"Ich bin jeden Tag zwei mal auf die Sonnenbank gegangen und das über Jahre. Meine Knie brannten, meine Füße waren verbrannt, ich habe Unmengen von Brandsalben gebraucht."
Inga Kegel, Krankenschwester von Beruf, 66 Jahre alt, Tanorexiepatientin aus Mülheim an der Ruhr, jetzt geheilt.
"Hier in nördlich gemäßigten Breiten kann man sagen, dass die Dosis, die hier so abgestrahlt wird, dem verträglichen Bereich zuzuordnen ist; problematisch wird es dann in diesen Solarien, wo man eine Dosis an UVA-, Strahlung abkriegt: Das ist dann immer Äquatormittagssonne mal zwei."
Hartmut Heukelbach, Hautarzt in Düsseldorf über die Folgen.
"Die Haut altert natürlich viel schneller, es kommt zur stärkeren Faltenbildung, zu einer Atrophie der Haut und diese Prozesse sind leider nicht reversibel. Dann gibt es den weißen Hautkrebs mit Basaliom und Spinaliom und den schwarzen Hautkrebs mit Melanom und diese Hautkrebsarten sind von den Gesamtdosen abhängig."
"Nach 2 Jahren bekam ich dann weißen Hautkrebs, der wurde operiert; die Angst war dann in mir, und ich bin trotzdem weiter gegangen."
Diese Gesamtdosen verursachen bei Tanorektikern wie Inga Kegel körperlich schwere Folgeerkrankungen; im schlimmsten Fall kann die andauernde Überdosis bis zu Metastasierung innerer Organe führen.
"Ich selber habe es gar nicht erkannt oder nicht erkennen wollen, weil ich einfach gedacht habe: Ich sehe toll aus, die anderen sind nur neidisch."
Denn die Tanorexie ist eine Sucht. Negative Folgen werden negiert. Armin Bader, Psychologe und Psychotherapeut an der Uniklinik Bochum im St. Josefs-Hospital, ist einer der wenigen Therapeuten in Deutschland, die sich mit dieser speziellen Sucht beschäftigen.
"Tanorexie ist ein Kunstbegriff, eigentlich meint man im weitesten Sinne: Sucht nach Kunstbräune. Es ist aber eine Mischung aus "tanning", dem englischen, also Bräunen und der eigentlichen Erkrankung, die wir ja kennen: der Anorexie, der Magersucht. Wie kommt es, dass das Bräunen und die Magersucht zusammenkommen? Wir Psychologen und Psychotherapeuten sprechen von einem Begriff, der da 'Körperschemastörung' lautet."
Magsüchtige finden sich zu dick, Tanorektiker finden sich zu blass
Magersüchtige denken immer, dass sie zu dick sind, obwohl sie normalgewichtig sind und Tanorektiker finden sich zu blass.
"Sie sind für unsere mitteleuropäischen Maßstäbe extrem gebräunt, auch in Zeiten, in denen wir kaum Sonne erfahren, im Winter. Sich selber aber empfinden sie als absolut als zu blass: nein, so gehe ich nicht mehr auf die Straße, ich bin ja sowas von käsig, das trau ich mich nicht."
16 Millionen Menschen gehen in Deutschland regelmäßig ins Sonnenstudio, das bedeutet: jede fünfte Frau bzw. jeder fünfte Mann, so die Zahlen der Deutschen Krebsgesellschaft. Von diesen 16 Millionen sind nach Schätzungen ein bis zwei Prozent gefährdet oder sogar betroffen von der Sucht nach Bräune. Frauen etwas häufiger, doch die Männer holen auf, so Armin Bader.
"Kommt dann ein Zuhause dazu, das mich fördert, das mich unterstützt, aber in Richtung Leistung antreibt und ich selbst diesen Ehrgeiz verinnerliche, so entwickle ich eine Persönlichkeit, die der der Anorektikerin oder des Anorektikers sehr ähnlich ist. Sie verbindet also nicht nur das 'ich fühl mich zu blass, ich fühl mich zu dick', sie verbindet aber auch die gleiche innere Struktur, die Persönlichkeitsakzentuierung, der Ehrgeiz, schön zu sein, attraktiv zu sein und später natürlich auch, erfolgreich zu sein. Denn wir wissen, dass Attraktivität ein Merkmal bei Einstellungsvoraussetzungen ist, das zählt."
