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Roman "Macht und Widerstand"
Zerrissenheit im postkommunistischen Bulgarien

Ilija Trojanow neuer Roman beschreibt die lebenslange Feindschaft des Stasi-Offiziers Metodi Popow und des antikommunistischen Widerstandskämpfers Konstantin Scheitanow. Dies symbolisiert die tiefe Zerrissenheit der postkommunistischen bulgarischen Gesellschaft - von Trojanow literarisch anspruchsvoll geschildert.

Von Christoph Vormweg |
    Lenin und andere kommunistische Statuen auf einem Depotgelände bei Silven in Bulgarien.
    Abgestellte kommunistische Statuen in Bulgarien: Wie mit dieser Vergangenheit umgegangen wird, ist Thema des neuen Romans von Ilija Trojanow. (picture alliance / WOSTOK PRESS/MAXPPP)
    Literarische Klassiker, die mit dem totalitären Staat kommunistischer Prägung abrechnen, gibt es zur Genüge: von George Orwells "Farm der Tiere" bis hin zu Alexander Solschenizyns "Archipel Gulag". Auch sind viele Leserhirne deutscher Herkunft prall gefüllt mit DDR-Stasi-Perversionen. Warum also noch eine Beschreibung der bulgarischen Variante des menschenverachtenden kommunistischen Überwachungssystems mitsamt seinen Langzeitfolgen?
    Es gibt gute Gründe, Ilija Trojanow auf seinen Erkundungszügen zurück in den Realsozialismus zu folgen. Zum einen hat der 50-Jährige für seinen Roman "Macht und Widerstand" eine komplexe, sehr anspruchsvolle literarische Form gefunden, die in der Lage ist, die tiefe Zerrissenheit der postkommunistischen Gesellschaft Bulgariens zu spiegeln. Zum anderen ist seine Perspektive auf den Stoff wegen seiner Biografie von besonderem Reiz. 1971 floh Ilija Trojanow als Kind mit seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland. Die alte Heimat sah er erst als Erwachsener nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 wieder.
    Das schafft Distanz - aber eben nicht die kühle Distanz des Historikers. Mit anderen Worten: Ilija Trojanow ist in seinem Roman "Macht und Widerstand" ein potenziell befangener Autor. Gerade deshalb hat er sich für die Mischform der Doku-Fiction entschieden. Die Materialbasis für seinen Roman bilden Interviews, die er mit bulgarischen Langzeithäftlingen und ehemaligen Stasi-Offizieren geführt hat. Ilija Trojanow lässt seine Imagination gleichsam auf den Fakten tanzen – nicht zuletzt, um dem Ungesagten, dem Verheimlichten auf die Spur zu kommen. Aber nicht nur das. Sein Roman stellt auch die Frage nach dem Sinn eines Widerstands, der aufs Ganze geht und den Tod bewusst in Kauf nimmt.
    Aufarbeitung des Kommunismus' in Bulgarien
    Der Roman "Macht und Widerstand" spielt in der Zeitspanne zwischen Ende des Zweiten Weltkriegs und 2007, als Bulgarien bereits zur Europäischen Union gehört. Ilija Trojanow, der seit seinem Erfolgsroman "Der Weltensammler" eine feste Größe der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist, gibt uns gleich auf der ersten Seite eine Kostprobe seines literarischen Könnens. Aus der Perspektive des Jahres 1999 beschreibt sein Erzähler die Stimmungslage in Bulgarien nach dem demokratischen Neustart.
    "Ging früher einer fremd, galt er als sittlich verkommen. Böser Mann, böser kleiner Mann. War es einer aus der Partei, so hieß es, er habe einen Fehler begangen. Unbedacht, kann ja mal passieren. Verführte ein Bonze die Tochter eines Arbeiters, klopften ihm die Genossen auf die Schulter. Du Schlingel du. Und sammelte einer der Oberen Liebschaften wie Orden, wurden seine Verführungskünste bewundert. Das war früher. Heute ist die Moral an den Dollar gekoppelt.
