Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) hat bei seinem Antrittsbesuch in Washington über Deutschlands neuen Kurs in der Sicherheits- und Außenpolitik, aber auch in der Energiepolitik gesprochen.
Im Deutschlandfunk-Interview sagte der Grünen-Politiker, die transatlantische Partnerschaft erlebe in diesen Tagen so etwas wie eine Renaissance. Deutschland werde nach der Kurskorrektur als starker Partner wahrgenommen. Die Gespräche mit Vertretern der US-Regierung seien geprägt von Bemühungen, gemeinsame Lösungen für den Krieg in der Ukraine zu finden.
"Die Gespräche mit der Finanzministerin, mit dem Außenminister, mit der Handelsministerin, mit der Energieministerin, die sind geprägt von der Suche nach gemeinsamen Aktionen, einer gemeinsamer Haltung, aber auch nach einer gemeinsamen Politik auch über diesen Krieg in der Ukraine und Sanktionen gegen Russland hinaus."
"Stärker auf eigene Energiequellen stützen"
Mit Blick auf die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas sagte der auch für Klimaschutz zuständige Minister, für den Fall eines Lieferstopps sei man gut vorbereitet. "Es geht darum, sich nicht mehr so eng an Russland zu binden", so Habeck. "Ich bringe ein Gesetz auf den Weg, das die Betreiber der Speicher dazu anhält, also zwingt, dass die Speicherstände zum Winterbeginn voll sein müssen."
Mehr zu diesem Thema:
Kurzfristig könne es aber sein, dass vorsichtshalber Kohlekraftwerke in der Reserve gehalten oder sogar laufen müssten, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dies sei im Zweifel wichtiger als der Klimaschutz, betonte Habeck. "Je stärker wir uns auf eigene Energiequellen stützen und je stärker diese eigenen Energiequellen nicht durch Importe abhängig sind, umso souveräner agieren wir", so Habeck
Das Interview im Wortlaut:
Tobias Armbrüster: Herr Habeck, hat das Kopfschütteln über die Deutschen in Washington aufgehört?
Robert Habeck: Ja. Rückblickend muss man sagen, dass das Kopfschütteln laut war und deutlich war, aber die Korrekturen, die wir vorgenommen haben in den letzten Tagen, sind wohl angekommen. Deutschland wird als starker Partner wahrgenommen und insgesamt die transatlantische Partnerschaft erlebt so etwas wie eine neue Renaissance. Und es ist ein politisches Momentum da, das diese Tage oder auch diesen Besuch zu einem besonderen macht.
Armbrüster: Dann muss man die Frage stellen: Musste erst ein Krieg kommen, damit Deutschland diese Kurskorrektur einleitet?
Habeck: Scheint so.
Armbrüster: Ist das etwas Gutes?
Habeck: Nein, ist natürlich nichts Gutes, und auch die Waffenlieferungen, die jetzt ja beschlossen wurden, wären vielleicht auch eine Maßnahme gewesen, Krieg zu verhindern, wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass wohl wenig Putin abgehalten hätte, diese Invasion, diesen Angriff vorzunehmen. Er hat sich ja ideologisch festgelegt, verblendet, muss man sagen, festgelegt. Das ist ja alles nicht mehr rational zu begreifen. Trotzdem ist es gut, gemeinsame Wege zu gehen, gemeinsame Lösungen zu finden und nicht sich zu belauern beziehungsweise aus wirtschaftspolitischem, handelspolitischem Misstrauen heraus zu handeln. Die Gespräche mit der Finanzministerin, mit dem Außenminister, mit der Handelsministerin, mit der Energieministerin, die sind geprägt von der Suche nach gemeinsamen Aktionen, einer gemeinsamer Haltung, aber auch nach einer gemeinsamen Politik auch über diesen Krieg in der Ukraine und Sanktionen gegen Russland hinaus.
"Die Amerikaner helfen Europa in dieser Situation"
Armbrüster: Sind die USA für die Grünen jetzt die Guten?
Habeck: Ich würde jedenfalls sagen, dass Putin nicht der Gute ist und der Böse ist. Natürlich haben die USA eigene Interessen, da soll man nicht naiv sein. Gerade in den Themengebieten, die ich betreue, in der Handelspolitik und auch in der Energiepolitik, hat die USA ein starkes eigenes Interesse. Es gibt eine ausgeprägte Neigung zu einer Art „buy america“-Politik, den Handel zu Gunsten der eigenen Produkte einzuschränken oder zu protektionieren. Das ist nicht das und auch nicht die wirtschaftspolitische Ordnung, die wir anstreben. Aber trotzdem kämpfen wir für die gleichen Werte und wir müssen sehen, dass die Amerikaner Europa helfen in dieser Situation, und ohne die Entschiedenheit der Amerikaner wäre es um die Ukraine noch viel schlechter bestellt gewesen.
Armbrüster: Wie eng soll sich denn Deutschland jetzt Ihrer Meinung nach in der Energiepolitik – bleiben wir mal bei diesem Thema – an die USA binden?
