildung machen und dann dementsprechend natürlich auch tariflich bezahlt werden. Wir würden ja den Mindestlohn lieber auch noch höher sehen. Wir wollen auch gar nicht, dass junge Geflüchtete zum Beispiel sagen, wir arbeiten jetzt, um irgendwas zu verdienen, und wir verdienen dann da eben diesen Mindestlohn und machen das und machen dann keine Ausbildung. Deswegen wollen wir ja eine Anreiz schaffen, dass die in Ausbildung gehen, dass sie wissen, wenn ich eine Ausbildung mache, wenn ich das auf mich nehme, dann kann ich bleiben, und dass das auch ein Anreiz ist, ein sicherer Aufenthaltsstatus, diese Ausbildung auch durchzuziehen und sich eben nicht in irgendwelchen Jobs zu verdingen.
    Böddeker: Sagt die Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer von den Grünen. Sie ist in der Partei Sprecherin für Jugendpolitik und Ausbildung. Mir ihr habe ich über die Idee gesprochen, das sogenannte Übergangssystem zu reformieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.