    Ein grandioses Zeitalter läuft aus in vollen Touren, und die Wassermelonen, aufgeschnitten am Straßenrand, glänzen wonnevoll. Dem Einfallsreichtum der Verkäufer höchstes Lob: Zwei Tropfen Urin in die Melone gespritzt und schon reift sie prall rot, diese Traummelone. Was für eine elegante Lösung, zeitgemäß effizient statt der umständlichen und langwierigen Pfropferei von einst. Mühsam mussten die Altvorderen Schweine mit Tausendfüßlern kreuzen, zur Ankurbelung der Schweinshaxenproduktion. Mitschurin, du Held jeder Tafelrunde, wie ist dir bloß ein rostresistenter Traktor gelungen? Simpel, aber raffiniert, mit der Kartoffel gekreuzt ... Posaunen und Fanfaren sind passé, Hupe und gestreckter Mittelfinger en vogue."
    War es früher also doch besser? Wenigstens keine Pisse in den Melonen und keine Korruption mit Kapitalisten-Dollars? Ganz sicher nicht. In den 20 Kapiteln, die aus auktorialer Erzählperspektive den Zeitgeist eines bestimmten Jahres beleuchten, nimmt sich Ilija Trojanow alle Freiheiten. Mal schreibt er sarkastisch, mal nüchtern, mal dialogisch, mal berührend. Für Ostalgie ist bei ihm jedenfalls kein Platz. So führt er gleich zu Beginn auch die stärkste Nebenfigur seines Romans ein:
    "Im Kreis Sewliewo schleicht eine alte Frau mit einem Kassettenrekorder aus dem Haus. Wie jede Nacht seit zehn Jahren. Zitternd hält sie das Gerät vor die Brust, sie drückt die Aufnahmetaste, sie achtet darauf, keinen Laut von sich zu geben, keinen Seufzer, kein Stöhnen, um die Stimmen nicht zu stören. Ihr Bruder wurde abgeholt, in den grauen Morgenstunden, er ist nicht zurückgekehrt. Er spricht zu ihr, dessen ist sich die Frau sicher. Er war gesellig, ihr verschwundener älterer Bruder, er hat Gefährten um sich geschart, die ebenfalls ungehört blieben, würde seine Schwester nicht jede Nacht mit dem Kassettenrekorder in der Hand im Hof stehen, so reglos es ihr nur möglich ist, um die Stimmen nicht zu verschrecken, die so lange stumm geblieben sind. Einmal im Monat hält ihr Sohn vor dem knarzenden Haus, steigt die Stufen hinauf, in der Linken eine Plastiktüte voller Leerkassetten."
    Zentrales Thema: Hass zwischen Metodi und Konstantin
    Die meisten Kapitel des Romans "Macht und Widerstand" tragen als Titel "Metodi" oder "Konstantin". Seit ihrer Schulzeit in einer bulgarischen Kleinstadt hassen sie sich: der Ex-Stasi-Offizier Metodi Popow, der seit dem Zusammenbruch des Kommunismus als Geschäftsmann bestens weiterverdient, und der einstige Regimegegner und Langzeithäftling Konstantin Scheitanow. Beide befinden sich 1999 im Rentenalter. Wird sich der Gefolterte jetzt noch an seinem Folterer rächen? Der eine lebt in bescheidensten Verhältnissen, der andere genießt seinen Wohlstand.
    "In einer Wohnung im 14. Stock in einer Trabantenstadt in einem Satellitenstaat. Der Preis: früher zehn Jahre Wartezeit, heute 10.000 Dollar. Ausblick auf unzählige Plattenbauten. Nach Norden hin die Ausläufer des Plana-Gebirges, im Süden der kapitale Berg, an seinen Hängen eine Villa, digital befestigt, Sicherheit am Bau. Eine enge Wohnung, eine geräumige Villa. Zwei alte Männer, die alle Quittungen des Lebens aufbewahrt haben. Im Kopf abgespeichert, abgelegt in den Akten. Das Jahrhundert schmilzt dahin, unter der Zunge klebt ein Streifen bitteren Bonbons, lieb Vaterland, eine Leiter ohne Sprossen, du Paradies auf Erden, unter Bockshornklee harren Leichen der Lüftung, deine Pracht kennt keine Grenzen."
