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Radio wichtigstes Medium in Afghanistan

Stefan Heinlein: Anfang Oktober, in wenigen Wochen also, bereits die ersten freien Präsidentschaftswahlen in Afghanistan. Fast zehn Millionen Wähler haben sich registrieren lassen, ein unerwartet großer Zuspruch. Gut zwei Jahre nach dem Sturz der Taliban scheinen die Afghanen hungrig nach Demokratie. 18 Kandidaten stellen sich zur Wahl, darunter der vor allem im Westen populäre Amtsinhaber Hamid Karsai. Die Wahlen gelten als Lackmustest für die Nachhaltigkeit der Demokratisierung des Landes. Außerhalb der großen Städte ist der Einfluss der Regierung eher schwach. Die Situation in vielen entlegenen Provinzen ist äußerst labil. In dieser Woche besucht die deutsche Staatsministerin Kerstin Müller Afghanistan, um sich ein eigenes Bild der Lage zu verschaffen, und darüber will ich jetzt sprechen mit Britta Petersen, Vorsitzende und Gründerin der Initiative Freie Presse. Frau Petersen, seit gut einem Jahr leben und arbeiten Sie in Afghanistan, um dort mit Hilfe von Spenden einheimische Journalisten auszubilden. Gibt es denn in Afghanistan schon so etwas wie freie Presse, unabhängige Zeitungen und Rundfunkangebote?

Moderation: Stefan Heinlein |
    Britta Petersen: Zur Lage der Presse in Afghanistan muss man sagen, dass es inzwischen im Raum Kabul sehr viele Zeitungen gibt, über 100 Zeitungen, die allerdings alle nicht professionell arbeiten. Kaum eine von diesen Zeitungen verdient Geld. Es gibt ein staatliches Fernsehen, einen staatlichen Radiosender und auch einige private Kabelsender und private Radiostationen auch in den Provinzen. Allerdings ist die Lage die, dass es immer noch an ausgebildeten Journalisten mangelt und dass es sehr schwierig ist, unter diesen Umständen der Verpflichtung nachzukommen, über die Wahlen ausreichend zu berichten.

    Heinlein: In Kabul gibt es also unabhängige Zeitungen und auch Rundfunkangebote. Wie sieht es denn außerhalb der Hauptstadt in den Provinzen aus?

    Petersen: Es gibt auch in größeren Provinzorten in der Regel Radiostationen, die zum Teil mit westlicher Hilfe aufgebaut worden sind. Es gibt auch kleinere Zeitungen, die alle so Auflagen zwischen 1000 und 3000 Stück haben. Man muss natürlich sehen, dass das Land mit 80 Prozent eine sehr hohe Analphabetenrate hat und dass sicherlich das Radio das Medium ist, mit dem man die meisten Menschen erreichen kann.

    Heinlein: Sind denn die Menschen nach den vielen Jahren der Taliban-Herrschaft hungrig nach Informationen und unabhängiger Berichterstattung oder hat man sich gänzlich entwöhnt?

    Petersen: Nein, überhaupt nicht. Die Leute sind extrem politisiert nach dieser langen Zeit. Die Leute sind sich sehr darüber bewusst, dass sie jetzt mit den Wahlen zum ersten Mal seit über 25 Jahren die Chance haben, ein Teil des Schicksals ihres Landes mitzubestimmen. Sie sind auch erstaunlich gut informiert, muss man sagen.

    Heinlein: Wie wird denn informiert über diesen Wahlkampf und die unterschiedlichen Kandidaten?

    Petersen: In den Radiosendern, in den Zeitungen gibt es Berichte über die Wahlen. Es gibt dann auch von unterschiedlichen Organisationen Maßnahmen, beispielsweise dass man Kassetten an Straßenposten verteilt, so dass man die demokratischen Grundregelen mit Musik einführt.

    Heinlein: Wie regierungshörig sind denn die neuen afghanischen Medien? Im Westen ist Karsai ja so etwas wie ein Medienstar. Ist das bei ihm der Heimat ähnlich?

