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Russland im Nacken

Auf einem Sondergipfel wollen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel eine gemeinsame Antwort auf Russlands Vorgehen in Georgien finden. Unmissverständlich hat der französische Außenminister Bernard Kouchner kundgetan, dass die EU die Verletzung des internationalen Rechts nicht akzeptieren könne. Kouchner befürchtet außerdem, dass Russland auch noch andere Ziele ins Visier nehmen könnte, auch die ukrainische Halbinsel Krim könnte dazugehören. Clemens Hoffmann.

01.09.2008
    Über Lautsprecher lädt Anatoli Serda russische Krim-Touristen auf sein Schiff ein. Der 58Jährige ist Kapitän auf einer der Fähren, die in Sewastopol die Nord- und die Südseite der breiten Bucht miteinander verbinden. Zehn Minuten dauert die Überfahrt, am Fenster ziehen die klassizistischen Fassaden der weißen Stadt am Meer vorbei. Nach ein paar Minuten passiert Serda mit seiner Fähre die Einfahrt zu den Liegeplätzen der Russischen Schwarzmeerflotte. Noch bis 2017 hat Russland den Hafen von der Ukraine gepachtet. Erst vor ein paar Tagen ist hierher der Raketenkreuzer Moskwa zurückgekehrt - nach dem Kriegseinsatz im Kaukasus. Serda, der in Russland geboren wurde und in Georgien zur Schule ging, wirkt nachdenklich:

    "Natürlich macht mir das Sorgen. Es ist Krieg, und in jedem Krieg sterben Menschen. Wir alle haben Verwandte in den anderen Teilen der früheren Sowjetunion. Diese Konfrontation mit Russland schneidet ins lebendige Fleisch."

    Trotzdem fand Serda richtig, dass Russland in Südossetien eingegriffen habe. Viele Passagiere auf der Fähre sehen das genauso. Zum Beispiel der junge Victor, der gerade zwei Jahre Wehrdienst als Taucher bei der russischen Flotte ableistet:

    "Georgien war im Unrecht, weil es friedliche Leute beschossen hat. Russland hat diese Leute nur beschützt. Die russischen Truppen haben die Bevölkerung in Georgien nicht gefährdet, sie haben bloß Militärobjekte zerstört."

    Die Flotte ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Stadt. 40.000 Menschen arbeiten direkt oder indirekt für das Militär. Soviel Verständnis sie für Russland aufbringen, so wenig verstehen die Menschen in Sewastopol ihren Präsidenten Victor Juschtschenko, der die russische Flotte lieber heute als morgen verschwinden sähe und sein Land in Richtung Nato steuern möchte. Die Lehrerin Elena Vladimirowna, bringt die Gefühle vieler Bewohner auf den Punkt:

    "Für mich war Sewastopol nie Ukrainisch, und die Stadt ist für mich immer mit dem Ruhm der russischen Flotte verbunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Flotte weg ist. Die Zukunft der Krim wird stabil sein, wenn sie unter russischem Einfluss bleibt. Die Krim wird keine Zukunft haben, wenn sich etwas an dieser Situation verändert. "

    Russland werde mit allen Mitteln zu verhindern suchen, dass die Ukraine Nato-Mitglied werde, glaubt Sergei Kulik vom Nomos- Zentrum für geopolitische Fragen.

    In Südossetien und Abchasien habe Russland in den vergangenen Wochen ein neues Schema zur Rückgewinnung von Einfluss in ehemaligen Sowjetrepubliken ausprobiert. Dass der Kreml separatistische Strömungen auf der Krim finanziell unterstützt, ist für Kulik ein offenes Geheimnis.

    "Man kann nicht ausschließen, dass es den Versuch geben wird, die Sowjetunion wieder aufleben zu lassen, wenigstens im Rahmen Russland-Ukraine-Weißrussland. Heute entwickelt sich Russland zu einem autoritären Staat. Sogar die Leute, die heute diese separatistischen Gruppen leiten, wären bald nicht mehr zufrieden, wenn sie einmal in Russland wären."

    Sewastopols stellvertretender Bürgermeister Wladimir Kazarin sieht derzeit keine kritische Masse von Abspaltungs-Befürwortern auf der Krim. Auch die meisten Russisch- Stämmigen empfänden sich nach 17 Jahren Unabhängigkeit als Ukrainer, versucht er zu beruhigen:

    "Sie wohnen auf der Krim, sie haben die Gräber ihrer Väter hier und hier sind ihre Kinder. Gleichzeitig sind sie für freundschaftliche Beziehungen zu Russland. Sie wollen frei nach Russland fahren und Touristen aus Russland hier empfangen und davon auch wirtschaftlich profitieren."

    Doch die Konflikte schwelen auf der Krim an mehreren Stellen: vor allem die strenge Sprachenpolitik ärgert die Russisch-Muttersprachler. In den Schulen werden neuerdings immer mehr Fächer auf Ukrainisch unterrichtet. Radio und Fernsehen senden auf Ukrainisch. Wie Rentnerin Nina fühlen sich die ethnischen Russen von der Regierung in Kiew als Bürger zweiter Klasse behandelt.

    "Wir sind hier fast alle Russen, warum sollen wir auf einmal Satellitenantennen kaufen, um russische Sendungen zu empfangen? In vielen Ländern gibt es mehrere Sprachen, das stört doch keinen. Warum muss hier nur eine Sprache sein?"
    Orthodoxer Abendgottesdienst in der Pokrowski- Kathedrale. Die 32jährige Alexandra ist mit ihrem 7-jährigen Sohn Ilja gekommen. Die Kirche gehört zum Moskauer Patriarchat und ist zum Bersten gefüllt. Sollte die Krim wieder ein Teil Russlands werden? Alexandra, die einen ukrainischen Pass aber russische Eltern hat, kann es sich durchaus vorstellen:

    "Ich bin dafür, weil ich schon in Russland gelebt habe. Ich sehe keine Tragödie darin. Russland ist ein starkes Land. Und die slawische Bevölkerung sollte zusammen sein. Schauen sie sich Europa an: Sie sind doch auch alle zusammen und laufen nicht voreinander weg. Deshalb sollten wir auch zusammenhalten."