    Es gibt zwei Versionen der bulgarischen Vergangenheit seit dem Zweiten Weltkrieg: die kommunistische und die anti-kommunistische. Beide werden in Rückblenden vorgeführt. Das lebenslange Duell zwischen Metodi und Konstantin liefert die Grundstruktur des Romans. Ilija Trojanow konfrontiert uns mit dem, was zwischen zwei Menschen möglich ist, die aus hartnäckiger Überzeugung handeln. Konstantin durchforstet nach der Öffnung der Stasi-Archive die wenigen zugänglichen Akten wie besessen nach Verrätern. Etliche Originaldokumente werden, vom Druckbild her deutlich abgesetzt, im Roman zitiert: Denunziationen, Abhörprotokolle, Personenlisten, Observierungsberichte, interner Schriftverkehr, et cetera. Konstantin, der jahrzehntelang von der bulgarischen Staatssicherheit Gegängelte, will endlich in die Rolle des Jägers schlüpfen.
    Der bulgarische Schriftsteller Ilija Trojanow.
    Der bulgarische Schriftsteller Ilija Trojanow. (picture-allianc / dpa / Jens Kalaene)
    "Die Täter von einst sind weiterhin in Amt und Würden oder als Businessmänner erfolgreich oder bequem pensioniert oder ehrenvoll begraben. Sie haben sich keiner der schwärenden Fragen stellen müssen. Kein Einziger von ihnen wurde konfrontiert mit den Taten, die im Schatten seiner Selbstrechtfertigung verborgen liegen. Viele Erwartungen habe ich in den letzten zehn Jahren zurücknehmen, viele Hoffnungen begraben müssen. Im Widerstand lernt man Geduld. Ich verfasse einen Beschwerdebrief an das Amt für "Information und Archiv", in dem ich meine Forderung bekräftige, mir gemäß dem im Jahr zuvor verabschiedeten Gesetz Einsicht in die Dokumente aller operativen Vorgänge der Staatssicherheit gegen meine Person zu gewähren. Den Brief verschicke ich per Einschreiben. Ich zähle auf: Die Monate in Untersuchungshaft, die Jahre im Gefängnis, im Lager, die Jahrzehnte unter Beobachtung von Agenten, von Denunzianten, die Anhaltspunkte, dass ich weiterhin überwacht werde. Irgendwo werden Akten über dieses halbe Jahrhundert aufbewahrt. In irgendwelchen Karteikästen befindet sich eine andere Version meines Lebens, eine Bürografie voller Unterstellungen, ein gut abgehangenes Fehlurteil. Wenn ich akzeptiere, dass meine Sicht der Ereignisse unsichtbar bleibt, wenn ich sterbe, bevor mein Widerspruch öffentlich vernommen wird, wird die Sicht der Täter unangefochten weiterherrschen. Für alle Ewigkeit."
    Konstantin ist besessen von der Rache
    Anders als die zermürbten Knastveteranen, die Konstantin jeden Mittwoch im Café trifft, ist er besessen von dem Gedanken, einen Rest Gerechtigkeit wiederherstellen zu können. Nur diese Besessenheit hat ihn Folter und Einzelhaft überleben lassen, nachdem er 1953 für den Sprengstoffanschlag auf ein Stalin-Denkmal zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war. Sein heroisches Lebensmotto lautet:
    "Du hast keine Überzeugung, wenn du nicht bereit bist, für sie zu sterben."
    Bei Metodi Popow, dem großen Widersacher, herrscht dagegen eitel Sonnenschein. Mit seinen Stasi-Kameraden von einst hält er auch den neuen, pseudo-demokratischen Staat im Würgegriff: Durch die Kontrolle über brisante Akten, mit denen fast alle aufstrebenden Politiker erpressbar sind. Doch Metodis polternde, mit vulgär-sarkastischem Offiziershumor durchtränkte Selbstgefälligkeit erhält einen Dämpfer. 1999 wendet sich eine Frau an ihn, die vorgibt, seine Tochter zu sein. Ihre verstorbene Mutter, sagt sie, habe zu den Häftlingen eines Frauengefängnisses gehört, das berüchtigt war für seine Brutalitäten und Exzesse.
