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Rückkehrrecht in Vollzeit
"Es geht um Arbeitszeit, die zum Leben passt"

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat einen Gesetzesentwurf für das Rückkehrrecht von Teilzeit- in Vollzeitarbeit für Arbeitnehmer vorgelegt. Es müsse möglich sein, "Brücken zu bauen zu den eigenen Lebensplänen", sagte Heil im Dlf. Das sei auch wichtig, um Altersarmut zu vermeiden.

Hubertus Heil im Gespräch mit Christine Heuer |
    Mann mit schwarzen Haaren in Anzug und Krawatte spricht gestikulierend an einem Rednerpult des Deutschen Bundestages
    Hubertus Heil (SPD), Arbeitsminister, spricht im Deutschen Bundestag (dpa)
    Christine Heuer: Ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit, das gibt es schon für junge Eltern zum Beispiel oder für Arbeitnehmer, die Familienangehörige pflegen. Die SPD möchte aber, dass möglichst alle Beschäftigten in deutschen Unternehmen dieses Recht haben – generell, nicht nur in bestimmten definierten Lebenssituationen. Und die neue Große Koalition hat den Plan dann auch in ihren Regierungsvertrag geschrieben. Jetzt ist es soweit: Der Bundesarbeitsminister von der SPD hat seinen Gesetzentwurf zur befristeten Teilzeit geschrieben. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Hubertus Heil!
    Hubertus Heil: Schönen guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Heuer: Rückkehr von Teil- in Vollzeit – für wen soll das gelten?
    Heil: Es geht um Arbeitszeit, die zum Leben passt, und das ist für Menschen ein ganz entscheidender Wert. Sie haben es ja beschrieben. Es gibt Lebenssituationen von Elternzeit, Pflegezeit und Familienzeit, in der Beschäftigte jetzt schon die Möglichkeit haben, Arbeitszeit zu reduzieren. Wir wollen, dass diese Möglichkeit jetzt geöffnet wird. Wir wollen, dass es möglich ist, Brücken zu bauen zu den eigenen Lebensplänen, zu Lebenslagen. Da geht es um die Brücke ins Ehrenamt, in die Weiterbildung, in die Verwirklichung eigener Ziele und zurück auch in Vollzeit. Das wird ganz konkret Frauen und Männern helfen, die jetzt zum Teil noch in der Teilzeitfalle sind, das heißt, die in Teilzeit sind, aber kein Rückkehrrecht haben. Und es geht um ein zukünftiges Recht für Neuverträge für befristete Teilzeit. Das steht allen Beschäftigten als Recht offen. Ab Betrieben mit 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern soll es diese Möglichkeit geben. Natürlich gibt es Notwendigkeiten, auch immer zu gucken, wie das betriebswirtschaftlich in Unternehmen umzusetzen ist, denn das kann Unternehmen auch überfordern. Aber den Rechtsanspruch werden wir schaffen.
    "Es gelten für den Rechtsanspruch ein paar Voraussetzungen"
    Heuer: Haben Sie denn Erkenntnisse darüber, wie viele Arbeitnehmer diese neue Brücke, die Sie da bauen, beschreiten wollen?
    Heil: Ja. Fast eine Million Beschäftigte möchten laut des berühmten Mikrozensus einer Untersuchung ihre Arbeitszeit reduzieren. Ich sage das mal so: Es muss um Arbeit gehen, die zum Leben passt, und deshalb wollen wir die Brückenteilzeit schaffen. Es gibt Phasen im Leben, in denen will man ein Stück runterfahren. Es gibt andere Phasen, in denen will man Vollgas geben. Das ist auch wichtig übrigens, um Altersarmut zu vermeiden, dass Vollzeit wieder möglich ist, um höhere Anwartschaften später in der Rente zu haben. Das hat auch was mit dem Familieneinkommen und Auskommen zu tun. Und wir schaffen jetzt beides, einen Rechtsanspruch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Flexibilität und Planungssicherheit auch für die Unternehmen.