Habeck: Gar nicht. Es geht darum, sich nicht mehr so eng an Russland zu binden. Das ist ja das Problem. Und dann muss man sich möglichst vielfältig aufstellen. Wenn Sie auf die Frage anspielen, woher das Gas kommen soll – die Unternehmen, die die geplanten LNG-Terminals betreiben wollen, zielen nicht, dass ich das einmal deutlich sagen kann, auf amerikanisches Gas, auch nicht auf amerikanisches Fracking-Gas. Letztlich sind sie frei, auf dem Weltmarkt einzukaufen, wo sie wollen. Aber die Gespräche und die Vorgespräche, die über Lieferungen getroffen sind, von denen ich weiß, sind nicht mit den amerikanischen Unternehmen geführt worden, und da gibt es auch keinen Druck, den Amerika macht, jetzt Gas aus Amerika zu nehmen.
Vielmehr ist es so, dass auch die Amerikaner sehen, dass sie ganz schöne Importe aus Russland bekommen, Öl aus Russland importieren, und zusehen wollen, dass sie diese Importe einstellen.
"Eine Ölreserve haben wir schon"
Armbrüster: Deutschland hat ja bisher noch keine wirklich gravierenden wirtschaftlichen Folgen dieses Krieges erlebt. Was macht Ihre Bundesregierung denn, wenn Russland seine Gaslieferungen tatsächlich stoppen sollte?
Habeck: Darauf sind wir vorbereitet. Für den jetzt laufenden Winter und den Sommer kann ich Entwarnung geben. Wir haben Maßnahmen ergriffen, gegen den Leerlauf der Speicher anzuarbeiten. Das würden wir gut überstehen. Für den nächsten Winter werden wir weiterte Maßnahmen ergreifen. Ich bringe ein Gesetz auf den Weg, das die Betreiber der Speicher dazu anhält, also zwingt, dass die Speicherstände zum Winterbeginn voll sein müssen. Sie müssen dann einkaufen. Das gleiche machen wir für Kohle, dass wir eine Reserve, einen Reservevorrat anlegen, der es uns ermöglicht, auch bei Abriss einer Lieferkette über den Winter zu kommen.
Und eine Ölreserve haben wir schon. Wir treffen auch Vorsorgen für den schlimmsten Fall, der ja noch nicht eingetreten ist, denn die Russen liefern ja Rohstoffe in die ganze Welt. Aber das ist eher das Problem. Das muss man klar sagen. Wir sollten sehen, dass wir möglichst unabhängig davon werden. Das geht aber nicht über Nacht, weil wir in den letzten zehn Jahren die Importabhängigkeit vergrößert haben gegenüber Russland. Wir haben uns da ganz schön in eine Ecke manövriert, die wir jetzt aber verlassen wollen, und seitdem ich Minister bin arbeiten wir daran, das zu tun.
ETH-Experte: Schweiz nutzt Spielräume der Neutralitätspolitik
"Erneuerbare Energien schaffen uns mehr Freiheit"
Armbrüster: Herr Habeck, wir hören jetzt auch gerade von Ihnen die Stichworte Kohle und Öl. In den letzten Tagen haben wir außerdem zumindest die Idee gehört, dass möglicherweise auch Atomkraftwerke noch etwas länger laufen können. Frage deshalb: Ist Sicherheit wichtiger als Klimaschutz?
Habeck: Im Zweifel ist das so. Aber dieser Zweifel sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde genommen die Unabhängigkeit und Souveränität in der Energiepolitik und eine klimaneutrale Energieproduktion das gleiche sind. Je stärker wir uns auf eigene Energiequellen stützen und je stärker diese eigenen Energiequellen nicht durch Importe abhängig sind, umso souveräner agieren wir auch außenpolitisch. Das ist gemeint, wenn man sagt, erneuerbare Energien schaffen uns mehr Freiheit oder auch außenpolitischen Freiraum. Das ist gemeint, wenn wir sagen, Energiepolitik ist Sicherheitspolitik, und das ist sie nun auch.
Das heißt, kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen. Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen. Die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein und das werde ich auch tun. Schon mittelfristig allerdings sind die beiden Dinge nicht gegeneinanderzustellen, sondern das einzige, was niemandem gehört, ist der Wind und ist die Sonne. Deswegen sind wir klug beraten, diesen Weg zu gehen, und es kommt dazu, dass diese Energien dann auch beispiellos günstig sind, wenn sie erst einmal aufgebaut sind.
Das heißt, kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen. Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen. Die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein und das werde ich auch tun. Schon mittelfristig allerdings sind die beiden Dinge nicht gegeneinanderzustellen, sondern das einzige, was niemandem gehört, ist der Wind und ist die Sonne. Deswegen sind wir klug beraten, diesen Weg zu gehen, und es kommt dazu, dass diese Energien dann auch beispiellos günstig sind, wenn sie erst einmal aufgebaut sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.