    "Welcher Teufel hinkt da aus dem Schatten? Schnell nachgerechnet, Winter '61/62, als Inspektor unterwegs, im ganzen Land, na und, was soll das? Eine Falle, ein Angriff aus dem Hinterhalt? Eine Verrückte? Die Demokratie bringt ja immer mehr Leute um den Verstand. Handelt sie allein oder steht jemand hinter ihr? Will sie mir unterschieben, ich habe mich an ihrer Mutter vergriffen? Will mich jemand auf diese hinterfotzige Weise aus dem Hohen Parteirat entfernen? Gibt so einige, die halten mich für einen Ewiggestrigen. Verziehen die Visage, wenn ich auf unsere altgewachsenen Beziehungen zu Moskau hinweise. Verdammt, wieso kann ich mich nicht erinnern? Seit Tagen zerbrech ich mir den Kopf und – nichts. Wenn du das Gedächtnis brauchst, verkriecht es sich. Das ist ja ein Ding. Mit einem Schlag Vater. Kann das überhaupt sein? Ein Geschenk vorab zum Siebzigsten. Es kann nicht sein. Oder? Auf der Hut, Meto, auf der Hut. Alle Möglichkeiten abklopfen. '61/62, das waren gute Jahre, starke Jahre, meine Triebwerke liefen wie geschmiert, mit Schwung und Kraft, die Karriere steil nach oben. Ich musste nur die Hand ausstrecken, schon fiel mir eine Süße in den Arm. "
    Metodi als opportunistischer Karrierist
    Die Möglichkeit, Vater zu sein, verunsichert und emotionalisiert Metodi. Gleichzeitig setzt ihn die Forderung der Frau, einen Vaterschaftstest durchführen zu lassen, unter Druck. Denn seine Ehefrau, früher Sekretärin des Staatschefs, dürfte nicht begeistert über die Neuigkeit sein. In aller Drastik führt uns Ilija Trojanow vor, wie ein machtbewusstes Gehirn funktioniert, wenn Gefahr droht. Es orientiert sich an den Stresssituationen der Vergangenheit, an der langgeübten Maschinerie der Selbstrechtfertigungen. Immer wieder hat es Metodi verstanden, seine Strategien dem Zeitgeist anzupassen. Besonders stolz ist der hemdsärmelige, zutiefst opportunistische Karrierist auf seine Stärke als Folterer. Denn er hat die Rezepte zur "Behandlung eines Rechtsabweichlers" immer strengstens befolgt. Daher sein interner Spitzname: "Michelangelo des Verhörs".
    "Entscheidend ist das Prinzip im Kopf: den physiologischen, physikalischen und psychologischen Druck aufrechterhalten. Befolge den Dreistufenplan: "n der ersten Phase Isolation und Reduktion. Die erfahrenen Kameraden nannten es "marinieren". Die Belastung kontinuierlich erhöhen. Mit den vorformulierten Fragen operieren. Wiederholen, wiederholen, wiederholen. Die Wiederholung ist das Gleitmittel der Ermittlung. Disziplin, darauf kommt es an, wie in allen Bereichen des Lebens. Das war meine Stärke."
    In der dritten Phase des Verhörs war der Häftling dann nackt. Schonungslos und detailliert beschreibt Ilija Trojanow in seinem Roman "Macht und Widerstand" die Zermürbungstaktiken der Staatssicherheit. Ihr Ziel war die totale Kapitulation des Häftlings, damit er schon im Gefängnis als Spitzel einsetzbar war. In jeder Zelle saß ein Mithäftling, der die anderen ausspionierte, wie Konstantin aus den Akten erfährt. Eine Schlüsselszene des Romans ist der Moment, als er in die Psychiatrie verlegt wird. Von einem Professor wird er Studenten als Fallbeispiel eines notorisch renitenten, unerziehbaren Häftlings präsentiert. Doch anders als der Professor hat Konstantin im Gefängnis die Werke von Marx, Engels und Lenin von vorne bis hinten gelesen, ja, auswendig gelernt. Denn andere Lektüre gab es nicht. Vor den versammelten Psychiatern und Studenten erklärt er mit einem Lenin-Zitat, warum auch das realsozialistische System kapitalistisch sei – und zwar staatskapitalistisch.
    "Das Staatseigentum ist das kollektive Eigentum einer neuen Herrschaftsklasse. Wem es zugutekommt, kann man leicht feststellen, indem man folgende Fragen beantwortet: Wer verfügt über das Eigentum, wer verteilt die Erträge, wer stellt die Arbeitenden ein, wer bestimmt die Löhne? Wer entscheidet über die Schließung von alten und die Eröffnung von neuen Produktionsstätten? Mit anderen Worten: Wer regiert, wer verbraucht, wer missbraucht?"
