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Resozialisierung
Marketingstudium statt Kokainverkauf

Ein Gefängnisaufenthalt im Lebenslauf verringert Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Eine Möglichkeit ist allerdings der Weg in die Selbstständigkeit. Das deutschlandweite einzigartige Leonhard-Programm unterstützt Strafgefangene der Münchner Justizvollzugsanstalt bei ihrem Weg zum eigenen Unternehmen.

Von Markus Kaiser |
    Eine Gefängniszelle mit Pritsche, Tisch, Schrank und Regal in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim, aufgenommen am Samstag (13.03.2010) in München.
    Leonhard-Programm-Teilnehmer: "Ich bin ein bisschen weg von dem Gedanken mittlerweile, dass man das schnelle Geld machen muss." (dpa / picture alliance / Tobias Hase)
    Ein Bett, eine Küchenzeile, ein Schreibtisch – die Ein-Zimmer-Wohnung von Philip Hansen in München ist übersichtlich. Der 30-Jährige betreibt hier seine eigene Firma "Legendary SEO". Leger gekleidet sieht Hansen aus wie ein junger Start-Up-Gründer: grauer Kapuzen-Pulli, Dreitagebart, Brille, die braunen Haare nach hinten gekämmt. Wenn er über seine Arbeit spricht, wirkt er begeistert und schafft sofort einen sympathischen Eindruck. Es ist kaum vorstellbar, dass Philip Hansen ein ehemaliger Kokain-Dealer sein soll.
    "Angefangen hat es damit, dass man sich den eigenen Konsum finanziert. Ich hab gern Business gemacht. Und dann stand halt die Polizei vor mir. Mit Dreien hab ich's noch geschafft irgendwie mich zu raufen, und dann war's vorbei. Stolz kann man da drauf nicht sein, auf keinen Fall."
    Karriere statt Knast
    Vor seiner Karriere im Online-Marketing saß Philip Hansen im Gefängnis. Hier kam die Einsicht. Er beschloss, nach der Haft ein legaler Unternehmer zu werden. Noch im Gefängnis bekam er dabei Unterstützung von Maren Jopen.
    "Es gibt eine Fähigkeit, die bringen sehr viele Strafgefangene mit, und das sind unternehmerische Fähigkeiten. Wenn jemand einen Drogenring aufgebaut hat, dann hat der definitiv Ahnung von Marketingstrategien, von Vertriebswegen und von Mitarbeiterführung. Und unser Ziel ist es, dass wir diese an sich guten Eigenschaften für etwas Positives verwenden, sodass er ein Leben in Legalität und Freiheit leben kann."
    Die Betriebswirtin organisiert seit ein paar Jahren zusammen mit ihrem Vater das Leonhard-Programm - einen 20-wöchigen Studiengang, der Strafgefangene auf die richtige Bahn bringen und selbstständige Unternehmer aus ihnen machen soll. Die Kurse finden direkt im Gefängnis statt.
    Lernen von den Profis
    Im Kellerraum der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München herrscht aufgeregte Stimmung. 16 Strafgefangene in Einheitskleidung setzen sich wie eine Schulklasse an ihre Pulte. Es wird geschwätzt. Einer spielt mit Jonglierbällen. Doch die Stimmung schlägt um, als Tilo Petersdorf mit seinem Vortrag beginnt.
    "Wie führen wir unser Team? Wir schaffen das eigentlich nur, wenn wir sehr regelmäßig intensive Meetings abhalten. Wir treffen uns jeden Montag um zwölf Uhr, weil zwölf Uhr ist jetzt nicht so die typische Trainingszeit für die meisten."
    Petersdorf ist ein sportlicher junger Typ – so stellt man sich den Betreiber eines Fitnessstudios vor. Er erzählt davon, wie er sein Unternehmen aufgebaut hat. Die Strafgefangenen blicken gebannt nach vorne, lauschen und stellen Fragen, als wären sie BWL-Studenten.
    "Also es ist schon ein bisschen eine bessere betuchte Kundschaft – wie kommt ihr an die ran? Welche Marketingstrategie habt ihr euch da ausgedacht?"
    Einer der Gefangenen ist Wolfgang Schulz. Sein Name wurde für diesen Beitrag geändert. Schulz ist ein kräftiger Mann. Er erzählt, dass er früher einmal Ringer war. Heute träumt er davon, ein Unternehmen im sozialen Bereich zu gründen und kriminellen Jugendlichen zu helfen.
    "Das wird eine Wrestling-Schule mit integriertem Anti-Gewalttrainingsbereich sein. Da leiste ich dann gleich meinen Beitrag zur gesellschaftlichen Verantwortung."
    Ob ein Strafgefangener am Leonhard-Programm teilnehmen kann, hängt von seiner Persönlichkeit ab. Bei einem Bewerbungsgespräch muss er seine Geschäftsidee darlegen und eine Motivations-Rede halten. Über das jeweilige Delikt urteilt das Programm nicht.
    "Am Anfang hab ich mir gedacht, oh, weiß ich nicht, Gefangene und so. Aber es sind unglaublich reflektiert denkende, sehr feinfühlige auch und sehr interessierte Menschen, die wie du und ich eigentlich sind."
    Auf Niederlagen vorbereiten
    Jakob Assmann wirkt mit seiner schwarzen Brille und seinem leichten Hipster-Bartansatz nicht wie jemand, der hier her gehört – auf den Hof einer Justizvollzugsanstalt. In der Pause erzählt der Energieunternehmer aus München, warum er als Dozent Strafgefangene unterrichtet.
    "Was ich versuche ist, die Teilnehmer darauf vorzubereiten, dass sie viel mit Ablehnung konfrontiert werden. Viele werden nein sagen und ihre Idee scheiße finden. Und wie geht man damit um und macht trotzdem sein Ding weiter und wird erfolgreich, auch wenn man mit so viel Ablehnung zu tun hat."
    "Das macht mir richtig Spaß"
    84 Strafgefangene haben das Leonhard-Programm seit dem ersten Kurs im Jahr 2011 durchlaufen. Die meisten von ihnen sind inzwischen entlassen. Mit der Unterstützung des Programms nach der Haft fanden mehr als die Hälfte der Absolventen schnell einen Arbeits- oder Studienplatz. Elf ehemalige Leonhard-Teilnehmer gründeten tatsächlich ihr eigenes Unternehmen. Einer von Ihnen ist Philip Hansen. In seinem Büro in München verkauft er heute Marketingstrategien statt Kokain.
    "Bei mir ist alles besser gelaufen wie erwartet. Ich bin ein bisschen weg von dem Gedanken mittlerweile, dass man das schnelle Geld machen muss.
    Für mich zählt auch die Bestätigung mit einem glücklichen Kunden, der einem freiwillig mehr Dienstleistungen abkauft. Das ist für mich was, das macht mir richtig Spaß."