Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung. Klingt etwas sperrig, aber er hat im Auftrag des Landes Brandenburg in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz dort ein Handbuch für Behörden geschrieben über den Umgang mit den sogenannten Reichsbürgern. Guten Morgen, Herr Wilking.
Dirk Wilking: Schönen guten Morgen.
Dobovisek: Wenn wir uns all das anhören, was unsere Korrespondentin da berichtet, und jetzt auch einen ersten Toten haben in Bayern, reden wir da noch über Spinner, oder über grundgefährliche Menschen?
Wilking: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir haben sowohl in Sachsen-Anhalt wie auch in Bayern Situationen, wo sich ein Reichsbürger in eine Situation manövriert hat, wo der Staat auf sein privates Milieu zugreift. Und dann reagieren diese Bürger mit Ausbrüchen von Gewalt. Das ist eigentlich ein Phänomen, das man auch zum Beispiel bei Rockern hat, wenn Razzien in Privaträumen von Rockern stattfinden. Das heißt, der Staat greift auf einen Bereich zu, der von diesen Menschen als ihr Allerheiligstes betrachtet wird. Und da kommt es zu diesen Amokreaktionen.
Dobovisek: Aber im Grunde ist es ja so, dass jede Reaktion des Staates gegen einen sogenannten Reichsbürger ein Eingriff in sein Allerprivatestes ist aus deren Sicht, weil es sich um eine Besatzungsmacht handelt.
Wilking: Ja, klar.
Dobovisek: Noch einmal die Frage: Wie gefährlich macht dann einen Reichsbürger das Zusammenspiel mit der Bundesrepublik Deutschland, die ja nun mal legitim ist?
Wilking: Keine terroraffinen Leute
Wilking: Wir haben das Problem, dass diese Waffen, die da eingesetzt wurden, von diesen Menschen legal erworben sind. Es sind keine terroraffinen Leute, sondern sie benutzen das, was ihnen zur Verfügung steht. Wir haben bisher noch keine Fälle gehabt, auch hier in Brandenburg nicht, wo Waffen zum Zwecke des Tötens von Staatsbediensteten beschafft wurden, sondern es waren in der Regel legal erworbene Waffen, die dann eingezogen werden sollten. Und hier in Brandenburg dann auch eingezogen worden sind. Aber ich würde nicht sagen, dass es sich um eine terroristische Organisation handelt. Dazu sind die zu heterogen, zu zersplittert und zu winzig in den Gruppen.
Dobovisek: Welche Unterschiede gibt es da?
Wilking: Da gibt es Menschen, ein oder zwei Personen, die dann sich zum Beispiel auf die kaiserliche Verfassung von 1871 berufen. Es gibt welche, die sich auf '37 berufen. In allen Fällen lehnen sie die Existenz der Bundesrepublik ab und bezahlen in der Regel bestimmte Pflichtabgaben nicht wie Abwassergebühren oder Steuern. Und da versuchen sie, den Staat zu delegitimieren, ihm das Recht abzusprechen, dass er überhaupt existiert oder irgendetwas darf.
Dobovisek: Die Reichsbürger, in welcher Form auch immer, sind also verfassungsfeindlich?
Wilking: Sie lehnen den Staat ab. Das muss nicht unbedingt verfassungsfeindlich sein, aber man kann natürlich sagen, ...
Dobovisek: Aber der Staat beruht ja auf der Verfassung als Grundfeste sozusagen und wer das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und den Staat darum herum ablehnt, ist verfassungsfeindlich.
Wilking: Wenn man das so weit fasst, ist das auch völlig korrekt und würde ich auch so sehen.
Dobovisek: Warum beobachtet dann das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht die Reichsbürger?
Wilking: Das Bundesamt kann erst dann beobachten, wenn tatsächlich diese Ablehnung und diese Gruppen sich so klar verhalten, dass sie eindeutig Gegenstand der Beobachtung werden. Das, denke ich, wird jetzt der Fall sein. Wir haben hier in Brandenburg schon seit Jahren eigentlich die Reichsbürger zum Thema gemacht, weil es eben so schwierig ist, zwischen den verfassungsfeindlichen - in der engen Definition die ersten 20 Artikel der Verfassung ablehnenden - relativ gering ist, und sich jetzt so ein Trend entwickelt, dass so, wie Sie das sagen, die Ablehnung der Bundesrepublik an sich schon verfassungsfeindlich ist. Das setzt sich zunehmend durch und wird, glaube ich, auch deswegen beim Bundesamt dazu führen, dass die Reichsbürger zum Gegenstand werden.
Dobovisek: Nun haben Sie ja ein Handbuch geschrieben für Behörden, für öffentliche Stellen im Umgang mit den Reichsbürgern. Was empfehlen Sie zum Beispiel den Sicherheitsbehörden jetzt im Umgang mit Reichsbürgern all überall in Deutschland?
Wilking: Die weit überwiegende Mehrheit der Fälle bezieht sich auf das Vorführen des Staates. Das heißt, Gerichte werden zum Schauplatz von Schauspielen, wo gefilmt wird, wie Richterinnen und Richter verunsichert werden. Und es werden Verwaltungen mit Unmengen Texten zugeknallt und Anträgen und weiß ich was. Und das ist die Masse. Da empfehlen wir Ruhe und Gelassenheit und zum Teil auch einfaches Ignorieren. Die Problematik, die sich jetzt auftut mit Bewaffnung, ist natürlich schon so, dass wir empfehlen, Sicherheitsmaßnahmen in den Gerichten. Vorzuschlagen, dass Gerichtsvollzieher nur mit Polizeischutz vor ein Haus gehen, das bekanntermaßen von Reichsbürgern bewohnt wird, und im Zweifelsfall dann zurückziehen. Und was Standard ist: Wenn dann so etwas wie Zendow passiert, läuft inzwischen zumindest in Brandenburg nichts ohne SEK. Was aber nicht verhindert wie in Bayern, dass dabei ein Polizist umkommt, wenn da ein Sportschütze, der gut "qualifiziert" ist, aus dem ersten Stock schießt.
Dobovisek: Wir hören relativ viel Ratlosigkeit im Umgang mit den Reichsbürgern heraus - Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung. Er hat ein Handbuch für Behörden geschrieben über den Umgang mit den sogenannten Reichsbürgern. Vielen Dank für das Interview.
Wilking: Ja bitte!
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