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"Russland möchte im Westen als Partner auf Augenhöhe akzeptiert werden"

Die EU-Außen- und –Verteidigungsminister beraten heute in Brüssel wieder über ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland - trotz dessen Ankündigung, Raketen gegen den US-Raketenabwehrtschild zu positionieren. Der frühere Leiter des ARD-Studios Moskau, Klaus Bednarz, sieht Abhängigkeiten auf beiden Seiten, "wie zwei Skorpione in der Flasche".

Klaus Bednarz im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Herr Bednarz, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen werden, zeichnet sich also ab. Wie wird dieses Signal in Moskau ankommen?

    Klaus Bednarz: Ich glaube, es ist sinnvoll, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Eine weitere Blockade wäre nicht sehr sinnvoll und auch nicht sehr nützlich. Russland ist natürlich angewiesen darauf, gute Beziehungen zur EU zu haben, aber umgekehrt auch und diese Blockade würde nichts bringen. Russland hat seine Truppen aus dem Kerngebiet Georgiens abgezogen, allerdings nicht aus den abtrünnigen Republiken, aber das wird sich auch nicht so ohne weiteres durchsetzen lassen und selbst mit Waffengewalt wäre das, glaube ich, nicht denkbar, denn das möchte niemand. Insofern sollte man realistisch sein und sagen, wir wollen wieder reden, es ist zum Vorteil und zum Nutzen aller Beteiligten.

    Schulz: Sie haben das Stichwort Abhängigkeit gerade schon genannt. Auf welcher Seite ist die Abhängigkeit denn höher, auf russischer oder auf europäischer?

    Bednarz: Die Abhängigkeit ist auf beiden Seiten. Russland ist natürlich darauf angewiesen, Erdöl und Erdgas nach Europa zu verkaufen, solange die Pipelines in den Fernen Osten, nach China und nach Japan noch nicht fertig sind. Solange ist einfach Europa unverzichtbar. Außerdem braucht man Technologie aus dem Westen. Man braucht Osteuropa-Technologie und von daher gesehen ist das eine Abhängigkeit.
    Wir in Europa sind natürlich abhängig im Moment und auf lange Sicht von russischen Energielieferungen und auch dazu sollte dieses Partnerschaftsabkommen dienen, das irgendwann beschlossen wird, diese Energielieferungen für Europa sicherer zu machen. Insofern ist es eine Abhängigkeit, das ist so wie zwei Skorpione in einer Flasche. Da hat keiner einen Vorteil.

    Schulz: Jetzt hat Russland ja jüngst wieder für neuen Unmut gesorgt mit seiner Ankündigung, bei Kaliningrad Kurzstreckenraketen zu stationieren, just am Tag der Wahl Barack Obamas. Verstehen Sie diese Provokation?

    Bednarz: Man sollte das nicht so ernst nehmen, denn Russland hat ja bereits früher angekündigt, wenn die Amerikaner die Raketen in Polen stationieren, werden sie in Weißrussland an der polnischen Grenze Raketen aufstellen. Insofern ist das in der Substanz im Moment nichts Neues. Es hat natürlich einen anderen emotionalen Wert, wenn man sagt, in Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, dort werden wir diese Raketen aufstellen. Aber es sind keine Atomraketen; es sind Raketen, die eine Reichweite von 400, 420 Kilometern haben, also auch Deutschland nicht bedrohen, sondern direkt die amerikanischen geplanten Raketenstellungen in Polen, und ich glaube, das ist eher so ein diplomatisches Säbelrasseln, aber das verändert die Gesamtsituation nicht dramatisch.

    Schulz: Wenn Sie jetzt aber dafür plädieren, das nicht zu ernst zu nehmen, birgt das nicht gerade die psychologische Gefahr, dass Russland weitere Machtpolitik betreibt, um eben ernst genommen zu werden?

    Bednarz: Natürlich betreibt Russland Machtpolitik, so wie es die Amerikaner auch bisher gemacht haben, und ich glaube auch nicht, dass sich daran sehr viel ändern wird unter dem neuen amerikanischen Präsidenten. Russland hat einen aus seiner Sicht Anspruch darauf, als Weltmacht ernst genommen zu werden, als Partner vom Westen begriffen zu werden. Die NATO-Osterweiterung ist in den Augen Russlands eine Provokation. Die Stationierung amerikanischer Raketen in Polen ist in den Augen Russlands eine Provokation und ich glaube, internationale Politik dürfte mit derartigen Provokationen hoffentlich in Zukunft nicht mehr so leichtfertig umgehen, wie es bisher die amerikanische Administration getan hat – übrigens auch über den Kopf der Europäer hinweg. Insofern muss man sich in Zukunft darauf einrichten, Russland will seine Interessen wahren. Russland möchte im Westen als Partner auf Augenhöhe akzeptiert werden. Und da man an Russland nicht vorbei kann, wird dem Westen gar nichts anderes übrig bleiben, als sich darauf einzurichten. Natürlich darf man nicht Russland alles durchgehen lassen an Menschenrechtsverletzungen und so weiter und so weiter, aber man muss irgendwo realistisch sein und sagen, sterben für Georgien will im Westen niemand.

    Schulz: Aber zu dieser Augenhöhe, zu dieser Begegnung auf Augenhöhe gehört doch auch Kooperation von beiden Seiten. Welche Signale der Kooperation sehen Sie auf russischer Seite denn überhaupt?

    Bednarz: Na ja, der russische Außenminister hat ja gerade gestern erklärt, dass man bereit ist, über die Raketenstationierung Gespräche zu führen. Der russische Präsident hat in seiner Rede an die Nation in der vergangenen Woche erklärt, man möchte die Beziehungen zu den USA wieder verbessern. Das heißt, auch auf russischer Seite ist man ja nicht dumm und man weiß die eigenen Interessen und man weiß, dass man auf den Westen angewiesen ist, und natürlich gibt es eine Bereitschaft, auch dort zu verhandeln. Allerdings gibt es Punkte, wo dann Russland keinen Kompromiss offenbar mehr macht, zum Beispiel in der Frage der NATO-Erweiterung in Richtung auf Georgien. Da muss man sich wirklich überlegen, ist es im Interesse des Westens, unbedingt auch Georgien in die NATO zu holen, näher an die EU heranzuführen? - Jawohl, aber unbedingt als NATO-Land noch an den Grenzen Russlands dort aufzurüsten, da muss man auch das russische Interesse irgendwo im Auge behalten.

    Schulz: In den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk heute Morgen Klaus Bednarz, der ehemalige Leiter des ARD-Studios in Moskau. Haben Sie vielen Dank.