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Rechtspopulistische Strömungen
Das Spiel der "primitiven Spaltungspolitik"

Nationalistische und rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien haben sich in Europa etabliert. Doch woraus nährt sich der Erfolg dieser Strömung? Was macht überhaupt eine solche populistische Bewegung aus? In Aachen hat sich die Initiative Europäische Horizonte in einer Vortragsreihe mit dem Thema auseinandergesetzt.

Von Eva-Maria Götz |
    "Die Komplexität einer modernen Gesellschaft wird auf einen Gegensatz zwischen dem Volk und denen, die als berufliche Politiker oder als Unternehmer oder als Journalisten tätig sind, reduziert. Das ist natürlich eine furchtbare Vereinfachung", erklärt der Soziologe Claus Leggewie den Dualismus, den die Populisten aufbauen: "Ihr da oben- wir da unten." Seit den 80er-Jahren beschäftigt sich der Direktor des Kulturwissenschaftlichen Institutes in Essen und Professor für Politikwissenschaften an der Justus-Liebig Universität Gießen mit dem Phänomen, das sich seit den 1870-Jahren zunächst in den USA und Russland bis nach Europa und Lateinamerika ausgebreitet hat und das auch nach dem Horror, den der deutsche Faschismus über die Welt gebracht hat, nie völlig verschwunden ist. Allerdings lag populistischen Strömungen nach dem 2. Weltkrieg keine klare Zielrichtung mehr zugrunde.
    "Mittlerweile hat sich der Populismus, der in den 70er-Jahren wieder begonnen hat, aber erheblich weiter entwickelt. Er ist sozusagen infiziert vom völkischen Denken, also das Volk ist jetzt nicht mehr als die Mehrheit oder die Meisten oder die schweigende Mehrheit definiert, sondern als ethnische Deutsche, als Christen, als Abendländler im Verhältnis zu angeblich nicht kompatiblen Fremden wie zum Beispiel Muslimen. Und das erhöht seine Gefährlichkeit beträchtlich."
    "Politische Unternehmer" nennt Leggewie Männer wie Donald Trump, Silvio Berlusconi, Vladimir Putin, die sich als Volksversteher und Volkstribune gerieren und mit diffusen Gefühlen zündeln. Das Spiel der "primitiven Spaltungspolitik", wie Leggewie es nennt, beherrschen sie perfekt- obwohl sie selbst Angehörige dieser verhassten Kaste sind.
    Die meisten Populisten sind schwerreiche Milliardäre, sind immer im Elitensystem drin gewesen. Auch ein Alexander Gauland ist immer im Elitensystem gewesen, auch ein Herr Trump gehört natürlich zu den amerikanischen Eliten, aber sie können sich sozusagen den Anschein geben, als würden sie innerhalb der Elite gegen dieselbe kämpfen, eine Alternative bieten, und das beeindruckt die meisten autoritär-nationalistischen Wähler, weil sie die für besonders ressourcenstark, durchsetzungsstark halten, das heißt, sie freuen sich geradezu über einen Vertreter von ihnen, der schweigenden Mehrheit, in den oberen Kreisen.
    Besonders Männer seien ansprechbar für diese Art, sich die Welt zu vereinfachen und die tatsächlich existierenden Probleme wie die Finanzkrise, das Auseinanderdriften von Arm und Reich, die zunehmende Intransparenz und Technokratisierung der Politik in überschaubare Schemata von oben und unten, gut und böse einzuordnen. "Das sind zum Teil ältere Männer, die sich sozusagen revanchieren wollen für bestimmte Emanzipationsgewinne von Frauen, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Bildungsmarkt, selbstbewusste Frauen auf dem Heiratsmarkt, die für die sexuelle Reproduktion sich selbst zuständig erklären, hier gibt es ein Backlash. Das sind Leute, die waren nie einverstanden mit der Emanzipation, haben aber jetzt ein politisches Sprachrohr gefunden."
    Dass diese scharf konservative Reaktion auf emanzipatorische Gewinne und Errungenschaften wie zum Beispiel Geburtenkontrolle, ein liberales Abtreibungsrecht oder die freie Wahl der sexuellen Orientierung auch in einem Land wie der Türkei zu beobachten ist, und dort von einem Mann propagiert wird, der allein durch seine muslimische Religionszugehörigkeit eigentlich auf der Feindesseite der europäischen Rechtspopulisten steht, ist mehr als ein ironisches Aperçu der Geschichte.