    Heuer: Das ist eine tolle Nachricht. Ich dürfte jetzt zum Beispiel von Teil- in Vollzeit wechseln und zurück, wie es mir gefällt. In welchem Fall, Herr Heil, dürfte ich es denn nicht?
    Heil: Es gelten tatsächlich für den Rechtsanspruch ein paar Voraussetzungen. Der Arbeitgeber hat mehr als 45 Beschäftigte. Das Arbeitsverhältnis besteht länger als sechs Monate. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen einen Antrag stellen beim Arbeitgeber, die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von Vollzeit oder bisheriger Teilzeit für einen bestimmten Zeitraum, der zwischen einem und fünf Jahren liegt, zu verringern. Und es muss keine bestimmten Gründe geben. Sie müssen nicht sagen, das ist jetzt wegen Kindererziehung und Pflege, sondern das ist dann Ihre freie Motivation. Das sind ein paar von den Antragsvoraussetzungen, die da sind, weil das natürlich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auch geklärt werden muss. Ich glaube, dass viele Arbeitgeber diesen Weg auch richtig finden. Wenn man Arbeitszeitflexibilität für seine Beschäftigten ermöglichen kann und wenn man es ermöglicht, bindet man auch gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist auch in Zeiten von Fachkräftesicherung ein ganz wichtiger Wert.
    Heuer: Herr Heil, aber gerade aus den Unternehmen kommt ja mächtig Kritik an Ihren Plänen. Die sagen nämlich, das klären wir am besten selber mit den Arbeitnehmern, und alleine der bürokratische Aufwand, den Sie schon zumuten, der sei viel zu hoch.
    Heil: Ja, das hört man aus Verbänden. Aber aus der Praxis vieler Unternehmen habe ich andere Erfahrungen. Die wissen, dass es vernünftig ist, wo immer das auch möglich ist. Und jetzt ist es gut, dass wir klare Regeln dafür schaffen, wie man da auch miteinander umgeht. Es geht tatsächlich ja darum, dass es ein Recht gibt, heutzutage schon in Teilzeit zu gehen. Aber der andere Weg, die Brücke in Vollzeit, muss auch möglich werden, und diesen Weg öffnen wir jetzt.
    Heuer: Aber dann sagen Sie ja, dass die Verbände gar nicht die Unternehmen und deren Interessen vertreten. Täuschen die sich?
    Heil: Na ja. Ich erlebe hin und wieder, dass diese Diskussion tatsächlich mit einem Fokus auf Randerscheinungen getroffen wird. Es gab ja schon Diskussionen auch am Ende der letzten Legislaturperiode. Ich finde, jetzt haben wir einen sehr ausgewogenen Gesetzentwurf. Der berücksichtigt auch, dass wir unternehmen nicht überfordern, vor allen Dingen Kleinstunternehmen. Da das aber ohnehin so ist, dass die meisten Teilzeitfälle in größeren oder mittelgroßen Unternehmen sind, ist es vernünftig, da auch einen Fokus zu setzen. Und die schaffen das auch in einem veränderten Arbeitsmarkt. Diese Spielregeln, die wir jetzt aufstellen, gelten für beide Seiten. Die überfordern niemanden, aber schaffen vielen, vielen Menschen eine Chance, flexibel im Leben die Arbeitszeit so zu organisieren, dass sie zum Leben passt. Und Arbeit und Leben in Ausgleich zu bringen, muss doch ein Ansatz sein für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
    "In Kleinstbetrieben schwierig"
    Heuer: Aber viele andere Arbeitnehmer könnte das ja auch belasten. Wenn einer Teilzeit arbeitet, dann müssen andere einspringen. Sollen denn Arbeitnehmer dann eingestellt und wieder entlassen werden, wenn der Rückkehrer es so will?
