Änne Seidel: In der Neuen Galerie wirft die documenta diesmal einen Blick zurück in die Geschichte. Das "historische Bewusstsein" der documenta 14, so nennen die Kuratoren das, was sie dort zeigen. Es geht z.B. um deutsch-griechische Geschichte, aber auch um die eigene documenta-Geschichte – und um das Thema Raubkunst. Ursprünglich wollten die Kuratoren hier auf der documenta die Gurlitt-Sammlung zeigen, also den Nachlass des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt – das hat aber nicht geklappt. Und so hat man sich dem Thema Raubkunst jetzt auf andere Weise genähert. Unter anderem mit einem Projekt der Künstlerin Maria Eichhorn. Sie hat gleich ein ganzes Institut gegründet, zur Erforschung von Raubkunst in deutschem Privatbesitz. Dieses Institut hat ein eigenes Büro in der Neuen Galerie, und dort habe ich Maria Eichhorn gestern während des Aufbaus getroffen. Und ich habe sie zunächst mal gefragt: Warum die Raubkunstrecherche nicht einfach den Wissenschaftlern überlassen – welchen Mehrwert hat es, wenn man daraus ein Kunstprojekt macht?
Maria Eichhorn: Ich glaube, der Mehrwert ist, dass ich als Künstlerin zunächst sehr kreativ an diese Fragestellung herangehe und dieses Trockene herausnehme, was normalerweise vielleicht andere Einrichtungen haben. Und dass es auch mehr angenommen wird, die Thematik, und dass man sich vielleicht mehr dazu animiert fühlt, sich damit auseinanderzusetzen.
"Im eigenen Besitz nachforschen, ob etwas da sein könnte"
Seidel: Dann beschreiben Sie doch vielleicht mal konkret, was Sie vorhaben hier in den nächsten Wochen auf der documenta. Was genau wird Ihr Institut hier tun?
Eichhorn: Vor einigen Tagen haben wir ein Open Call verschickt über den Newsletter der documenta. Und in diesem Open Call wird aufgerufen, im eigenen Besitz nachzuforschen, ob etwas da sein könnte, was einem nicht gehört, in dem Sinne nicht gehört, dass es eventuell aus jüdischem Eigentum stammt, und dann dem Institut zu übermitteln und mitzuteilen. Und wenn es ziemlich sicher ist, dass es aus jüdischem Eigentum stammt, dann werden wir Provenienzforscherinnen beauftragen, weiter zu forschen.
Seidel: Wie ist jetzt aktuell der Stand der Dinge? Wie viele Leute haben sich schon bei Ihnen gemeldet?
Eichhorn: Der Open Call wurde ja erst vor zwei oder drei Tagen versendet. Ich weiß nicht, wir haben noch gar nicht nachgeguckt. Aber ich denke, dass noch nichts gekommen ist. Es geht auch gar nicht so sehr darum, dass jetzt jemand etwas schickt und uns kontaktiert. Sondern es geht vor allen Dingen darum, dass dieses Bewusstsein geschaffen wird. Weil viele Leute wissen gar nichts davon. Sie wissen gar nicht, woher kommt dieser Schrank, der hier in meinem Wohnzimmer steht, oder woher kommt dieses Silberbesteck. Die meisten wissen das gar nicht mehr. Und je mehr Zeit verstreicht, desto mehr versickert auch dieses Wissen und verschwindet dieses Wissen.
Seidel: Maria Eichhorn, jetzt gibt es ja schon einige Bemühungen in Punkto Provenienzforschung in Deutschland. Es gibt zum Beispiel das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, es gibt die Lost Art Datenbank, es gibt Museen, die Provenienzforscher beauftragen. Warum braucht es dann noch ein weiteres Institut wie das Ihrige?
Eichhorn: Ich glaube, dass wir ganz anders an diese Sache herangehen, zum Beispiel über diesen Open Call. Ich glaube nicht, dass das Zentrum in Magdeburg so einen Open Call machen würde. Ich glaube, die sind sehr fokussiert auf Kunst. Unserem Institut geht es eher um die gesamte Gesellschaft und auch um ein anderes Herangehen an diese Thematik. Wir haben eher soziologische Methoden.
"Ich finde, Kunst muss in der Gesellschaft sein"
Seidel: Nun wissen wir ja, dass Provenienzforschung eine extrem aufwendige und auch langwierige Arbeit ist. Werden Sie Ihr Projekt, Ihr Institut dann über die documenta hinaus weiterführen?
Eichhorn: Finanziell ist es auf jeden Fall für diese drei Monate jetzt gesichert über die documenta. Und wir hoffen natürlich sehr, dass dann während der documenta sich jemand findet, eine Universität zum Beispiel, die das Institut als An-Institut übernehmen würde. Das wäre ganz fantastisch. Und es würde auch sehr gut in den universitären Bereich reinpassen, weil es ja auch sehr wissenschaftlich angelegt ist. Und wir hoffen, dass es dann einfach weitergeht, weil es ist wirklich so, wie Sie sagen: Provenienzforschung ist sehr langwierig. Es kann Jahre dauern, bis man die berechtigten Erbinnen findet. Es ist auf jeden Fall langfristig angelegt.
Seidel: Maria Eichhorn, eine abschließende Frage noch. Sie zeigen hier nicht in erster Linie Bilder an der Wand oder Skulpturen, sondern Sie haben ein Büro gegründet hier auf der documenta. Wer sich so ein bisschen mit documenta-Geschichte auskennt, der könnte vielleicht sich erinnert fühlen an Joseph Beuys, das documenta-Urgestein, der ja auch hier mal ein Büro gegründet hat, seine "Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung". Sehen Sie sich in irgendeiner Art und Weise in der Beuysschen Tradition?
Eichhorn: Ich glaube, bei Beuys interessiert mich vor allen Dingen dieses Prozesshafte, dass er in die Gesellschaft reingegangen ist. Und der Begriff der sozialen Plastik ist schon interessant für mich, dass wir als Künstlerinnen und Künstler schon die Aufgabe haben, in die Gesellschaft zu wirken, und dass Kunst nicht etwas Elitäres ist, was vielleicht nur den Reichen und der höheren Gesellschaftsschicht vorbehalten bleibt. Ich finde, Kunst muss in der Gesellschaft sein und auch mit der Gesellschaft arbeiten und mit ihr zu tun haben. Beuys hat das sehr gut gemacht. Und ich finde es auch für heutige Künstlerinnen wichtig, das zu machen.
Seidel: … sagt die Künstlerin Maria Eichhorn, sie hat hier auf der documenta ein Institut gegründet, zur Erforschung von Raubkunst in deutschem Privatbesitz.
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