Die Hauptkritik von Grünen wie Volker Beck richtet sich gegen die vier großen Islamverbände: Ditib, Islamrat, der Zentralrat der Muslime und der Verband der islamischen Kulturzentren seien keine Religionsgemeinschaften.
"Die müssen dann bekenntnismäßig organsiert sein und können sich nicht danach orientieren, aus welchem Land kamen die Eltern und Großeltern und womöglich welche Interessen von Funktionen gilt es zu berücksichtigen. Das sind religionsfremde Kriterien."
Auch Bettina Jarasch, Leiterin der grünen Religionskommission, sieht die Islamverbände vor allem als politische Interessenorganisationen. Jarasch kritisiert indirekt eigene Parteifreunde, denen es um eine Integration um jeden Preis gehe.
"Es gibt in diesen Diskussionen, wo es um die Integration des Islam geht, oft eine gewollte Blindheit. Wir wollen den Islam integrieren, und deshalb suchen wir Kooperationspartner, schauen aber nicht mehr hin, wer diese Kooperationspartner sind und ob die sich als Religionsgemeinschaft qualifizieren."
Interessenverband oder Religionsgemeinschaft?
Im Mittelpunkt der Debatte steht oft die Frage, ob die Islamverbände – ähnlich wie die Kirchen - den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten können und damit auch Privilegien wie zum Beispiel das Einziehen von Kirchensteuern. Doch Muslime kennen keine Kirchenstrukturen, sie sind eher lokal und locker in Moscheeverbänden organsiert. Sollte man also das christlich geprägte deutsche Staatskirchenrecht ändern, um es für Muslime zu öffnen? Diese Forderung liberaler Staatsrechtler lehnt Volker Beck, religionspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, ab:
"Warum sollten wir unser Religionsverfassungsrecht zur Disposition stellen? Wenn wir anfangen, religiöse Vereine als Religionsgemeinschaften anzuerkennen, dann können auch religiöse Vereine im christlichen Spektrum gleiches Recht für sich auch verlangen. Dann landen wir in einem Chaos."
Auch in kirchlichen Kreisen wird die grüne Kritik an den Islamverbänden geteilt. Friedmann Eißler ist Islamreferent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Der Koordinierungsrat der Muslime, in dem die vier Islamverbände zusammengeschlossen sind, spreche höchstens für ein Drittel der Muslime in Deutschland.
"Hier ist ein Missverhältnis zwischen der Notwendigkeit, politische Ansprechpartner zu haben, und der wirklichen Repräsentativität dieser Verbände auf die muslimische Gemeinschaft."
Eine Aussage, auf die Yilmaz Kilic empört reagiert. Er ist Sprecher der Ditib, des Dachverbands für die türkisch-islamischen Moscheegemeinden, in Niedersachsen. Dort würden die Ditib und die Schura über 180 Moscheegemeinden repräsentieren; nur drei Moscheen seien nicht bei den beiden Verbänden organisiert. Außerdem sei Ditib kein Interessenverband.
"Das ist Schwachsinn, wir sind Religionsgemeinschaft, weil wir Religionsunterricht erteilen."
Ditib-Imame sind türkische Staatsbeamte
Volker Beck weist darauf hin, dass sich die meisten Muslime gar nicht in Moscheevereinen oder Verbänden organisieren.
"Wir sollten der Versuchung widerstehen, die Minderheit derjenigen Muslime, die sich in den konservativen Verbänden organisieren, zu nehmen als die Organisation aller Muslime in Deutschland."
Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich vor allem gegen Ditib – gegen die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion – so der offizielle Name.
"Man muss sich auch fragen bei der größten dieser Organisationen, bei der Ditib: Wollen wir allen Ernstes, dass über die Ditib, die eine Tochter der Anstalt für Religion in Ankara ist, der türkische Staat indirekt öffentliches Recht in Deutschland ausübt? Da sollte man genau überlegen, ob man alle Augen zudrücken will, obwohl man weiß, dass die Voraussetzungen nicht wirklich erfüllt werden."
Denn die Imame in den Ditib-Moscheen sind türkische Staatsbeamte, ihre Freitagspredigten bekommen sie direkt aus Ankara diktiert. Ditib-Sprecher Yilmaz Kilic verteidigt die Arbeit der geistlichen Gastarbeiter, die jeweils für einige Jahre nach Deutschland kommen.
"Gott sei Dank, dass uns jemand die Imane schickt und sie auch bezahlt. Momentan sind die Ditib-Gemeinden nicht in der Lage, eigene Religionsbeauftragte einzustellen und auch zu bezahlen. Wir haben sie auch in Deutschland nicht, wir haben keine ausgebildeten Theologen, das wird noch Jahre dauern."
Der Grünen-Politiker Beck moniert dagegen, dass Ankara über die Imame offenbar das religiöse Leben der meisten Muslime in Deutschland kontrollieren wolle.
"Da kann man nur sagen, an Ankara ist das hauptsächlich adressiert: Gebt die Muslime frei und gebt diese Religion aus den Fängen der Politik frei!"
Besonders heikel sei diese Abhängigkeit bei der Besetzung von deutschen Professorenstühlen für islamische Theologie. Denn hier dürfen Islamverbände wie Ditib mitentscheiden.
"Es kann nicht sein, dass es davon abhängt, wer in Ankara die Wahlen gewonnen hat, was jetzt die religiöse Wahrheit ist."
Beck für bekenntnismäßige Organisation
Allerdings gibt es bei den Grünen noch Differenzen, inwieweit man sich auf eine Kooperation mit den Islamverbänden einlassen soll. Bettina Jarasch vom Bundesvorstand sucht einen pragmatischen Weg.
"Solange wir noch nicht genügend muslimische Religionsgemeinschaften haben in Deutschland, die als solche anerkannt sind, muss man mit solchen Zwischenlösungen arbeiten."
Wie zum Beispiel die grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann in NRW bei der Etablierung eines islamischen Religionsunterrichts. Auch Volker Beck unterstützt eine solche Zwischenlösung. Aber:
"Ich fände es hochgefährlich, wenn man diesen Weg dahingehend missversteht, dass man aus den Übergangslösungen einen Anerkennungsautomatismus macht. Man nimmt dann auch ein Stück weit die Mehrheit der Muslime, die sich von diesen Verbänden ausdrücklich nicht vertreten fühlen, mit in Geiselhaft, indem man sagt: Die vertreten euch und üben über euch Steuergewalt aus."
Etwa wenn es künftig um den Einzug einer Religionssteuer gehen würde. Volker Beck will den Druck auf die Islamverbände erhöhen, damit die Muslime neue Religionsgemeinschaften bilden, die dann bekenntnismäßig organsiert sind - und nicht nach ethnischen oder politischen Maßstäben.
"Ich glaube, da findet auch ein bisschen Pokerplay statt und ein Machtspielchen, um zu gucken, ob die Politik die Nerven verliert."