    Heil: Es gibt ja in vielen Bereichen die Situation, dass es heute schon Modelle gibt, dass Menschen reduzieren auf Teilzeit. Diesen Rechtsanspruch gibt es jetzt schon und dazu müssen dann in Unternehmen auch Ausgleiche geschaffen werden. Das kann man aber fair miteinander organisieren. Dafür haben wir die entsprechenden Möglichkeiten geschaffen, diese Anträge zu stellen. Das muss sich der betrieblichen Wirklichkeit stellen. Ich habe vorhin gesagt, in Kleinstbetrieben ist das schwierig, aber in größeren Unternehmen ist das durchaus zu leisten.
    Heuer: Aber, Herr Heil, wie schützen Sie denn, ich sage jetzt mal, die Ausputzer, also diejenigen, die in die Bresche springen, und dann, wenn der Teilzeitarbeitnehmer wieder in Vollzeit gehen will, einfach nicht mehr benötigt werden? Was ist denn mit denen?
    Heil: Aber diese Flexibilitäten gibt es in den vernünftigen Personalplanungen vieler Unternehmen schon heute.
    Heuer: Aber noch nicht in dem Ausmaß, das Sie jetzt ermöglichen!
    Heil: Ja, in Richtung Teilzeit schon ganz massiv. Diese Fälle gibt es schon. Im Rückkehrrecht auf Vollzeit schaffen wir die Möglichkeit dadurch, dass es ganz klar ist, dass es Planungssicherheit gibt, wie viele Jahre das ergibt, tatsächlich auch Planungssicherheit für die Unternehmen, Fluktuationen im Unternehmen zu organisieren, wenn beispielsweise Kolleginnen und Kollegen aus Altersgründen ausscheiden. Das ist in Betrieben organisierbar, wie gesagt mit den vernünftigen Regelungen, mit der Tatsache, dass man rechtzeitig weiß, wann man das anmeldet, mit der Möglichkeit, auch zu sagen, es geht aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht. Da kann ein Unternehmen auch widersprechen. Aber mit dem prinzipiellen Recht für alle, diesen Antrag zu stellen, das auch auszuhandeln und für eine längere Periode den einen oder anderen Weg zu gehen, ich glaube, das ist an der Lebenswirklichkeit sehr orientiert.
    Heuer: Sie haben ja auch erwähnt, dass Sie Einschränkungen haben für kleinere Unternehmen. Und zwar sagen Sie: Bei Betrieben zwischen 45 und 200 Stellen, da darf nur einer von 15 Angestellten sein Rückkehrrecht wahrnehmen. Ist das nicht furchtbar ungerecht, Herr Heil?
    Heil: Wie gesagt, das ist ein Kompromiss gewesen, den wir ausgehandelt haben in der Koalition, der sozusagen drei Level schafft: Kleinstunternehmen, in denen es sehr schwierig ist, das Ganze umzusetzen, also unterhalb von 45 Beschäftigten, dann eine Zone von 45 bis 200, in denen tatsächlich der Rechtsanspruch aufgrund der Größe des Betriebes einer von 15 ausgeübt werden kann. Und bei größeren Unternehmen, bei denen es einfacher ist. Das ist, glaube ich, ein fairer Kompromiss, der der Lebensrealität auch von Unternehmen und Beschäftigten entspricht. Aber er schafft das Recht für alle, einen Antrag zu stellen, in diese Situation zu kommen. Und ich glaube, das ist eine faire Chance.
    "Wer früher einen Antrag stellt, hat eher die Möglichkeit"
    Heuer: Und wer zuerst kommt malt zuerst?
    Heil: Nein! Es gilt dann natürlich zu gucken, aus welchen Gründen das ist. Aber richtig ist: Wer früher einen Antrag stellt, hat eher die Möglichkeit. Das ist ganz einfach so. Dann werden wir über die Möglichkeiten reden, unter denen man tatsächlich das in Anspruch nehmen kann. Das ist so, das gibt es auch in anderen Fällen des Lebens, dass man frühzeitig sich melden muss, dann hat man bessere Chancen. Aber es gibt auch ein paar andere Kriterien im Gesetz, über die dann zu reden sein wird bei der Auswahl, wer zum Zuge kommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.