Archiv


Riesenkristall von Saint-Gobain

Physik. - Perfekte Kristalle werden in vielen Anwendungsbereichen benötigt. Wissenschaftler des französischen Glaskonzerns Saint-Gobain haben jetzt perfekte Einkristalle mit einer Kantenlänge von 50 Zentimetern hergestellt. Sie sind für Kernfusions-Experimente bestimmt.

Von Ralf Krauter | 15.08.2005
    Es ist eines dieser Ausstellungsstücke, vor denen man unwillkürlich stehen bleibt. Unter einer überdimensionalen Käseglocke aus Plexiglas ruht ein gläserner Block, durchsichtig, mit blank polierten Oberflächen. Seine Form erinnert an ein Haus - ein Würfel mit pyramidenförmigem Dach oben drauf.

    "Es sieht aus wie der größte Diamant der Welt, aber es ist ein Einkristall - also ein perfekter Kristall ohne jegliche Fehlstellen, bei dem alle Atome vollkommen regelmäßig angeordnet sind. "

    Isabelle de Vidriate arbeitet für den französischen Spezialglashersteller Saint-Gobain und ist Expertin für Hochleistungsmaterialien. Der Riesenkristall, den sie kürzlich auf der Wissenschaftsmesse in Paris vorgestellt hat, hat eine Kantenlänge von knapp einem halben Meter und wiegt fast 300 Kilogramm. Der Auftrag für die Entwicklung und Herstellung kam von der französischen Atomenergiebehörde CEA. Die braucht solche Megakristalle für Experimente zur Kernfusion.

    "Wir verwenden ein Salz des Elementes Kalium - und zwar das Di-Hydrogenphosphat KDP. Dieses Salz wird in Wasser gelöst und anschließend erwärmt. Bringt man in die Mitte der Salzlösung einen kleinen Kristall als Kondensationskeim, dann lagern sich die Atome aus der Lösung nach und nach an dessen Oberfläche an - und zwar vollkommen regelmäßig, in perfekter Fortsetzung des Kristallgitters. Weil das ein sehr langsamer Prozess ist, dauert es normalerweise zwei Jahre, bis ein Einkristall dieser Größe gewachsen ist. Aber wir haben die Herstellung auf Basis der Vorarbeiten von russischen und amerikanischen Forschern so optimiert, dass wir nur noch zwei Monate dafür brauchen."

    Die technischen Details des Turbo-Wachstums will Isabelle de Vidriate aber nicht verraten - Betriebsgeheimnis. Der Leiter der Entwicklungsabteilung bei Saint-Gobain, Bruno Aleonard, rückt auf telefonische Nachfrage dann doch noch etwas mehr heraus: Man verwende eine stark übersättigte Salzlösung, sagt der Mann, arbeite also weit entfernt von den sonst üblichen Gleichgewichtsbedingungen.

    "Die französische Atomenergiebehörde CEA braucht solche riesigen Kristalle, um daraus optische Bauteile für intensive Laserstrahlen zu fertigen, die einen Strahldurchmesser von 40 Zentimetern und eine Impulsleistung von 7,5 Kilojoule haben. Insgesamt 240 dieser Hochenergielaser sollen ab 2010 eine kleine Kugel aus Deuterium und Tritium auf über 100 Millionen Grad erhitzen, so dass die Atomkerne darin verschmelzen. Inertialfusion heißt diese Technologie zur Kernschmelze im Fachjargon. Das Ziel dabei ist es, den Fusionsprozess genauer zu untersuchen."

    Die Wellenlänge der 240 Laserstrahlen liegt zunächst im Infraroten, denn in diesem Spektralbereich lässt sich ihre Ausgangsleistung am effizientesten verstärken. Um im Fokus die für die Fusion nötigen Temperaturen zu erreichen, muss die Wellenlänge der Laserstrahlen aber verkürzt, das heißt ins energiereichere ultraviolette Spektrum verschoben werden. Die dazu notwendigen Scheiben eines nichtlinearen optischen Mediums werden aus den Riesenkristallen von Saint-Gobain herausgeschnitten - je nach gewünschtem Effekt in einem anderen Winkel zum Kristallgitter.

    Und weil der Strahldurchmesser 40 Zentimeter beträgt, muss der hausförmige Kristallblock dazu eben größer sein als alles bisher Dagewesene. Insgesamt sollen jeweils drei der kristallinen Frequenzwandler hintereinander geschaltet werden, um die Wellenlänge der infraroten Laserstrahlen auf ein Drittel zu reduzieren und so das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen.