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Russlands Antiterrorkampf
"Härte allein reicht nicht aus"

Der Politikwissenschaftler Pjotr Fedossow bezweifelt die Effizienz im russischen Antiterrorkampf. Um des Problems Herr zu werden, sei Härte zwar notwendig aber nicht ausreichend. Mit Blick auf den Nordkaukasus gelte es auch die sozialen Ursachen des Terrorismus abzubauen.

Pjotr Fedossow im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Polizisten der OMON-Sondereinheiten trainieren am 22.09.2011 die Erstürmung eines Gebäudes auf dem Sofrino-Übungsgeländenahe Moskau
    Eine Übung der Antiterror-Sondereinheit OMON nahe Moskau (dpa)
    Jasper Barenberg: Pjotr Fedossow hat über Jahre den Vorsitzenden des russischen Föderationsrates beraten. Vor dieser Sendung habe ich den Politikwissenschaftler heute am frühen Morgen gefragt, wie sehr die Bomben von Wolgograd das Versprechen Putins erschüttern, dass die Olympischen Spiele von Sotschi sicher sein werden.
    Pjotr Fedossow: Ich hoffe darauf, dass sie nicht erschüttert ist, aber ein bestimmtes Restrisiko gibt es ja in der heutigen Welt immer und überall, egal, wo die Olympischen Spiele oder auch andere Massenveranstaltungen stattfinden.
    Barenberg: Der Chef des Nationalen Olympischen Komitees in Russland, Alexander Schukow, hat gesagt, auch nach den Anschlägen, dass trotz dieser Anschläge die Sicherheit der Spiele gewährleistet ist. Aber haben die Terroristen mit ihren beiden Anschlägen nicht gerade das Gegenteil unter Beweis gestellt?
    Fedossow: In Sotschi werden außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen getroffen, was man über Wolgograd nicht sagen kann. Vielmehr ist die Gefahr, dass die Terroristen woanders zuschlagen werden als in Sotschi.
    Barenberg: Nun zählt Russland ja zu den zehn am stärksten von Terrorismus bedrohten Staaten der Welt. Sind diese Anschläge Anlass, darauf zu schauen, dass es tatsächlich einen blutigen Konflikt gibt im Süden Russlands und dass der auch in der russischen Öffentlichkeit in den letzten Jahren verdrängt worden ist?
    Fedossow: Es gibt einen blutigen Konflikt im Nordkaukasus, in Dagestan gibt es jede Woche mindestens Anschläge oder politische Morde. Es ist natürlich auch ein Zentrum des internationalen islamischen Terrorismus. Man ist sich dessen in Russland bewusst und ich würde nicht sagen, dass dieses Thema verdrängt ist. Nur ist die Effizienz der Gegenmaßnahmen nicht ausreichend, weil dort viele Ursachen einen Knoten bilden: ungünstige soziale Situation, Spätfolgen des Tschetschenienkrieges, denn die heutigen Selbstmordattentäter sind Kinder der Guerillas der 90er-Jahre, dessen muss man sich auch bewusst sein, und viele andere, insbesondere religiöse Gründe.
    Barenberg: Das heißt aber auch, Herr Fedossow, dass die Anschläge von Wolgograd zeigen, dass die Behörden, in Teilen von Russland jedenfalls, die Situation nicht mehr im Griff haben oder die ganzen Jahre, die vergangenen Jahre nicht im Griff gehabt haben, wenn wir beispielsweise daran denken, dass noch im vergangenen Jahr Moskau 30.000 zusätzliche Soldaten in die Republik Dagestan geschickt hat, weil es dort eben so viele Anschläge gibt.
    Fedossow: Es ist richtig. Man kann nicht sagen, dass die Behörden in ganz Russland die Sicherheitssituation im Griff haben. Dazu sind, wie gesagt, die Ursachen zu komplex und die Effizienz der staatlichen Verwaltung nicht ausreichend.
    "Ich bete für die Sicherheit der Spiele"
    Barenberg: Was macht Sie dann so zuversichtlich, dass Putin sein Versprechen wird halten können von den sichersten Spielen?
    Fedossow: Ich habe gesagt, ein Restrisiko gibt es immer und überall. Ich bete dafür, dass die Olympischen Spiele nicht gefährdet werden, und ich glaube in diesem konkreten Fall, dass die Athleten und die Zuschauer kein größeres Risiko eingehen als bei allen anderen olympischen Spielen.
    Barenberg: Wie schätzen Sie denn die Gefahr ein, über welche Fähigkeiten diese Terroristen verfügen? Immerhin hat der Chef des russischen Inlands-Geheimdienstes gesagt, dass sie nicht mehr stark genug sind für größere Aktionen, wie wir sie ja auch in der Vergangenheit in Russland erlebt haben. Teilen Sie diese Einschätzung?
    Fedossow: Für größere Aktionen sind sie auch, meines Erachtens, nicht stark genug. Aber infrage kommen auch kleinere Aktionen. Ein Selbstmordanschlag von einem islamischen Radikalen kann viele Menschenleben dahinraffen. Es geht nicht um die Größe, es geht um die Tatsache, und eine absolut hundertprozentige Sicherheitsgarantie kann niemand geben, nirgends in dieser Welt.
    Barenberg: Und müssen wir jetzt die Drohungen, die diese Terroristen ausgesprochen haben, noch ernster nehmen als bisher?
    Fedossow: Sie werden ernst genug genommen, aber es kommt darauf an, die Effizienz der Maßnahmen zu erhöhen, die getroffen werden, um sie zu vereiteln.
    Barenberg: Russlands Präsident Wladimir Putin hat ja in der Vergangenheit vor allem mit Härte reagiert auf die terroristische Herausforderung. Er hat das jetzt auch getan in seiner Reaktion auf die Anschläge, hat davon gesprochen, dass er die Terroristen bis zur völligen Vernichtung jagen wird. Halten Sie das eigentlich für den richtigen Ansatz, für die richtige Methode im Kampf gegen die Gewalt?
    Fedossow: Ich halte den Ansatz für richtig, nur ist der allein absolut nicht ausreichend. Es kommt darauf an, nach und nach die sozialen Ursachen des Terrorismus abzubauen. Dafür muss man investieren, dafür muss man eine Beschäftigungspolitik betreiben. Das ist eine Arbeit, die sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte erstrecken wird. Durch Härte allein kann man das Problem nicht lösen. Aber im Moment geht es nicht um Jahrzehnte, es geht um Wochen und Monate, und in dieser Periode ist in der Kürze der Zeit Härte und ist vor allem die Exaktheit der Arbeit der Sicherheitsorgane die ausschlaggebende Voraussetzung.
    Barenberg: Aber da sehen Sie schon auch ein Versäumnis in der Politik von Wladimir Putin?
    Fedossow: Das ist die Schwäche einer jeden Regierung heute. Dort, wo es Selbstmordterroristen gibt, dort sind die Behörden, dort ist der Staat nicht allmächtig. Man muss sich dessen bewusst sein, das ist eine bittere Wahrheit, denn man muss sich dessen bewusst sein, und man muss dementsprechend arbeiten. Und dass die Effizienz des Staates in Russland nicht ausreichend ist, das ist auch eine Tatsache, für die, glaube ich, auch viele andere Aspekte sprechen.
    Barenberg: Hartes Durchgreifen löst die Probleme nicht, sondern befördert den Teufelskreis der Gewalt – das hat der russische Schriftsteller Kunin gesagt jetzt in Reaktionen zu diesen Anschlägen. Würden Sie ihm recht geben?
    Fedossow: Ich glaube, Ähnliches gesagt zu haben, also Härte allein reicht nicht aus, aber Härte ist notwendig.
    Barenberg: Die USA haben ja Hilfe angeboten. Sollte Putin die annehmen?
    Fedossow: Ich glaube, man müsste in dieser Situation die fachkundige Hilfe eines jeden Staates annehmen. Also Olympiade ist Angelegenheit der ganzen Welt, nicht nur des Veranstalterstaates.
    Barenberg: Sagt Pjotr Fedossow, der Politikwissenschaftler und ehemalige Berater des Vorsitzenden des Föderationsrates.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.