"Wir gehen jetzt zum Roma-Slum in Citreag. Und wir haben da einige Familien, die wir betreuen. Und jetzt besuchen wir die Heini. Das ist eine junge Mutter mit drei Kindern. Sie ist noch keine 20 und schauen mal, wie die wohnt."
Zu Fuß unterwegs im rumänischen Citreag. Stefan Zell aus Bad Saulgau zeigt auf die Gebäude am Wegesrand, die mehr Behausungen denn Häuser sind: Mal fehlen Türen und Fenster, mal finden sich Müllberge und Kartoffelhaufen vor den Eingängen.
"Wo ist Heini? Wo ist Heini? Hallo?"
Heini, eine junge Frau Anfang 20, winkt stumm mit einer Handbewegung herein. Um sie herum: Ihre Kinder - zwei, drei und fünf Jahre alt. Heidi Haller,neben Stefan Zell die zweite Helferin aus Oberschwaben, schaut erschrocken auf das, was mal ein Fenster war.
"Ihr Mann hat die Scheibe eingeschlagen. Sie hat ein Mann, der sie sehr schlecht behandelt. Sie kommt immer wieder mit einem blauen Auge, total zugeschwollen."
Gleich nebenan: nicht minder schlimme Zustände. Renata, eine junge Frau, hält ihren kleinen Sohn Katalin auf dem Arm. Renata ist eines von zwölf Kindern einer Roma-Familie aus Cidreeag. Sie spricht ein wenig Deutsch. Denn sie war schon mal in Deutschland.
"In Trier, ja. Arbeiten. Putzen."
Und jetzt, sagt Renata, müsse sie wieder weg, Geld verdienen für sich und ihr Kind. Das bleibt zurück, zusammen mit vielen anderen Mädchen und Jungen. Wer, fragt sich Renata, wer nur kümmert sich um die Kleinen, wenn die Erwachsenen alle fort sind, zum Arbeiten?
"Buki ist eine Brücke zwischen dem Roma-Slum und der örtlichen Schule"
"Und alle Kinder bleiben zu Hause. Meine Schwester, diese kleine Roxy, geht auch Arbeiten. Und was machen die Kinder hier? Aber alle müssen essen. Das ist teuer, normal."
Lebenswirklichkeit in Cidreag, ein kleines Dorf im rumänischen Landkreis Satu Mare, nur einen Steinwurf von der Grenze zur Ukraine entfernt: Doch es gibt dort noch ein anderes Leben - das im sogenannten "Buki-Haus", das der gleichnamige Hilfsverein aus Bad Saulgau vor acht Jahren eingerichtet hat: Seien es nun die Kinder aus dem Roma-Slum oder aus den bessergestellten Familien im Dorf: Gemeinsam singen sie zusammen, und gemeinsam lernen sie zusammen - manchmal sogar ein paar Bröckchen Deutsch:
"Wie geht es dir? Auch gut!"
Das "Buki-Haus" ist eine Erfindung aus Oberschwaben. Genauer gesagt: Eine Erfindung eines gleichnamigen Vereins aus Bad Saulgau. An der Spitze stehen Heidi Haller und Stefan Zell, die fast ihren ganzen Urlaub im Buki-Haus verbringen - und den Kindern das vermitteln, was sie nirgendwo sonstbekommen: nahrhaftes Essen und Bildung.
"Buki ist eine Brücke zwischen dem Roma-Slum und der örtlichen Schule. Die Kinder sprechen Romanes. Die Kinder verstehen nichts, wenn sie in die Schule gehen. Es gibt keine Sprachförderung. Sie wissen nicht, was ein Stift ist: Viele kennen die Zeit nicht. Wenn halt um halb acht Schulbeginn ist, dann kommen die Kinder nicht um halb acht, sondern vielleicht um neun und zehn. Und sie haben Schwierigkeiten, längere Zeit auf dem Stuhl zu sitzen. Und Buki federt genau diese Defizite ab."
"Und wer ist ein Junge? Ich bin ein Junge - Wow!"
