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Russland
Dmitrij Gudkow und das Ende des Parlamentarismus

In der russischen Staatsduma sind vier Fraktionen vertreten. Doch eine Opposition gibt es nur auf dem Papier, abweichende Meinungen sind eine Seltenheit. Nun soll offenbar auch noch der letzte aufmüpfige Dumaabgeordnete mundtot gemacht werden.

Von Gesine Dornblüth | 05.10.2015
    Dmitrij Gudkow im russischen Parlament
    Dmitrij Gudkow, einer der wenigen, der sich eine eigene Meinung im Parlament erlaubt (picture alliance/dpa/Vladimir Fedorenko)
    Es war die erste Sitzung der russischen Staatsduma nach der Sommerpause. Die Hymne war verklungen, da erhielt Sergej Newerow, stellvertretender Duma-Sprecher aus der Kreml-Partei Einiges Russland, das Wort. "Es gibt Leute, die sitzen hier mit uns in diesem Saal, tun aber alles, damit die Lage im Land schlimmer wird, damit die Sanktionen gegen Russland verstärkt werden, damit das Leben unserer Bürger schlechter wird. Vielleicht haben einige von Ihnen den Film verpasst, der kürzlich im Fernsehsender NTW lief. Ich will einen kleinen Ausschnitt vorführen, nur eine Minute."
    Auf der Leinwand sind zwei Männer in einem Restaurant zu sehen, in Schwarzweiß und verschwommen. Der eine ist der Leiter der Politischen Abteilung der Deutschen Botschaft in Moskau. Der andere ist Dmitrij Gudkow, 35 Jahre, Abgeordneter der Fraktion "Gerechtes Russland", einer der wenigen, der sich eine eigene Meinung erlaubt und dementsprechend gegen die Mehrheit stimmt. Das Gespräch der Männer im Restaurant ist in dem Film weggeblendet, stattdessen gibt ein Sprecher den angeblichen Inhalt wieder: Sanktionen gegen Russland würden der Opposition nützen, denn sie verschlechterten die wirtschaftliche Lage in Russland und könnten zu Protesten führen, versuche Gudkow den deutschen Diplomaten zu überzeugen. Der stimme zu, so der Sprecher im Film.
    "Ich bin an Kampagnen gegen mich gewöhnt"
    Der Abgeordnete Newerow wendet sich erneut dem Saal zu: "Kollegen, dazu muss man nichts mehr sagen. Schande über diejenigen, die Unterstützung und Rat bei zweifelhaften ausländischen Beratern suchen und dabei Steaks kauen."
    Ein paar Tage später sitzt Dmitrij Gudkow in seinem Büro in der Duma und isst Apfelspalten, die ihm seine Assistentin hingestellt hat. "Ich bin an Kampagnen gegen mich gewöhnt. Aber dies Mal habe ich mich doch gewundert. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Duma, dass so ein Schund vorgeführt wurde."
    Die Deutsche Botschaft stellt klar: Der Film habe nichts mit der Wahrheit zu tun. Bei dem Mittagessen mit Gudkow sei es um die Vorbereitung eines Treffens junger Duma-Abgeordneter verschiedener Fraktionen mit Kollegen im Europaparlament gegangen. Gudkow bestätigt das.
    Mehr Zeit außerhalb als in der Duma
    Treffen mit Abgeordneten gehören für Diplomaten zum Alltag, übrigens auch mit Abgeordneten anderer Fraktionen. Dmitrij Gudkow nimmt noch ein Stück Apfel. "Die Reaktion in der Duma war so: Alle haben ein bisschen gelacht. Einige haben sich aufgeregt. Denn wenn sie heute einen Film zeigen, der mir gewidmet ist, dann heißt das, sie zeigen morgen einen Film über einen anderen Oppositionellen."
    Öffentlich protestiert hat keiner der Abgeordneten. Gudkow bezeichnet die Duma als "Kammer von Knopfdrückern". In Russland kursiert ein Spitzname: "Verrückt gewordener Drucker" - in Anspielung auf die hohe Zahl der Gesetze, die das Parlament oft in Rekordgeschwindigkeit ohne angemessene Debatte durchwinkt. Ein angesehener russischer Fernsehmoderator sprach im Staatsfernsehen sogar einmal von der Staatdura statt der Staatsduma. "Dura" heißt "dumme Kuh".
    Dmitrij Gudkow hätte sich dem System anpassen können. Er ist Sohn eines ehemaligen KGB-Offiziers, gehört zur Moskauer Elite. Doch als die Duma Ausländern verbot, russische Kinder zu adoptieren, stimmte er dagegen und schloss sich einem "Marsch gegen die Schurken" an. Bei der Abstimmung über die Annexion der Krim enthielt er sich - als einer von drei Abgeordneten. Und als bekannt wurde, dass tote russische Soldaten aus der Ukraine heimkehren und geheim bestattet werden, schickte er eine offizielle Anfrage an das Verteidigungsministerium. Natürlich bekam er keine Auskunft. Gudkows Gesetzesinitiativen und Änderungsvorschläge werden in der Regel abgelehnt. Auch deshalb verbringt er umso mehr Zeit außerhalb der Duma.
    Präzedenzfall in Pskow
    Kürzlich in Pskow im Nordwesten Russlands: Das dortige Gebietsparlament beriet darüber, dem Abgeordneten Lew Schlossberg das Mandat zu entziehen, ein rechtlich zweifelhaftes Vorgehen. Schlossberg hatte die Sache mit den toten Soldaten publik gemacht. Gudkow trat im Parlament in Pskow auf. Ein Mitschnitt seiner Rede ist im Internet zu sehen: Hochgewachsen steht er da, im Anzug. Die Abgeordneten blicken vor sich hin.
    "Ich bin heute nach Pskow gekommen, nicht nur um Lew Schlossberg, sondern um die Reste des russischen Parlamentarismus zu unterstützen. Sie sind im Begriff, einen sehr gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen. Danach wird man jeden unliebsamen Abgeordneten aus dem Parlament jagen können, ohne haltbaren Grund. Damit werden Wahlen völlig unsinnig. Ich fordere Sie auf, bleiben Sie anständig. Niemand erschießt sie, es ist eine geheime Abstimmung."
    Es nützt nichts. Mit 41 zu drei Stimmen schließen die Gebietsabgeordneten in Pskow den unbequemen Kollegen aus.
    Gudkow droht Verlust des Dumamandats
    Dmitrij Gudkow droht ein ähnliches Schicksal. Seine Partei Gerechtes Russland hat ihn schon vor zweieinhalb Jahren rausgeworfen. Jetzt fordert eine Petition im Internet, ihm auch das Dumamandat zu entziehen. Gudkow nimmt es mit Humor.
    "Es gibt hier einen weisen Abgeordneten in der Duma, der war früher Boxtrainer. Wir treffen uns öfter und reden über die Versuche, mich und meine Familie zu verfolgen. Er sagt mir: 'Dima, du wirst uns noch danken. Hast du schon mal einen Boxchampion gesehen, der noch nie eins auf die Fresse bekommen hat? Du überstehst das. Mit jedem Schlag, den du einsteckst, bereiten wir dich auf eine höhere Liga vor.' Mich macht das stärker."