Eine junge Frau mit einem Korb Sekt auf dem Beifahrersitz will nur kurz Getränke für eine Institutsfeier abliefern. "Hilfspförtner" Georg Krausch, im Hauptberuf Uni-Präsident, winkt sie durch - ohne Tagesschein. Das war zu großzügig, stellt sich nach Rücksprache mit Werner Waldorf heraus, dem echten Pförtner.
"Ich bin aber nicht so verhandlungssicher am Fahrzeug", räumt der Uni-Präsident ein. In Sekundenschnelle Plaketten und Einfahrtsscheine sichten, ad hoc über Stop oder Go entscheiden, mit der Verantwortung für die Sicherheit auf dem gesamten Universitätsgelände im Rücken, ist neu für Krausch.
"Wir wissen ja einfach nicht was die Herausforderung ist, wo man auch mal aggressiv angemacht wird, von Leuten, denen es nicht passt, wo man auch mal entscheiden muss, ob jemand gerade die Wahrheit sagt oder ein Geschichtchen erzählt. Es soll ja freundlich sein hier am Empfang der Uni. Gleichzeitig gibt es Regeln durchzusetzen. Es ist ja nur eine Facette seines Berufs, aber die sehe ich jetzt mal."
Rollentausch ist gut fürs Arbeitsklima
Gut fürs Arbeitsklima an der Uni oder auch in der freien Wirtschaft, kommentiert der Mainzer Arbeitspsychologe Thomas Rigotti den Rollentausch. Denn in der Regel unterschätze man, "wie viel Arbeit, wie viel Stress andere haben. Meistens denkt man, man hat selbst am meisten zu tun und die schwierigsten Kunden usw. Und da hilft natürlich, einfach mal in einem anderen Arbeitsbereich zu sehen, welche Probleme da auftreten und dafür ein Verständnis zu entwickeln. Und das - ganz klar - fördert auch die Wertschätzung füreinander."
Präsident Krausch und Pförtner Waldorf sind nicht die einzigen Tauschpaare an der Uni Mainz, so Maria Lau, Projektleiterin Diversität:
"Wir haben zum Beispiel einen Professor aus der Theologie, der mit einer Mitarbeiterin der Studierenden-Hotline tauscht. Dann haben wir eine Mitarbeiterin aus dem Familien-Servicebüro, die tauscht mit der Leitung des Chemielabors. Unser Ausbildungsleiter tauscht mit dem Gärtnermeister. Dann haben wir versucht, Studierende einzubeziehen in den Rollentausch, was gar nicht so einfach war. Da haben wir es nur geschafft, dass zwei Studierende aus verschiedenen Fachbereichen miteinander tauschen."
Rollentausch oder sogenanntes Shadowing, das wechselseitige Beschatten beim Arbeiten, liegen auch in der freien Wirtschaft im Trend. Die Effekte sind aber noch nicht empirisch erforscht, gibt Professor Rigotti zu. Gut sei, dass der Rollentausch-Tag an der Uni mit einer gemeinsamen Reflexion endet.
"Forschung hat bestätigt, dass Reflexion in Teams eines der wichtigsten Elemente für die Team-Effektivität ist, das geht sogar so weit, dass gezeigt wurde, dass in Krankenhäusern, in denen echte Teams, die sich über ihre Ziele und Qualitätsstandards regelmäßig austauschen - Perspektiven-Übernahme eben auch betreiben - sogar die Mortalitätsrate geringer ist als in anderen Krankenhäuser."
Gemeinsamer Weg zur Wertegemeinschaft
Was dafür spricht, Rollentausch, Shadowing und den Dialog darüber nicht nur in weit auseinander liegenden Arbeitsfeldern zu erproben, sondern auch innerhalb von Verwaltungs- Wissenschafts- und Studierenden-Teams, die täglich zusammenarbeiten.
Am Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung beendet Pförtner Werner Waldorf soeben das Grußwort, das er stellvertretend für den Präsidenten gehalten hat. Dass er sich ein-, zweimal verhaspelt, nimmt ihm das Publikum nicht übel. Im Gegenteil: Eine Zuhörerin begrüßt, dass die Uni mit Rollentausch und Perspektivwechsel experimentiert. Das sei wichtig, "um zu beurteilen, wie man in bestimmten Rollen funktioniert oder funktionieren sollte. Ganz wichtig sogar - fürs Sozialverhalten!"
Regelmäßig praktiziert, kann es auf eine Wertegemeinschaft am Arbeitsplatz einschwören, präzisiert der Organisationspsychologe Thomas Rigotti. Sollten sich im kommenden Jahr wieder genug Tandems finden, dann bleibt der Rollentausch an der Uni Mainz vielleicht keine Einzelaktion.