    Ende des Romans bleibt unvorhersehbar
    Auf wenigen Seiten zerpflückt Konstantin die Absurditäten des von der Partei diktierten Weltbilds – obwohl er genau weiß, dass man ihn für die intellektuelle Demontage des Psychologie-Professors hart bestrafen wird. Ilija Trojanow stimmt hier das Loblied auf den selbstlosen Widerstand gegen staatliche Strukturen an, die nur dem Machterhalt der herrschenden Kaste dienen. Doch beeinträchtigt dieses Loblied nicht die Spannung des Romans. Denn das Ende bleibt unvorhersehbar. Muss der Ex-Stasi-Offizier Metodi im demokratischen Staat für seine Taten gerade stehen? Kann man sie ihm überhaupt nachweisen? Und: Welche Spielräume öffnen sich für die Gemarterten von einst? Haben sie überhaupt noch die Kraft dazu, sich zu rächen?
    Konstantin, dieser Held mit Sisyphus-Mentalität, nährt unsere Sehnsucht nach einem Happy-End. Neben seinem zähen politischen Kampf beleuchtet der Roman auch seine Privatsphäre. Über Hunderte von Seiten lässt Ilija Trojanow - ganz nebenbei - eine rührende, von winzigen Gesten geprägte Liebesgeschichte mit der Flurnachbarin im Plattenbau köcheln. In der Krankenschwester Dora findet der Geschundene eine Gefährtin, die seine Manien und Verstörtheiten erträgt und vorsichtige Fragen nach der Vergangenheit stellt.
    "Es hat sich von allein ergeben. Dora hatte Kakerlaken in der Wohnung, einer ihrer Cousins versprach, sie zu entfernen, aber sie müsse einige Tage ausziehen, um für Durchzug zu sorgen, dürften die Fenster nicht geschlossen werden, damit das Gift sich verziehen könne. Ich lud sie ein, bei mir zu bleiben. Ich bot ihr das ausklappbare Sofa im Wohnzimmer an oder ... mein Bett. Sie wählte mein Bett. Sie legte sich hin in ihrem Morgenmantel, sie sah mich erwartungslos an. Ich küsste sie auf den Mund, dann sagte ich ihr, was ich ihr sagen musste. Von den Folgen der Folter oder den Folgen des Karzers oder den Folgen von oder von oder von oder. Ich vertraute ihr meine Unfähigkeit an, die nicht nur auf mir lastet, sondern auch auf anderen ehemaligen Häftlingen. Wenn sie enttäuscht ist, zeigt sie es nicht.
    - "Umarmen kannst du mich aber, oder?"
    - "Außerdem, ich schnarche."
    - "Ich dachte, du liegst die ganze Nacht wach."
    - "Das Schnarchen ist das Einzige, was mir vom Schlaf übrig geblieben ist".
    Sie lacht, mit dem ganzen Körper. Das Lachen ist in mein Bett zurückgekehrt. Dank der Kakerlaken."
    Wie das Duell zwischen dem Ex-Stasi-Offizier Metodi Popow und dem von ihm gefolterten Konstantin Scheitanow endet, sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Nur so viel: Einen Showdown made in Hollywood mutet uns Ilija Trojanow nicht zu. Auch sein Finale spiegelt, wie der ganze Roman, die gesellschaftlichen Realitäten und Möglichkeiten Bulgariens. Bis zuletzt sorgen die Sprünge kreuz und quer durch das Zeitfenster zwischen 1944 und 2007 für Hochspannung. Denn nicht nur die Organe der Staatssicherheit haben Geheimnisse gehortet, sondern auch die beiden Kontrahenten. Für sie hat Ilija Trojanow in den inneren Monologen eine ganz eigene Sprache entworfen hat, eine Sprache, die indirekt auch Psychogramm ist.
    "Macht und Widerstand" ist ein vielstimmiger, intelligent strukturierter, passagenweise brillant geschriebener Roman. Er sollte gerade Leser unter 30 Jahren interessieren, für die der realexistierende Sozialismus ein unbeschriebenes Blatt ist. Zum einen führt Ilija Trojanow vor, mit welchen Gewalt- und Rechtfertigungsstrategien Diktaturen operieren. Zum anderen plädiert er für ein permanentes Misstrauen, für eine stärkere Bereitschaft zum Widerstand – und sei er nur verbal. Denn, so die unterschwellige Botschaft: Auch Staaten mit dem Etikett Demokratie sind oft nur Pseudo-Demokratien. Konstantin wirft da Fragen auf, die auch uns betreffen.
    Buchinfos:
    Ilja Trojanow: "Macht und Widerstand" Roman
    S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015, Preis: 19,90 Euro