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Ramadan in Jerusalem
Die Leere um den Felsendom

Normalerweise ziehen die islamischen Heiligtümer auf dem Tempelberg im Fastenmonat Tausende Menschen an. Dieses Jahr werden die Gebete digital verbreitet, Felsendom und Al-Aksa Moschee bleiben geschlossen. Eine Geduldsprobe für die Gläubigen.

Von Tim Aßmann | 05.05.2020
Offene Geschäfte in der Altstadt von Ostjerusalem während der Corona-Pandemie, nur wenige Menschen sind dort unterwegs
In der Altstadt von Ostjerusalem ist wenig los (Deutschlandradio / Tim Aßmann)
Mittagszeit in der Salah-e-Din-Straße im arabischen Teil Jerusalems, nahe der historischen Altstadt. Die Straße ist die Einkaufsmeile Ostjerusalems. Die Geschäfte waren wegen der Corona-Krise lange geschlossen und haben nun fast alle wieder geöffnet – viel los ist dennoch nicht. Wir müssen unser Geld zusammenhalten, sagt diese Frau, die ihren kleinen Sohn an der Hand hat und erzählt, dass sie nur das Nötigste kauft.
"Dieser Ramadan ist sehr schwer für uns. Viele haben keine Arbeit und unser Einkommen ist gesunken. Die Kreditraten und die Steuern müssen wir aber zahlen, die sind nur aufgeschoben. Das kommt alles zusammen. Dieses Jahr ist es wirklich nicht wie sonst."
"Ich habe die Stadt so noch nie erlebt"
Gerade im Fastenmonat Ramadan ist in der Salah-e-Din-Straße eigentlich ab dem Nachmittag viel los und am Abend, mit Beginn des Fastenbrechens, drängen sich die Menschen dicht an dicht. Weil das wegen der Corona-Pandemie vermieden werden soll, müssen wir nun früher schließen, erzählt dieser Ladeninhaber:
"Es ist sehr ungewöhnlich für Ramadan. Ich habe die Stadt so noch nie erlebt. Ostern war es sehr ruhig und wir mussten zu Hause bleiben. Die jüdischen Feiertage waren auch nicht normal und nun im Ramadan ist hier auch kein normaler Betrieb, besonders abends nach 18 Uhr nicht. Dann müssen alle Geschäfte schließen um Menschenansammlungen zu vermeiden."
Scheich Ikrima Sabri vermisst das dichte Gedränge in der Salah-e-Din-Straße nicht. Der alte Herr ist nicht mehr gut zu Fuß und verlässt sein Haus nahe dem Ölberg nur noch selten. Was dem ehemaligen Großmufti von Jerusalem aber fehlt, sind die Gebete in der Al-Aksa-Moschee, die wegen der Pandemie für die Gläubigen geschlossen ist.
"Dieser Ramadan ist außergewöhnlich und sehr traurig. Wegen der Corona-Pandemie können wir nicht in die Al-Aksa. Sie wurde mit einem religiösen Erlass geschlossen. Das wirkt sich auf unser Leben und unsere Stimmung aus. Nun lesen wir den Koran zu Hause und beten auch dort."
Ikrima Sabri, der ehemalige Großmufti von Jerusalem
Ikrima Sabri vermisst es, in die Moschee zu gehen (Deutschlandradio / Tim Aßmann)
Ikrima Sabri stand jahrelang der islamischen Waqf-Behörde vor, die die Aufsicht über die muslimischen Heiligtümer auf dem Tempelberg hat – den Felsendom und die Al-Aksa-Moschee. Gerade im Ramadan beten normalerweise zum Teil Zehntausende auf dem Hügelplateau. Scheich Sabri muss sich nun mit seinen 81 Jahren an Gebete via Videokonferenz und Facebook-Liveübertragung gewöhnen. Das ist kein Ersatz, aber es geht eben nicht anders, sagt er.
"Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich im Ramadan nicht in der Al-Aksa beten. Das ist sehr traurig und es schmerzt, aber wir brauchen nun Geduld, die wir ja während des Fastenmonats ohnehin immer lernen. Das hilft uns jetzt dabei diese Situation durchzustehen."
Der Muezzin sehnt sich nach der Al-Aksa
Der Wellensittich im Wohnzimmer von Mohammed Sider piept aufgeregt. Der 70 Jahre alte Mohammed rief jahrzehntelang zum Gebet in der Al-Aksa und anderen Jerusalemer Moscheen. Er ist sehr musikalisch, spielt mehrere Instrumente. Im Ramadan musiziert er normalerweise abends in den Gassen rund um sein Haus in der Jerusalemer Altstadt und singt im Kreise der Familie traditionelle Lieder. Nun darf er abends nicht mehr vor die Tür.
"Normalerweise sind die Straßen hier im Ramadan voll, man kann sich kaum bewegen vor lauter Menschen. Unser Viertel ist bekannt für seine Dekorationen. Man spürt dann wirklich die Atmosphäre der Altstadt. Nun ist es trostlos. Es macht mich traurig. Mir fehlen auch die Stände mit den speziellen Speisen und Getränken im Ramadan. Die Händler tun mir leid. Da entsteht ein Riesenschaden. Es kann ja abends keiner mehr zum Einkaufen kommen. Ich hoffe, das wird bald besser."
Und einem Moment fiebert Mohammed Sider besonders entgegen, sagt er. Wenn er wieder hinauf zur Al-Aksa-Moschee darf.