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Road-Novel im Jugendstil

Wenn Erwachsene versuchen, in Jugendsprache zu schreiben, hört sich das oft peinlich bemüht an. Nicht aber in Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick". Der 45-jährige Autor jagt seinen 14-jährigen Ich-Erzähler durch seine Road-Novel ohne sich sprachlich anzubiedern.

Von Marius Meller |
    Die Nachahmung, die Mimesis, ist der Anfang und das Ende der Literatur, der hohen wie der gebrauchsfertigen. Es kann unendlich peinlich sein, wenn die Nachahmung von Sprache scheitert. 250 Seiten mit 14-jährigem Ich-Erzähler, geschrieben von einem 45-jährigen Autor - angesiedelt nicht in den Siebzigerjahren, sondern heute! Kann das gut gehen? Und man bedenke - von einer Generation in Habitus, Geschmack und Kanon kann man heute schon alle fünf Jahre sprechen.

    Ja, es geht, es geht sogar sehr gut. Wolfgang Herrndorf gelingt es, für seine Road-Novel ohne Anbiederung eine mild slang-geprägte Jugendsprache zu entwickeln. Das "weil" mit Hauptsatz gehört dabei dazu, das inzwischen in allen Generationen zu Hause ist, aber Ausdrücke wie "endgeil" und allerlei Details aus der Computerspieleszene bilden ein authentisches Sprach- und Motivpanorama.

    Maik Klingenberg, der Held und Ich-Erzähler ist ein nicht besonders auffälliger Pubertierender, dessen Prosa aber einen wachen Geist, Schlagfertigkeit und sprachliche Phantasie verraten, ja sein Autor Herrndorf hat ihn im Grunde mit dem Geist eines Schriftstellers ausgestattet. Er ist wohl genau das, was man heute wohlstandsverwöhnt nennt, stammt aus einem durchschnittlich gebildeten Elternhaus. Zu Beginn des Romans verabschiedet sich der Vater auf eine längere Dienstreise mit der attraktiven Assistentin und die Mutter in den euphemistisch "Beauty-Farm" genannten Alkoholentzug. Vierzehn Tage sturmfreie Bude und reichlich Taschengeld scheinen die Hauptfigur zunächst zu verunsichern.

    Dann aber tauscht sein Freund, oder Bald-Freund Andrej Tschichatschow genannt Tschick auf - mit einem von ihm geknackten Lada. Das Road-Movie kann beginnen. Es lockt ganz Eichendorffsch nichts als die weite Welt, das Fahrtziel setzen sie eher zufällig fest: die Walachei, wo angeblich ein Onkel Tschicks wohnt.

    Doch zunächst müssen sie bei Tatjanas Party vorbeischauen. Sie sind die einzigen des gesamten Schuljahrgangs, die nicht eingeladen sind, aber Maik ist in Tatjana verliebt. Er hat ihr in monatelanger Arbeit eine Zeichnung ihres Lieblingspopstars Beyoncé angefertigt, die er ihr cool übergibt - und gleich wieder mit Tschick verschwindet.

    Was jetzt folgt, ist eine klassische Road-Novel-Geschichte: ein Aufenthaltsort folgt dem nächsten, eine Episode knüpft sich an Episode. Wolfgang Herrndorf hat das Genre leichthändig und augenzwinkernd bedient, aber nicht distanziert sondern liebevoll. So moduliert er aus der Oberschulgeschichte und dem Klingenbergschen Familienchaos in einem zweiten Teil in die Geschichte einer waghalsigen Autofahrt. Herrndorfs Dialoge sind meisterhaft lakonisch:

    "Das Buch hieß glaube ich 'Der Seebär'. Oder 'Der Seewolf'. - "Du meinst 'Steppenwolf'. Da geht es auch um Drogen. So was liest mein Bruder." - "'Steppenwolf' ist zufällig eine Band", sagte ich.

    Die Road-Novel ist, blendet man die merkwürdigen Begebenheiten, die die Reise mitbringt, einmal aus, eine Leinwand für die Dialoge, die der Autor zeichnet. Und welche Weltweisheit er hier ganz unpathetisch von den Mündern von 14-Jährigen ausgehen lässt, ist schon erstaunlich.

    Weil die sprachliche Ausarbeitung so unbestechlich ist und jede Anbiederung vermeidet, kann man Tschick nicht nur erwachsenen Lesern, sondern auch der Altersgruppe empfehlen (oder schenken), aus der die Protagonisten stammen.

    Die Stationen der Fahrt um zerbeulten Lada sind skurril bis grotesk. Einmal werden Maik und Tschick von einem wunderlichen Alten fast erschossen, einem Partisan der Weltfremdheit. Auf einer Müllkippe, wo Tschick und Mike einen Benzinschlauch suchen, begegnen sie Isa, einem ebenfalls ausgerissenen Mädchen. Es entspinnt sich eine diskrete Liebesgeschichte zwischen Isa und Mike, der sich einmal auch eingesteht, dass er beide liebe, Tatjana und Isa.

    Aber das Zentrum stellt die Freundschaft zwischen Tschick und Mike dar, die bis auf wenige Momente keine erotische Dimension hat, obwohl sich andeutet und später auch herausstellt, dass Andrej homosexuell ist. Was hier gleichsam im Blick auf den bestirnten Himmel über uns so ganz ungekünstelt in der Phantasie des Lesers entsteht ist die Evokation einer Freundschaft, die alles Kumpelhafte, alles Erotische und die Sphäre des Besitzes übersteigt. Wolfgang Herrndorf ist ganz nebenbei ein Klassiker der Adoleszenz-Literatur gelungen.

    Vergleicht man den Roman "Tschick" mit dem von 2002, "In Plüschgeittern", dann fällt die generell ent-düsterte Perspektive auf. Waren die Plüschgewitter ein Angriff auf die Wirklichkeit und die Resignation vor ihr, so atmet Tschick einen fast heiteren Geist, der sich genau hier zwischen diesen Pubertisten manifestiert, obwohl es sich doch nur um Halbstarke handelt. Und Herrndorfs Poetik ist von der Rigorosität der "Plüschgewitter" in einen weltoffenen und manchmal sogar weltpreisenden Modus übergegangen.

    Am Ende wird Tschick wieder ins Heim gesteckt und Mike muss zu seiner schrägen Familie zurück und die Zukunft ist ungewiss. Aber gewiss war die Intensität dieser Sommerwochen, dieser Freundschaft und dieser authentische Eindruck der Lebendigkeit und Unverbautheit von 14-järigen Gehirnen. Mit "In Plüschgewittern" lieferte Herrndorf den radikalen Jungdichterroman, den man übrigens immer öfter genannt findet, wenn es mal wieder um den Berlin-Roman geht. Mit "Tschick" ist ihm ein Kabinettstück gelungen: Die Weltumarmung trotz nüchternem, unbestechlichem Blick, dem Herrndorfschen Blick.

    Wolfgang Herrendorf: "Tschick", Rowohlt Verlag, 256 S., 16,95 Euro