Auf dem schmucken Marktplatz vor dem Bonner Rathaus. Die Leute schlendern zwischen den Obst und Gemüseständen. Und es sieht nicht so aus, als ob sie etwas aus der Ruhe bringen könnte. Nur wenn das Gespräch auf die Bundesbauministerin kommt, auf ihre Vorschläge, die verbliebenen Bonner Ministerien nach Berlin zu holen, dann werden die Bonner deutlich:
- "Die ist verrückt, die Frau, die will sich profilieren. Kostet doch nur unnötiges Geld."
- "Ich bin der Meinung, da gibt es einen Vertrag. Und den sollte man einhalten."
- "Furchtbar. Also, ich muss eins sagen: Schlimm, was man hier Bonn antut. Bonn war eine so schöne Stadt, warum nimmt man die ganzen Leute raus? Wer weiß, was alles noch kommt?"
- "Ich bin der Meinung, da gibt es einen Vertrag. Und den sollte man einhalten."
- "Furchtbar. Also, ich muss eins sagen: Schlimm, was man hier Bonn antut. Bonn war eine so schöne Stadt, warum nimmt man die ganzen Leute raus? Wer weiß, was alles noch kommt?"
Die Bonner fühlen sich ungerecht behandelt. So wie damals, vor 24 Jahren, als der Deutsche Bundestag im alten Wasserwerk unten am Rhein beschloss, dass Parlament und Regierung nach Berlin umziehen werden. Für den Rest der Republik ist das Schnee von gestern, in Bonn ist das nach wie vor eine offene Wunde.
"Man hätte ja die Hauptstadt Berlin nennen können, aber den Regierungssitz Bonn. Weil ich glaube, dass das eine andere Politik geworden wäre, sowohl für den Westen Deutschlands als auch für den Osten."
Solche Überlegungen hört man oft am Rhein: dass Deutschland von Bonn aus besser regiert würde. Ruhiger, unaufgeregter, ohne den öffentlichen Druck und die Hektik der Großstadt. Der Verlust der Hauptstadtfunktion beschäftigt die Bonner noch immer. Und jetzt sollen auch noch die verbliebenen Ministerien gehen.
Viel Geschichte in den Gebäuden
Über dem kupferbraunen Flachbau des ehemaligen Kanzleramtes hängt leichter Morgennebel. Auf dem sattgrünen Rasen steht immer noch die riesige Bronzeskulptur von Henri Moore. Damals, als Helmut Kohl hier die Gorbatschows, die Mitterrands, die Clintons empfing, da sah man diese Bronzeskulptur fast jeden Tag in den Nachrichten. Jetzt sitzt ein Eichhörnchen vor der mattglänzenden Skulptur. Und läuft erst weg, als vorne am Tor die Schranke hochgeht und der Pförtner ein paar Fahrradfahrer und ein Auto durchwinkt.
Im früheren Bonner Kanzleramt ist heute das Entwicklungshilfeministerium untergebracht, eines von sechs Bundesministerien, die nach wie vor ihren Hauptsitz in Bonn haben. Nur die Minister und ihre wichtigsten politischen Abteilungen sind in Berlin, erzählt Ministerialdirigentin Christiane Bögenmann-Hagedorn. Sie schwärmt von der landschaftlichen Schönheit des Rheinlandes und von der ruhigen Arbeitsatmosphäre im Ministerium. Die Entfernung zur politischen Führung in Berlin, die sei in Zeiten moderner Kommunikation kein Problem mehr:
"Hier ist zum Beispiel ein Videoraum, mal gucken, ob da einer ist? Ne, ist gerade nicht besetzt. Das ist einer der größeren, da kann man mal sehen, wie das funktioniert. Am Anfang, wenn man das zum ersten Mal macht, fremdelt man noch ein wenig. Aber nach 15 Jahren ist das für uns wirklich egal. Man gewöhnt sich da so dran, dass es keinen Unterschied mehr macht."
Das Entwicklungshilfeministerium wirkt ein bisschen wie ein Museum, in dem auch gearbeitet wird. Überall stehen Schautafeln, die an die frühere Verwendung als Kanzleramt erinnern. Vor allem die Gäste aus den Entwicklungsländern seien stets beeindruckt von der Geschichte des Hauses, erzählt Bögenmann-Hagedorn. Das ehemalige Kanzlerbüro wird deshalb gerne als Wartezimmer für Minister aus Afrika oder Asien genutzt. Sie können dort Fotos von Willy Brandt und den Schnupftabak von Helmut Schmidt anschauen. Für die anschließende Sitzung müssen sie dann nur zwei Türen weiter gehen, in den Kabinettssaal mit dem riesigen ovalen Tisch, um den sich früher die Bundesregierung versammelte.
"Den Stuhl hat man jetzt beseitigt, wo Herr Kohl immer drauf saß, der war etwas erhöht. Und das ist natürlich schön, wenn man hier Regierungsverhandlungen hat und man kann den Gästen aus Afrika oder Asien oder sonst woher die Geschichte dieser Republik erläutern."
530 Beamte und Angestellte hat das Entwicklungsministerium in Bonn, die Kopfstelle in Berlin beschäftigt nur 250 Mitarbeiter. Ähnlich sieht es auch in den Ministerien für Forschung, für Gesundheit oder für Umwelt aus. Laut Berlin-Bonn-Gesetz sollten 60 Prozent aller Ministerialstellen dauerhaft in Bonn bleiben. Wenn jemand persönlich in Berlin gebraucht wird, sagt Ministerialdirigentin Bögenmann-Hagedorn, dann muss er eben hinfliegen.
"Der Rechnungshof hat das mal erhoben und ausgerechnet, weil er meinte, herausfinden zu können, dass die Reiserei so teuer sei. Und dass deshalb ein Umzug stattfinden müsse oder auch nicht. Das Ergebnis war, dass ein Gesamtumzug der Bundesregierung teurer wäre als die Reisen, die wir da hin und her machen."
Immer mehr Abteilungen ziehen nach Berlin
Trotzdem holen einige Minister immer wieder ganze Abteilungen zu sich in die Hauptstadt. Im Bonner Rathaus beobachten sie seit Langem mit großer Unruhe, wie das Berlin-Bonn-Gesetz ausgehöhlt wird. Statt der zugesicherten 12.000 Ministeriumsstellen sind heute nur noch 7.000 in Bonn. Und es werden immer weniger. Rutschbahneffekt nennen sie das im Rathaus und protestieren. Kaum ein Minister halte sich wirklich an das Gesetz, klagt Tom Schmidt von den Grünen:
"Und dann stellt man sich mit treuem Augenaufschlag hin und sagt, Bonn-Berlin-Gesetz, bin ich ja eigentlich dafür, aber faktisch ist es ja längst keine Realität mehr. Da hat er ja vorher selbst für gesorgt, sage ich mal. Und so geht es ja natürlich nicht."
Doch genau darauf könnte es hinauslaufen. Bundesbauministerin Barbara Hendricks will offensichtlich ein neues Berlin-Bonn-Gesetz, eines, das möglichst alle Ministerien in Berlin sieht und dafür ein paar neue Bundesämter nach Bonn bringt. Auf dem Bonner Marktplatz will sich kaum noch jemand aufregen. Schön ist das nicht, sagen die meisten, aber im Grunde habe man seit Langem darauf gewartet.
"Eigentlich war es absehbar. Und es wird wahrscheinlich auch kommen, im Laufe der Zeit."
Die Gelassenheit hat auch mit Erfahrung zu tun. Beim ersten Regierungsumzug blieben Bonn nicht nur sechs Ministerien erhalten, die Abgeordneten verschafften Bonn als Ausgleich auch noch 22 Bundeseinrichtungen, vom Kartellamt bis zur Deutschen Welle. Aus der ganzen Republik wurden Behörden und Institute an den Rhein verlegt. Im alten Regierungsviertel sind heute mehr Menschen beschäftigt als jemals zuvor. Bonn werde auch einen Komplettabzug der Regierung überstehen, meint ein Passant vor dem Rathaus, und packt seine Einkaufstüte in den Fahrradkorb.
"Bonn entwickelt sich so und so gut, um Gottes Willen, also da sehe ich kein Problem."