Lennard Kämna ist ein netter, zurückhaltender Mensch. Freundlich und aufgeschlossen beantwortet er alle Fragen. Nur eine kann er nicht mehr hören: die nach der Jan-Ullrich-Nachfolge:
"In Deutschland wird händeringend nach einem Rundfahrer gesucht und natürlich: Man sieht mich, dass ich ein leichter Fahrer bin, der gut zeitfahren kann, und dann liegt diese Behauptung sehr nahe. Aber letzten Endes ist da noch eine sehr große Lücke zwischen mir und einem sehr guten Rundfahrer im Moment, dass ich darüber ungern spekuliere."
Experten spekulieren allerdings schon seitdem Lennard Kämna Junioren-Weltmeister im Zeitfahren wurde. Schon damals musste er Fragen nach seinem Karriere-Ziel beantworten und tat dies für sein Alter ungewöhnlich klug:
Nicht selbst unter Druck setzen
"Karriere-Ziel? Das, finde ich, ist immer schwer zu sagen. Wenn ich jetzt sagen würde, ich will mal die Tour de France gewinnen, dann würde ich immer darauf zurückgesetzt werden: Der Junge will mal die Tour de France gewinnen, und ich finde, das ist ein Druck, den ich mir selber nicht machen will."
Die Fragen häuften sich, als Lennard Kämna 2015 im amerikanischen Richmond - gerade 19 geworden - schon eine WM-Medaille der U23 gewinnen konnte. Im Zeitfahren. Jetzt holte er 21-jährig Silber im Straßenrennen der U23 und schon Gold im Mannschaftszeitfahren der Profis. Der vorläufige Höhepunkt einer Karriere, die eher unspektakulär in Fischerhude, einem Vorort von Bremen begann:
"Das kam damals über meinen Vater, also, der ist immer viel Rad gefahren. Dann hat mein Bruder angefangen und dann hatte ich auch Lust bekommen und wollte auch losfahren."
Sein Talent wurde an der Sportschule in Cottbus geschliffen. Dort wo viele deutsche Top-Radsportler der vergangenen Jahrzehnte ausgebildet wurden. Neben Erfurt die herausragende Adresse für den Nachwuchs dieser Sportart. Eigentlich gehört er noch zum Nachwuchs und dennoch erklomm Lennard Kämna mit Beginn der aktuellen Saison schon die letzte Karriere-Stufe: Er fährt als vollwertiger Profi bei einem Team der ersten Liga – der World-Tour. Es ist die deutsche Sunweb-Mannschaft, deren Chef Iwan Spekenbrink sich die Förderung des deutschen Nachwuchses auf die Fahnen geschrieben hat. Aber auch der Niederländer weiß, dass sein Juwel noch ein, zwei schwere Jahre vor sich hat:
"Lennard ist natürlich ein ganz spezielles Talent. Aber da gibt es auch eine Herausforderung: Er war immer einer der Besten. Und jetzt kommt er in die große World Tour, wo alle Picassos sind und einen guten Kopf haben."
Versprechen für die Zukunft
Immerhin das erste Kräftemessen mit den großen Picassos hat die Erwartungen an Lennard Kämnas sportliches Potential nicht gebremst. Mit 20 fuhr er schon die Spanien-Rundfahrt, eine große dreiwöchige Landesrundfahrt. Zwar nicht ganz zu Ende, aber immerhin mit einem achten Platz im Zeitfahren, dass der Tour-de-France-Sieger Christopher Froome gewann. Sein erstes Profi-Jahr ein Versprechen für die Zukunft:
"Ich bin gesund über den Winter gekommen und hatte dann nur eine kurze Krankheit nach der Tour de Romandie. Ich hatte permanent ein konstant gutes Level und dazu noch einige Peaks, wo es wirklich sehr gut ging. Im Großen und Ganzen bin ich wirklich super zufrieden mit der ersten Saison. Es ist genau das, was ich mir vorgenommen habe: Eine konstante, solide Saison zu fahren."
Womit auch direkt wieder die Fragen nach dem weiteren Verlauf der Karriere auftauchten. Der deutsche Radsport hat Weltklasse-Zeitfahrer, Top-Sprinter und ist auch bei den großen Klassikern inzwischen ganz gut aufgestellt. Aber die Gesamtwertung der wichtigsten Rundfahrten? Tour de France, Giro und Vuelta?
"Im Moment weiß ich, dass es bis dahin noch ein langer Weg ist. Wäre natürlich schön, wenn das in ein paar Jährchen mal in diese Richtung gehen würde. Ich werde kein Sprinter, das ist keine Frage. Was dann letztendlich aus mir wird, werde ich dann sehen. Ich habe auch keine Lust, mich da in eine bestimmte Nische drängen zu lassen. Ich will einfach gucken, was wird."
Szene beäugt Berater kritisch
Beraten wird er nicht von einem der führenden Radsport-Manager, sondern durch den SAT-1-Nachrichten-Mann Marc Bator, was viele in der Szene kritisch beäugen. Dabei steht die Frage im Raum, ob die Karriere-Entscheidungen auch künftig wirklich nur sportlich motiviert fallen. Die Gefahr verheizt zu werden, besteht im Radsport immer. Auch wenn das für Lennard Kämna aktuell kein Thema ist:
"Ich bin immer noch der gleiche Lennard Kämna wie damals. Also da ist kein großer Unterschied. Ich bin immer noch nicht der organisierteste Mensch von allen. Und ich habe immer noch einen Riesenspaß am Fahrradfahren und das ist für mich das Wichtigste. Ich liebe es Radrennen zu fahren und hoffe, daran ändert sich auch in Zukunft nichts."
Viele hoffen, dass sich auch am Team nichts ändert. Sunweb ist sicher die beste Adresse, hier kann er lernen – vor allem vom aktuellen Zeitfahr-Weltmeister und Giro-d’Italia-Gesamtsieger Tom Dumoulin aus den Niederlanden. Die Mannschaft will ihn behutsam aufbauen, er soll nicht als Helfer verheizt werden. Eine Gefahr, die bei finanzkräftigeren Teams durchaus besteht. Man darf gespannt sein, ob er den möglichen Verlockungen von Sky, BMC und Co. widersteht. Noch hat er ein Jahr Vertrag bei Sunweb, wo er sich wohlfühlt.
"Es läuft halt einfach gut und dann ist der Spaß von ganz allein da und das ist einfach schön."
Und schön ist für Lennard Kämna auch, dass die Saison fast vor der Haustür endet. Denn - er startet übermorgen bei einem der deutschen Top-Rennen - dem Münsterland-Giro. Dort trifft die Zukunft des deutschen Radsports auf die Gegenwart, also zum Beispiel auf Marcel Kittel und Andre Greipel.