Dabei ist der Deutschunterricht nur einer von vielen Aspekten: Im "Buki-Haus" in der Ortsmitte von Cidreag lernen die Kinder das Rüstzeug für die Bewältigung der Zukunft. Und das fängt schon am frühen Morgen an.
"Bei Buki gibt's morgens ein Frühstück. Ein Kind, das hungrig ist, kann auch nicht lernen. Wir machen Sprachförderung. Die Kinder werden auf dem Weg zur Schule begleitet. Sie bekommen hier eine Tagesstruktur. Wir betreuen sie medizinisch. Das sind viele ganz, ganz wichtige Punkte, die letztendlich entscheidend dafür sind, dass die Kinder in de Schule letztlich erfolgreich sind."
"Wir haben uns alle lieb. Guten Appetit!"
Wenn die Kinder mit glänzenden Augen an dem viereckigen Tisch im "Buki-Haus" sitzen, wie auf Kommando zu Messer und Gabel greifen, um die frisch gekochten Nudeln zu schöpfen, freuen sich auch die Helfer der oberschwäbischen "Buki-Hilfe." "Buki" - das leitet sich ursprünglich von "Kinderhilfe Bulgarien" ab. Doch seit 2008 reisen Stefan Zell, Vorsitzender des gleichnamigen Hilfsvereins aus Bad Saulgau, und die vielen anderen Helfer aus Oberschwaben ins rumänische Cidreag, haben den Namen ihrer Organisation aber beibehalten.
Strenge Hierarchien in der Roma-Gemeinde
"Wo wohnst Du? Ich komme aus Cidreag."
Stefan Zell, Anfang 50, hat sichtlich Freude daran, mit den Kleinen mal zu lernen, mal herumzutollen. So spielend die Arbeit hier erscheint - einfach ist sie nicht. Oftmals fangen die Probleme schon im Dorf selbst an.
"Innerhalb der Roma-Gemeinde gibt es ein ganz klares oben und unten. Und nicht jeder Roma wird vom anderen Roma in gleicher Weise akzeptiert. Und die Familie sind eben am unteren Ende der Hierarchie und der sozialen Einstufung. Und das mussten wir im Haus schon auch kennenlernen, weil die Slum-Kinder von den Familien eines besseren Standes eben abgelehnt werden."
Beim Sommerfest im Buki-Haus gibt es jedenfalls keine Standesdünkel mehr: Kinder aus armen Verhältnissen üben sich mit denen aus den sogenannten besseren Familien ganz unbedarft mal im Sackhüpfen, mal im Trampolinspringen. Allerdings bleiben die Helfer aus Oberschwaben mit den Kindern und den Eltern unter sich: Wieder mal kein Bürgermeister, der vorbeischaut. Unterstützung durch die rumänischen Behörden: Fehlanzeige. Und auch über die Europäische Union, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Not der Sinti und Roma in Südosteuropa hinweist, ist Stefan Hell aus Bad Saulgau enttäuscht. Einen Förderantrag hat er zwar gestellt. Aber:
"Lange Rede, kurzer Sinn: Der Förderantrag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass der Punkt der Trinationalität nicht erfüllt sei. Trinationalität heißt, dass ein Projektpartner aus einem dritten EU-Staat auch noch an dieser Förderung teilnehmen muss.Und mit der Ablehnung hat sich eigentlich niemand mehr für unser Projekt interessiert. Das fand ich sehr schade."
Dadurch lassen sich die Leute der Buki-Hilfe Bad Saulgau aber nicht entmutigen.Versonnen blickt Heidi Haller, mit ihrem roten Lockenkopf und ihrem Somersprossengesicht eine Art 'Ersatz-Mama' für viele der Kinder, auf das bunte Treiben vor dem Buki-Haus. Was wird hier wohl sein in ein paar Jahren? Oder gar in Jahrzehnten?
"Also ich wünsche mir für das Projekt, dass die Kinder einfach eine Chance kriegen, auf Schulbildung, auf eine Ausbildung, einfach auf ein ganz normales Leben wie wir auch. Und dass sie uns dann vielleicht gar nicht mehr brauchen. Das wär' mein Wunsch."