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Russisches Netzwerk VK.com
Sammelbecken für Facebook-Hetzer

"Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" - damit werden viele fremdenfeindliche Äußerungen in sozialen Netzwerken gerechtfertigt. Doch auf Facebook darf man mittlerweile einiges nicht mehr sagen: Das Soziale Netzwerk geht gegen solche Postings vor und sperrt mitunter auch Nutzer. Die haben für ihre Hetze einen neuen Ort gefunden: das russische Netzwerk "VKontaktje".

Von Christian Alt |
    Startseite des russischen sozialen Netzwerks vk.vom
    Startseite des russischen sozialen Netzwerks vk.vom (Deutschlandradio/Charlotte Voß)
    Vor einigen Wochen stolpere ich über folgenden Facebook-Post:
    "Junge Mädchen zu vergewaltigen und dann zu Döner verarbeiten ist nicht neu. Das gibt es auch in Deutschland. Ich bin solche Täter schon fünf Jahre im Netz auf der Spur. Bilder von diesen Schlachtungen habe ich auch. Die darf ich hier nicht zeigen bei FB. Bei VK geht es da habe ich schon einige drin. Deswegen kommt zu VK. www.vk.com"
    Verfasser des Posts ist Erwin P., ein Nürnberger mit dem Logo der NPD als Profilbild. Seine Botschaft: Auch Facebook, das seit neustem Hass-Kommentare löscht, gehört schon längst zur Systemmedien. Die Wahrheit, die gibt es nur beim russischen Facebook-Klon "VKontaktje", der in Deutschland aber immer nur "Vkontakte" genannt wird. Mehr als 240 Millionen Nutzer hat das Netzwerk auf der ganzen Welt. Fünf Minuten später hat es eins mehr: Ich besuche Erwin bei VKontakte.
    "Ich bin bei Facebook vier Wochen gesperrt"
    Es folgt der erste Schock: Meine Güte, sieht das altbacken aus - wie StudiVZ vor zehn Jahren. Erwin ist schnell gefunden. Seine Nähe zur NPD verschweigt er auch auf VKontakte nicht. Warum auch? Die Seite fühlt sich an wie eine dreckige Stadt im Wilden Westen - ohne Sheriff. Community Standards gibt es hier zwar auch, aber es scheint sich niemand dafür zu interessieren, was hier gepostet wird. NPD-Erwin hat auf seiner Seite ein zweitgeteiltes Bild mit dem Titel "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" – unten sind die schlechten Zeiten: das üble Merkelregime, oben die guten Zeiten: Hitler, der vor einer Hakenkreuzflagge den Blick über das tausendjährige Reich streifen lässt. Unter dem Hitlerbild Erwins Kommentar zur Kölner Silvesternacht:
    "Bei dem wurden keine Frauen angefasst. Und wenn der war ganz schnell wo anders."
    Und auch die Bilder der Dönerkannibalen hab ich schnell gefunden. Überschrift:
    "Hier werden junge Mädchen geschlachtet. Das alles in Deutschland."
    Ich sehe tatsächlich nacktes Fleisch und einen abgetrennten Arm. Nur spielt "das alles" nicht in Deutschland. Eine schnelle Recherche per Rückwärtssuche verrät: Die Bilder kursieren schon mindestens seit 2009 im Netz und zeigen keinen Dönerladen in Berlin-Hellersdorf, sondern vermutlich einen thailändischen Anatomiekurs. Oder wie es einer der Kommentatoren auf Erwins Seite zusammenfasst:
    "Wie blöd kann man eigentlich sein?"
    Ein paar VK-Posts später wird es richtig spannend. Unter einem Schild in Frakturschrift - "Vorsicht bei Facebook, Feind liest mit" - erzählt Erwin wie er bei Facebook rausgeflogen ist.
    "Ich bin bei FB wieder 4 Wochen gesperrt. Im Dez. 2 mal 1 Woche. Dann 4 Wochen. Im Jan. war es 1 Woche frei und jetzt wieder 4 Wochen Sperre."
    42 Likes gibt es dafür - und fast jeder Kommentator hat eine ähnliche Geschichte zu erzählen: Jeder ist hier ein Facebook-Flüchtling und sucht in Russland Asyl. Ein Nutzer namens Manfred kommentiert:
    "VKontakte ist die einzige Alternative."
    Möglichst viele "Volksgenossen" auf die Plattform bringen
    Manfred ist ein echter Promi unter den Netznazis. Am 27. Dezember veröffentlichte Manfred noch auf Facebook ein Bild von sich: Mit grauen Haaren, Seitenscheitel, dickem Schnurrbart und einem tief eingezogenen Bauch im Feinrippunterhemd posiert er vor dem Spiegel. Darüber der Kommentar:
    "Sollen die jungen, wehrfähigen Asylanten auf die Idee kommen, bei mir einzubrechen, müssen sie mit einem deutschen Bären kämpfen. Ich werde ihnen die Seele aus dem Leib reißen und ihr Fleisch an die Schweine verfüttern (Bin 1,87cm, 120 kg)"
    Manfreds Post ging viral: Das halbe Netz hat über Manfreds eingezogenen Bauch gelacht, er selbst wurde bei Facebook rausgeschmissen. Jetzt ist er auf VK - und das Lachen über Manfred bleibt mir im Halse stecken. Auf VKontakte postet Feinripp-Manfred antisemitische Nazipropaganda und veröffentlicht Bilder von Mitgliedern der Antifa, mit Klarnamen und Arbeitgeber. Sein Kommentar:
    "Befindet sich in Lebensgefahr".
    Den Post melde ich sofort, ich hoffe nur, es sieht jemand. Manfred betreibt nach Selbstaussage Graswurzelarbeit auf VKontakte. Sein Ziel: Möglichst viele Volksgenossen auf die Plattform bringen:
    "Guten Morgen, liebe Freunde und Patrioten. Mittlerweile sind mir 63 Freunde auf das Sozialnetz VKontakte gefolgt. Es werden täglich mehr. Dieses Netz ist nicht so gut strukturiert wie FB, aber dafür UNZENSIERT."
    Verfassungsschutz ist auf VK.com aufmerksam geworden
    Was Manfred vermutlich nicht weiß: VKontakte hat andere Privatsphäreeinstellungen als Facebook. Eine Option, die Beiträge nur für Freunde freizuschalten, gibt es nicht. Man muss noch nicht mal einen Account haben, um Manfreds Posts zu sehen.
    Auch der Verfassungsschutz ist bereits auf VKonktate aufmerksam geworden. Laut Markus Schäfert, Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes unternimmt VKontakte nichts gegen die Nazipropaganda:
    "Bei VK.com stellen wir fest, dass dort so gut wie nichts unternommen wird. Ja, auf VK können die sehr offen sowohl mit rechtsextremistischen Symbolen hantieren, auch mit Hakenkreuz, auch mit SS-Runen. Symbole, die in Deutschland strafbar sind. Sie kommunizieren dort auf eine Art und Weise, die so auf Facebook kaum mehr möglich ist. Aber sie kommunizieren eben szene-intern."
    Der Verfassungsschutz hat hier nur eine Option: Jedes Vergehen einzeln der Polizei melden. Die Verfassungsschützer halten das Netzwerk für essenziell, wenn szene-intern kommuniziert werden soll. Aber die breite braune Masse, die erreiche man nur mit Facebook.