    Petersen: Es gibt ja eine Vielzahl von Zeitungen aus unterschiedlichsten Lagern. Man muss sagen, es gibt in Afghanistan eine Tradition auch von Zeitungen, die von Parteien gemacht werden, so dass man sagen kann, es gibt ein sehr großes Meinungsspektrum. Karsai hat natürlich seine Unterstützer, aber auch seine Gegner. Man kann sagen, dass die Presse im Kabuler Raum sehr frei ist. In den Provinzen ist die Lage sehr unterschiedlich, je nachdem, welcher Warlord gerade wo regiert. In Herat zum Beispiel gibt es keine Pressefreiheit, weil der dortige Warlord alles unter Verschluss hält. Die Lage ist, je nach Provinz, sehr unterschiedlich.

    Heinlein: Werden denn auch die internationalen Behörden, die ISAF etc., in den Medien kritisiert?

    Petersen: Es hat mal eine Zeit gegeben, wo der Planungsminister, der wahrscheinlich in der nächsten Regierung nicht vertreten sein wird, sehr viel unsachliche Kritik an den Nichtregierungsorganisationen dort geäußert hat. An der ISAF hört man sehr wenig Kritik. Insgesamt ist die ISAF sehr beliebt, nicht nur die Deutschen, sondern auch die anderen internationalen Vertreter in der ISAF, weil die ISAF es doch geschafft hat, dort so aufzutreten, dass das von den afghanischen Menschen als Schutz wahrgenommen wird und nicht als Besatzungsmacht.

    Heinlein: Wie sehr leidet denn der Wiederaufbau eines funktionierenden Mediensystems unter der nach wie vor unsicheren Lage, vor allen Dingen in den vielen Provinzen des Landes, etwa jetzt aktuell in Herat?

    Petersen: Ich denke, dass es insgesamt ein Problem ist, vor allem für den Aufbau von Zeitungen, dass es bisher an Investoren mangelt, die bereit sind, dort größere Summen an Geld in den Aufbau von professionellen Zeitungen zu stecken. Also die Zeitungen, die es gibt, sind relativ kleine Blätter, die auch nicht sehr viel Geld haben, so dass es bisher keine landesweite, professionell gemachte Zeitung gibt. Ich denke, dass solange es nicht dort eine stabilere Situation gibt, wahrscheinlich auch Investoren eher zurückhaltend sein werden. Im Radio- und Fernsehbereich läuft mehr aus der Finanzierung aus ausländischen Hilfsgeldern.

    Heinlein: Wie wichtig sind denn gute, unabhängige, professionelle Medien für die Demokratisierung des Landes, für diesen Prozess, der derzeit stattfindet?

    Petersen: Ich glaube, das ist natürlich essentiell. Das ist auch einer der Gründe für mich gewesen, die Initiative Freie Presse zu gründen, weil ich eben festgestellt habe, als ich 2002 zum ersten Mal nach Afghanistan kam, dass es wirklich an einer Öffentlichkeit vollkommen mangelt. Es wurde Politik gemacht über Gerüchte, über Hetze in Freitagspredigten in den Moscheen. So kann man natürlich keine Demokratie aufbauen, und ich denke, dass die Medien eine enorm wichtige Funktion dort haben.

    Heinlein: Hat sich da etwas verändert in den letzten Monaten, in den letzten Jahren?

    Petersen: Was natürlich nicht so schnell kommt, ist der journalistische Standard. Wir bemühen uns da sehr. Es gibt da auch andere Organisationen, die im Bereich Ausbildung tätig sind. Allerdings wird natürlich niemand, der mal ein paar Wochen einen Kurs gemacht hat, sofort ein guter Journalist. Das heißt, das wird sicherlich noch eine Zeit lang dauern.

    Heinlein: Wer sind denn die Menschen, die zu Ihnen kommen und sich ausbilden lassen wollen als Journalisten?

    Petersen: Das sind zum großen Teil Studenten von den journalistischen Fakultäten. Es sind aber auch Leute, die bei den verschiedenen privaten Zeitungen arbeiten, zum Teil Leute, die für die neu gegründeten Radiosender arbeiten. Zum Beispiel haben wir in unserem Kurs in Kundus auch eine ganze Menge Mitarbeiter des ISAF-Radios und auch der ISAF-Zeitung dort.

    Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.