"Man kann von der EU mit Fug und Recht behaupten, sie ist eine schleichende Revolution. Und nur weil sie schleicht, ist sie trotzdem eine Revolution. Denn zum ersten Mal in der Geschichte werden in einer Stadt die Rahmenbedingungen für einen ganzen Kontinent produziert, das hat es noch nie gegeben. Und das geht jetzt schon seit einem halben Jahrhundert in kleinen Schritten voran. Das ist eine schleichende Revolution".
Dieser Gedanke des österreichischen Schriftstellers Robert Menasse findet bei "Pulse of Europe" Widerhall:
"Schleichende Revolution, ja, zumindest ein provokanter Begriff. Wahr ist sicherlich, dass die Veränderungen, die der europäische Vereinigungsprozess seit 45 herbeigeführt hat, revolutionär in einer Art und Weise sind. Und dass diese Revolution auch teilweise ganz unbemerkt erfolgt ist", sagt Hansjörg Schmitt.
Der 44 Jahre alte Rechtsanwalt ist einer der Begründer von "Pulse of Europe". Jetzt aber sei die Revolution, die die EU mit sich gebracht hat, bemerkt worden. Die Bewegung mit "Pulse of Europe" vereint seit einem Jahr auch von denen, die diese Umwälzung befürworten.
Schmitt hält die EU vor allem für ein großes Friedensprojekt. Er erinnert an den Beginn der heutigen EU, die sogenannte "Montanunion", mit der die Kontrolle der Rüstungsindustrien auf supra-nationaler Ebene möglich geworden sei.
"Kollektive Sehnsuchtsgebiete"
Hansjörg Schmitt weiß, dass die daraus entstandene EWG – die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – schon lange nicht mehr ausreicht, um eine wirkliche "europäische Identität" zu stiften. Die heutige EU braucht mehr – und hat auch schon mehr: Schüler-und Studierendenaustausch, Städtepartnerschaften oder gemeinsame Kulturmetropolen wie Paris, Rom oder auch Berlin.
Auch kollektive Sehnsuchtsgebiete, die nicht zuletzt durch die europäische Literatur geschaffen wurden, wie seit zwei Jahrhunderten etwa Italien allgemein durch Goethe oder Seume oder vor einigen Jahrzehnten speziell Triest durch Claudio Magris sowie Barcelona durch Edoardo Mendoza.
Hansjörg Schmitt plädiert für eine Idee der "Doppelidentität" als Bürger eines Nationalstaates und gleichzeitig als EU-Bürger:
"Ich glaube, wir brauchen auf jeden Fall eine europäische Identität. Um Europa weiterbauen zu können. Und das ist auch kein Widerspruch, neben dem Nationalstaat. So wie wir Vater und Mutter haben, und uns so in unserer Existenz definieren, so können wir gute Franzosen, Italiener oder Deutsche sein und dennoch auch leidenschaftliche Europäer."
Doch nicht alles müsse es künftig doppelt geben, glaubt Hansjörg Schmitt. Ein gemeinsamer europäischer Pass könne ebenso genügen, wie eine einzige europäische Verteidigungs-Armee statt jeweils teuren nationalen Heeren. Auch solche sehr handfesten Dinge können identitätsstiftend sein, glaubt der Pulse of Europe-Mitbegründer:
"Ja, ich meine schon. Wir kennen ja diese Zerklüftung und diese Kleinstaaterei. Und heute wäre es ja absurd, wenn jemand vorschlagen würde, Bayern braucht sein eigenes Heer und Baden-Württemberg und Hessen. Und wir müssen auch in Europa, denke ich, zu einem Stadium kommen, wo das Gewaltmonopol sowohl innerstaatlich als auch außerstaatlich in einer europäischen Institution vor allem verankert ist."
Da ist sie also, die Vision von den "Vereinigten Staaten von Europa", von der Martin Schulz nun auch wieder spricht.
Reaktion auf den Brexit und Trumps Wahlsieg
Diese Idee wird zurzeit allerdings auch heftig unterminiert - durch die nationalistischen Bewegungen überall auf dem Kontinent. Selbst durch destruktive Kräfte im Europaparlament, wie den schon lange starken Front National. Das erzürnt Hansjörg Schmitt von Pulse of Europe besonders:
"Mich erinnert das eher so ein bisschen an Weimar. Das macht mir Angst. Diese Leute haben da eine Plattform, sie werden bezahlt und dennoch sägen sie an einem Ast, auf dem auch sie sitzen."
"Pulse of Europe" versteht sich hingegen als Identitätsstifter eines solidarischen Europa, die Bewegung war eine direkte Reaktion auf den Brexit und den Wahlsieg Trumps.
Eine Sorge hat Hansjörg Schmitt übrigens nicht. Dass die mittelosteuropäischen Staaten wie Polen, Tschechien oder Ungarn sich wieder ganz von der EU abwenden werden. Denn die wiedergewonnenen Freiheiten durch den Fall des "Eisernen Vorhangs" wollen gerade diese Länder nicht mehr verlieren, glaubt er.
Und wenn er mit FPÖ-Leuten auf Podien sitze und mit ihnen über die Zukunft Europas diskutiere, erinnere er sie daran, wie sehr gerade die österreichische Hauptstadt vom europäischen Einigungsprozess profitiere:
"Also, wir müssen uns die Dinge auch historisch immer wieder bewusst machen, dürfen nicht so geschichtsvergessen sein, was die Europäischen Union alles an Positivem bewirkt hat."