"Das Hobby hängt bestimmt damit zusammen – es ist ganz ruhig! Und das, was ich beruflich mache, ist meistens nicht so ruhig."
Musik: Richard Strauss "Burleske"
In der Musik ist Rainer Seegers als Solo-Pauker der Mann für den donnernden Auftritt, privat liebt er es, in der Natur zu sein. Gern zu zweit, aber möglichst ganz still. Gegensätzlich erscheint das, und doch haben die Arbeit eines Berufsmusikers und die eines Naturforschers viel gemeinsam, findet Seegers. Er entdeckt dieselbe Komplexität in Musik und Biologie, als er in seinem scheinbar verwilderten Garten über sein Hobby spricht: Schmetterlingsforschung. Ringsum stehen teils blühende Büsche, die Futterpflanzen für Insekten sind. Nur ein winziger Prozentsatz aller Lebewesen der Erde sind erforscht. Je kleiner, desto unbekannter. Und auch die Zusammenhänge in der Biologie werden oft erst klar, wenn zum Beispiel ein vermeintliches Unkraut in der Landwirtschaft bekämpft wird und dabei Insekten sterben, die sich von genau dieser Pflanze ernähren. Das habe ihn schon als Jugendlichen interessiert, sagt Rainer Seegers.
Mit 17 Schmetterlingsart wiederentdeckt
"Im Trunnenmoor, einem Moorgebiet bei Hannover, da war ich 17, gehe da so lang und sehe eine Pflanze, bei der ich denke: "Halt! Die hast Du hier noch nie gesehen." Kennt man von Bildern, den Lungenenzian, das ist der blaue Enzian. Und dieser blaue Enzian hat einen Schmetterling, Alcon heißt der. Maculinaeus alcon. Das ist einer der Ameisenbläulinge. Die leben in der Blüte des blauen Enzians, und nach der zweiten Verpuppung, wenn sie etwa einen halben Zentimeter groß sind, leben sie in Symbiose mit bestimmten Ameisensorten. Na ja, das Ende vom Lied war, ich finde tatsächlich ein adultes Männchen von Maculinaeus alcon, der bis dahin als ausgestorben galt. Das habe ich fangen können, und innerhalb vier Wochen hat man dieses Gebiet unter Naturschutz stellen können. Das ist letztlich der Sinn, weshalb ich das mache."
Unbändiger Jagdtrieb - komischer Augenausdruck
Und doch hat die Faszination für "seine Motten", wie er Schmetterlinge liebevoll nennt, durchaus etwas Sportliches.
"Ich kann nicht bestreiten, dass, wenn ich irgendwo hinkomme und sehe etwas, das ich noch nicht habe, was relativ selten vorkommt – dann kommt so ein Jagdtrieb, der ist unbändig. Meine Frau sagt immer: Dann kriegst Du einen ganz komischen Augenausdruck. Und dann ist die nächsten zehn Minuten nichts mit mir anzufangen."
250.000 Exemplare besitzt Rainer Seegers. Manchmal hunderte von einer Spezies in ihren Unterarten in verschiedenen Regionen. Schmetterlinge, Nachtfalter, manche schillernd bunt, andere braun mit raffiniertem Tarn-Muster. Manche winzig, nur mit Flügelstummeln, wie ein Stückchen Ast aussehend. Aus der ganzen Welt kommen seine Exponate, viele sind mit anderen Falter-Liebhabern getauscht.
Im japanischen Urwald auf der Flucht vor Affen
"Die Sammler, die das ökonomisch betreiben, mit denen habe ich nichts zu tun. Aber wenn ich jetzt an Japan denke, da habe ich zwei wirklich sehr enge Freunde. Der eine ist beim Staat angestellt und führt die Studenten durch die Natur und der andere war der Privatlehrer der kaiserlichen Familie, der ist Biologe. Die beiden haben zusammen eine Hütte, mitten in einem Primärurwald. Das ist genial! Da sieht man ja nicht nur Motten und Schmetterlinge, wo man teilweise erschrickt. Zum Beispiel Affen. Vor Affen musste ich öfter mal flüchten. Aber ich versuche, dann immer einen Unterschlupf zu haben in relativer Nähe. Das ist speziell für Nachtfänge, mit Lampen und Köder."
Seegers' Schmetterlings-Netzwerk erstreckt sich über die ganze Erde. Wenn er mit den Berliner Philharmonikern auf Reisen ist, hat er immer sein Jagd-Werkzeug dabei. Wenn die anderen Musiker spazieren oder ins Museum gehen, begibt sich Seegers auf die Pirsch.