    "Ich sage immer, dass Islamisten und Islamophobe wie siamesische Zwillinge sind, die aneinergekoppelt sind, aber sich hassen. Was sie verbindet, sind gemeinsame Strukturmerkmale, nämlich der Identitätswahn, das Patriarchat, eine bestimmte antidemokratische Grundeinstellung, eine bestimmte Sakralisierung der Politik, eine bestimmte Form der plebiszitären Demokratie, das heißt, die Akklamation von Führern durch ein ansonsten sehr passives Volk. Das ist den meisten Islamfressern in Deutschland gar nicht bewusst, wie sehr sie denen ähneln, die sie ständig bekämpfen."
    National-autoritäre Populisten, sind sie einmal an der Macht, können durchaus stabile Demokratien unterhöhlen und gefährden. Auch der Bonner Politologe Professor Frank Decker, ebenfalls mit einem Vortrag in Aachen zu Gast, warnt davor, mit den politischen Zielen der Nationalpopulisten wie zum Beispiel der Umwandlung unserer repräsentativen in eine plebiszitäre Demokratie, leichtfertig umzugehen. Direkte Abstimmungen über konkrete Vorhaben wie beispielsweise die Ausrichtung von Olympischen Spielen oder große Infrastrukturmaßnahmen, die die Ländergesetze in stark eingeschränkter Form ja bereits jetzt vorsehen, seien durchaus zu befürworten. Aber: "Es ist aber etwas ganz anderes, ob die Bürger selber gleichsam von unten einen Hebel in die Hand bekommen, um das Parlament zu einer Änderung seiner Politik zu zwingen. Ich wäre sehr skeptisch, ob das ein sinnvolles Modell für die Bundesebene wäre, weil es ja letztendlich zu einer Entmachtung der Parteien und der repräsentativen Institutionen führen würde."
    Allerdings sieht Decker durchaus Handlungsbedarf, grade bei den Parteien. Er mahnt sogar eine Reform der inneren Organisation von Parteien an. "Die Parteien neigen ja doch dazu, eine Art Closed-shop-Mentalität zu entwickeln. Sie müssen sich meines Erachtens sehr viel stärker vernetzen mit gesellschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auf der anderen Seite müssen die Parteien auch in ihrer eigenen Organisation der Basis auch mehr Mitsprachemöglichkeiten geben. Denn der große Vorzug der politischen Parteien ist ja, dass sie in sich schon verschiedene Interessen versuchen zusammenzubringen, wohingegen bei Volksinitiativen und Begehren es ja oft egoistische Interessen sind, die dann gegen eine Mehrheit auch durchgesetzt werden sollen."
    Sich die Argumente der Nationalpopulisten und ihre oft kruden, von paranoidem Denken gespeisten Lösungsvorschläge genau anzusehen und auch die Auseinandersetzung im Gespräch nicht zu scheuen, halten Frank Decker und Claus Leggewie für ein mögliches "Gegengift" gegen antidemokratische, autoritäre Strömungen und Gruppierungen. Mehr Zukunftsoffenheit und weniger "Krisen- und Dekadenzgerede" wünscht sich dabei Claus Leggewie. Ein Besinnen darauf, dass unsere Demokratie und die dieser zugrunde liegenden Werte wie der Schutz des Individuums und der Meinungsfreiheit, es wert sind, hochgehalten und verteidigt zu werden. Und: "Das würde sich verbinden mit einem Programm der sozialen Gerechtigkeit, was sich verbinden muss mit einem wirklich umfassenden Projekt der Energiewende, also nicht nur technisch, sondern ein sozial-ökonomisches Reformprojekt, was unsere Gesellschaft auf neue Grundlagen stellt, nachhaltige Grundlagen, zukunftsfeste Grundlagen, ich glaube, dass in dieser Kombination von sozialer Gerechtigkeit und Energiewende, dass das ein Projekt ist, das unternehmerisch relevant ist, was sozialpolitisch relevant ist, was den Menschen Spaß macht."