Bader und seine Kollegen von der Uniklinik Bochum haben in verschiedenen Studien feststellen können, wo die Grenze liegt zwischen einer "normalen" gesunden Sonnenbräune und der Bräunungssucht und ihrer Symptome.
"Diese Studien konnten belegen, dass Menschen, die tanorektisch sind, es nicht ertragen, eine Woche oder gar zwei Wochen ohne einen Besuch der Sonnenbank auszukommen. Es treten verschiedene Symptome auf. Das beginnt mit Schlaflosigkeit, mit Unruhe, mit emotionaler Instabilität. Es kommt auch zu starken psychosomatischen Beschwerden, und der Betreffende zeigt mehr oder weniger Symptome, wie wir sie auch von allen anderen Suchterkrankungen her kennen, wenn die Substanz der Sucht weggenommen wird."
Das alles hat auch Inga Kegel vor 14 Jahren durchgemacht.
Die Solariumssucht ist heilbar
"Es war sehr sehr schwer. Man bekommt Entzugserscheinungen, man zittert, man bekommt eine Depression und ich hatte jahrelang Depressionen. Man wartet: Wann hat das letzte Sonnenstudio noch auf, man steht davor, man geht nicht rein, man darf es nicht. Ich wurde also nach dieser Zeit, als ich nicht mehr auf die Sonnenbank ging, sehr aggressiv, sehr unlustig. Ich habe sehr viel geweint. Es war eine Zeit, ja, der Gang durch die Hölle, ganz ganz schlimm."
Eine Therapie müsste dementsprechend ausgestaltet sein. Doch das ist derzeit noch ein großes Problem. Armin Bader:
"Da die Tanorexie als solche keine eigene Krankheitsidentität abbildet, wir diese also auch nicht abrechnen können und gar nicht offiziell behandeln dürfen, weil es diese Erkrankung nicht gibt, müssen wir verdeckte Daten nutzen und verdeckte Diagnosen. Wir sprechen dann von schweren depressiven Episoden und ähnlichem."
In Bochum werden die Patienten zunächst für 10 Tage stationär für die klassischen Routineuntersuchungen und zu psychologischen Beratungsgesprächen aufgenommen. Das ist der Beginn des Entzugs; denn Sonnenstudios können nicht aufgesucht werden in dieser Zeit. Anschließend müssten sich wie beim Alkoholentzug 10 Wochen stationärer Behandlung anschließen, doch Tanorektiker können nur in psychosomatischen Kureinrichtungen untergebracht werden.
"Im Anschluss daran bitten wir die Patienten, sich weiter ambulant psychotherapeutisch begleiten zu lassen, weil häufig hinter der Tanorexie, wie auch bei der Anorexie, ein ganz komplexes Persönlichkeitsbild steht mit sehr vielen eigenen Erfahrungswelten einer komplexen Biografie, einer Leistungsbiografie."
Neben den stark leistungsorientierten Tanorexie-Patienten gibt es aber noch eine zweite Gruppe Betroffener, die nicht nur im Ruhrgebiet häufig zu finden ist.
"Wir haben viele dieser jungen Menschen, die aus psychosozialen Gründen nicht die Möglichkeit haben, beruflich aufzusteigen, sie isolieren sich, sie ziehen sich zurück, finden ihre Freunde im Sonnenstudio, treffen sich täglich im Sonnenstudio und erleben nur dort noch Wärme und Geborgenheit."
Das Verhalten dieser "Flucht"-Tanorektiker sei vergleichbar mit dem Verhalten leistungsorientierter Tanorektiker, denen Bräune als Siegermerkmal gelte. Denn letztlich sei beides auch auf gesellschaftliche Probleme zurückführbar, und diesen könne man nicht nur mit der Anerkennung der Tanorexie als Suchtkrankheit entgegenwirken, meint Therapeut Bader.