"Ich habe manchmal nur ein Netz, manchmal zwei. Die kann man wunderbar zusammenbauen, die kann ich in die Hosentasche stecken. Und dann brauche ich ein paar Gläser, wo das Gift drin ist, wenn ich was fange. Und Pergamentpapier, um sie zu transportieren. Und zu Hause kommt dann die Arbeit, dann werden sie wieder aufgeweicht und aufgespießt – dann sind sie aber schon lange tot. In Form gebracht, und dann bleiben sie so, für ein paar hundert Jahre."
Schmetterlingskabinett auf dem Dachboden
Auf dem heimischen Dachboden ist Rainer Seegers‘ Schmetterlingskabinett. 1.500 Sammelkästen sind in Hängeschränken untergebracht. Und in Pappkartons liegen unpräparierte Schmetterlinge von den Konzerttourneen der vergangenen Jahre.
"Hier, das ist noch von der letzten Reise. Taiwan. Das ist so ein Ausflug von einer Stunde im Wald in Taipeh."
Seegers greift einzelne Schmetterlingskästen heraus, Indonesien steht auf einem Schrank.
"Viele Sachen habe ich geerbt, also diese hier stehen seit 1927 unter Naturschutz, die sind über hundert Jahre alt. Die Farben bleiben, wenn sie im Dunkeln sind."
Ebenfalls geerbt ist ein kostbarer Mahagonischrank, extra angefertigt für die Exponate eines Schmetterlingssammlers. Die Schubladen haben einen Glasdeckel.
"Die ganze Gruppe der Atlasspinner, das ist natürlich auch völlig verrückt. Der Schönste ist dieser. Hier sieht man auch den Kokon und die Puppe. Der kommt aus Madagaskar, da werden die von den Einheimischen verehrt, weil das "die Seelen der Verstorbenen" sind. Die können ja kaum noch fliegen, bei der Größe und mit dem Schwänzchen hier hinten dran."
Alle Exponate müssen regelmäßig auf Schädlingsbefall kontrolliert werden. Schon jetzt hat Seegers seine Sammlung dem Berliner Naturkundemuseum überschrieben. 500 Kisten hat er schon dorthin transportiert, um Platz zu schaffen. Schließlich sammelt er ja weiter. Besonders schöne Stücke behält er aber hier bei sich.
Fliegende Edelsteine
"Das hier ist für Leute, die Blau mögen, Morphofalter. Das ist Südamerika. Die sehen halt aus wie aus Plastik, die Farben rühren von der Lichtbrechung her. Je nachdem, von wo man guckt, sind sie etwas grünlicher. Wenn die fliegen, sehen sie aus wie schillernde, blaue Edelsteine. Die sind mitten aus Rio, habe ich selber mitgebracht. Die fliegen da einfach so rum, mitten in der Stadt."
Wirklich vollständig erhaltene Exemplare ohne Verletzungen an den Flügelrändern finde man in der freien Natur selten, erklärt Seegers. Überall auf der Welt gebe es aber Vereine von Schmetterlingsliebhabern, die Tiere zum Präparieren züchten. Und zum Tauschen. Man müsse nur beobachten, wo ein Weibchen seine Eier ablege, erklärt Seegers. Und natürlich müsse man wissen, wovon die Raupen sich ernähren können.
"Wenn ich die Futterpflanze weiß, dann nehme ich das schon einmal mit. Man kann sie dann hier, wie das so schön heißt, nur treiben. Die schlüpfen dann irgendwann und man kann sie dann selten weiterzüchten."
"Es muss nichts Seltenes sein"
Tropische Futterpflanzen im eigenen Wintergarten zu halten, das funktioniere nur selten. Mit etwas Glück könne man aber manche Raupen umerziehen.
"Dieser Kirschlorbeer zum Beispiel, das fressen die! Man muss sie nur dran gewöhnen. Wenn man als Kind zum Beispiel nur Spinat kriegt, dann findet man das irgendwann auch gut. Wenn man aber mit was anderem anfängt, findet man Spinat nicht so gut."
Es muss aber nichts Seltenes sein, um den Schmetterlingsliebhaber Rainer Seegers glücklich zu machen. Deshalb dürfen in seinem Garten auch unansehnliche, aber für Schmetterlinge appetitliche Pflanzen stehen.
"Wenn ich merke, dass irgendwo was ist, also, was ein normaler Mensch als Befall sieht, wenn Raupen darauf sind, dann lasse ich das stehen. Und wenn ich kann, dann tue ich das Ganze in einen Karton, oder ich schütze die Tiere so, dass sie auch alle durchkommen. Und dann habe ich, wenn ich Glück habe, im Sommer manchmal für zwei, drei Tage hundert Tagpfauenaugen im Garten! Und dann fliegen sie weiter. Also, es ist faszinierend, diesen Kreislauf zu sehen."